SPD nach der Europawahl:Mit Vergnügen für den Wahlsieger

Merkel Gives Government Declaration At The Bundestag

Kanzlerin Merkel und ihr Vizekanzler Gabriel auf der Regierungsbank im Bundestag.

(Foto: Getty Images)

Dass die SPD sich hinter Jean-Claude Juncker stellt, hat taktische Gründe. Sie wähnt Kanzlerin Merkel nach der Europawahl in der Bredouille. Ihr Nimbus der Unfehlbarkeit erscheint als angekratzt.

Von Nico Fried und Christoph Hickmann, Berlin

In ihrer Regierungserklärung im Bundestag kam Angela Merkel diese Woche auf den künftigen Kommissionspräsidenten der EU zu sprechen. Sie setze sich dafür ein, dass Jean-Claude Juncker mit der notwendigen Mehrheit gewählt werde, sagte die Kanzlerin. "Und so tut dies auch die ganze Bundesregierung", fügte sie hinzu. Auf der Regierungsbank saß Vizekanzler Sigmar Gabriel von der SPD bequem in seinem Polsterstuhl und nickte. Mehrmals und demonstrativ.

Die Geschlossenheit der Koalitionsspitze hat geradezu paradoxe Züge. Denn Merkel und Gabriel mögen nun mehr oder weniger gemeinsam für Juncker arbeiten - aus Überzeugung tun sie es beide nicht. Merkel hatte schon die Nominierung eines Spitzenkandidaten nur widerwillig hingenommen und Juncker im Wahlkampf nicht stärker als unbedingt nötig unterstützt. Gabriel geht es mit seinem Gestus des fairen Wahlverlierers auch um Europa. Aber nicht nur.

Merkel und Juncker pflegen, nach allem, was man weiß, ein offenes, aber nicht einfaches Verhältnis. Der ehemalige luxemburgische Regierungschef, der schon ein politischer Vertrauter von Helmut Kohl war, hat viel Erfahrung, auf die Merkel indes immer weniger angewiesen war, je länger sie selbst als Kanzlerin amtierte. Schon als Juncker noch der Euro-Gruppe vorsaß, war in Berlin Unzufriedenheit darüber zu hören, wie er seine Aufgabe wahrnahm. Juncker wiederum inszeniert sich inzwischen offen als einer, der die eine oder andere Sparauflage in der Euro-Krise skeptisch gesehen habe. Solche Distanzierungen nimmt man im Kanzleramt mit wenig Begeisterung zur Kenntnis.

Die SPD hatte Juncker noch im Wahlkampf als verbraucht und ambitionslos hingestellt und vor allem die Niedrigsteuerpolitik Luxemburgs scharf kritisiert. Dass sie sich jetzt trotzdem hinter ihm versammelt, hat taktische Gründe. Erstens hat die SPD, allen voran Gabriel, im Wahlkampf versprochen, nur einen der Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu wählen - wenn auch in der Hoffnung, dass es Martin Schulz sein würde. Zweitens glauben die Sozialdemokraten, damit die Kanzlerin in die Bredouille zu bringen. Bei jeder Gelegenheit fordert die SPD nun Merkel auf, Juncker die Treue zu halten. "Wir alle", so rief SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer in seiner Rede im Bundestag, "wünschen Jean-Claude Juncker, dass es ihm gelingt, eine Mehrheit zu finden." Eine Absicht dahinter ist klar: Sobald die Kanzlerin abweicht, soll der Zorn des Wahlvolkes sie treffen. Mit dem formalen Argument, die EU-Verträge sähen das Vorschlagsrecht bei den Staats- und Regierungschefs, dringt Merkel da kaum durch.

Merkels Nimbus der Unfehlbarkeit erscheint angekratzt

Dienstagabend auf der MS Havel Queen. Das Ausflugboot schippert während der traditionellen Spargelfahrt mit gut gelaunten Sozialdemokraten über den Wannsee. Merkel, so hört man ein ums andere Mal, habe einen schweren Fehler gemacht: Sie habe die Stimmung in der Bevölkerung völlig falsch eingeschätzt, als sie unmittelbar nach der Wahl vermeintlich auf Distanz zu Juncker ging. Manch ein Sozialdemokrat analysiert das mit beinahe ungläubigem Unterton. Schließlich fürchtet die SPD Merkel auch deshalb so sehr, weil sie in den vergangenen Jahren kaum wesentliche Fehler gemacht hat.

Der Nimbus der Unfehlbarkeit aber erscheint jetzt mindestens als angekratzt, und schon steigt die Laune in der SPD. Schließlich plagt sie trotz aller Regierungserfolge noch immer die Sorge, die Partei könnte aus dieser großen Koalition ähnlich gerupft hervorgehen wie 2009, als sie auf 23 Prozent abstürzte und Schwarz-Gelb an die Regierung kam. Bei der Europawahl aber hat die SPD im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 nun sogar leicht zulegen können. Das reicht den Sozialdemokraten schon, um sich an der Grenze zur Euphorie zu bewegen.

In der Union zeigt man sich gelassen. Ein erstes Ziel hat Merkel bereits erreicht: Zeitgewinn. Obwohl die relevanten Fraktionsspitzen des Europaparlaments sich ruckzuck zugunsten Junckers formierten, setzte sich die Kanzlerin unter ihren Kollegen damit durch, erst einmal ausführliche Gespräche zu führen. Und was die Position der SPD in der Koalition betrifft, gibt man sich in der CDU gönnerhaft: Der Stimmenzuwachs für die Sozialdemokraten bei der Europawahl komme der ganzen Regierung zugute. Routinierte Unionisten sprechen da aus leidvoller Erfahrung: Das Dauertief des letzten Koalitionspartners FDP hatte fast vier Jahre lang für Profilierungssucht und schlechte Stimmung in der schwarzgelben Regierung gesorgt.

Für die SPD und Gabriel kommt es nun auch darauf an, für Martin Schulz einen anständigen Posten herauszuholen. Das Angebot der Union, Schulz könne ja Parlamentspräsident bleiben, und zwar, anders als üblich, über die volle Legislaturperiode, wischen Spitzengenossen ärgerlich beiseite. Ein besonderer Kommissarsposten sollte es schon sein. Da wiederum zeigt sich die Union unbeweglich. Weil jedes Land nur einen Kommissar nach Brüssel entsenden darf, pocht die CDU für den deutschen Stuhl auf einen der Ihren. "Wir gewinnen die Wahl, und einer von der SPD wird Kommissar", sagt einer aus der Führung, "das wäre der Partei nicht zu vermitteln."

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