"Die Freischwimmerin" im Ersten:Toleranz in Chlor

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Emily Cox als Schwimmlehrerin, Selen Savas spielt in "Die Freischwimmerin" die türkische Schülerin Ilayda. (Foto: MDR/Petro Domenigg)

Die türkische Schülerin Ilayda mag nicht ohne Kopftuch schwimmen gehen und ihre besonders engagierte Lehrerin will unbedingt die Welt retten: Die ARD badet beim Thema Integration in Klischees.

Von Katharina Riehl

Der gute Lehrer, der sich nachts auf sein verbeultes Fahrrad schwingt, um seine Schüler vor Schlägereien, Schwangerschaften oder sonstigen Dummheiten zu bewahren, ist ein Topos der öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung wie die Leiche zu Beginn des Tatorts und der schlecht gelaunte Kommissar. In den 90er-Jahren fuhr Robert Atzorn als Dr. Specht durch Celle oder Potsdam, immer auf der Suche nach einer zu rettenden Seele, immer den Menschen im Blick und nicht die Deutschlektüre. Und erst vor ein paar Jahren setzte Die Stein ihre nach Halt suchenden Schüler auf Pferde.

Auch Martha Müller (Emily Cox) ist eine von den Guten, an ihrer alten Schule in Linz hatte sie sich sogar so sehr engagiert, dass es ihr am Ende über den Kopf wuchs. Sie geht also nach Wien, zieht zu ihrer Mutter, die immer äußerst streng guckt, wenn das Töchterlein schon wieder jemandem helfen will. Denn obwohl Frau Müller in ihrem neuen Leben doch eigentlich nur noch Deutsch und Sport unterrichten will - Dienst nach Vorschrift wie all die durchschnittlich Desillusionierten im Lehrerzimmer - treibt ihr pädagogisches Ethos sie doch wieder nach Hause zur Familie ihrer Schülerin Ilayda, weil dort offenbar nicht alles läuft, wie es sollte.

Es ist eine irre Klischeesause, die ORF und MDR da feiern, schon allein im Hinblick auf das Bild, das vom Schulbetrieb gezeichnet wird. Die meisten Lehrer tun nur das Nötigste, der Direktor hat kein Verständnis für Sonderwünsche und will nur, dass die Schule sich beim Schwimmwettbewerb möglichst wenig blamiert. Und gäbe es nicht diese neue Lehrkraft mit dem (natürlich schwer sympathischen) Helfersyndrom, dann würde eben nichts aus der Schwimmerkarriere des türkischen Mädchens Ilayda.

Kreuzbrave Toleranzgeschichte

Ilayda (Selen Savas) trägt Kopftuch und geht nicht zum Schwimmunterricht, weil Schwimmen mit Kopftuch nun mal ungewöhnlich ist. Martha Müller, die neue Lehrerin, wittert Unterdrückung und konfrontiert den älteren Bruder des Mädchens, seit dem Tod des Vaters Oberhaupt der Familie. Doch der ist gar kein gottesfürchtiger Emanzipationsfeind, sondern ein sehr weltoffener (und, das sieht auch Frau Müller gleich, sehr hübscher) Kneipenbesitzer. Seine kleine Schwester hat eigene Gründe für das Tragen eines Kopftuchs. Und wenn das nicht alles so grauenvoll kitschig inszeniert wäre, dann könnte man dem Film wenigstens zugutehalten, an diesem Punkt gegen ein Klischee arbeiten zu wollen.

So aber gerät die Geschichte des Mädchens, das nicht im Badeanzug schwimmen wollte, zu einer kreuzbraven Toleranzgeschichte in Chlorwasser. Frau Müller und ihre Schülerin gehen gemeinsam einen Burkini (einen Bikini im Burka-Design) kaufen, Frau Müller kämpft um die Zulassung des Burkinis beim Schwimmwettbewerb, und weil ja alle etwas lernen sollen, muss am Ende auch Ilayda über ihren Schatten springen. Pädagogisch besonders wertvoll.

Die Freischwimmerin , ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 04.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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