Gauck versus NPD:Ein Hauch von Monarchie

Bundespräsident Gauck NPD Spinner

"Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen." - Gegen diese Äußerung hatte die NPD geklagt. (Archivfoto)

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"Den Spinnern ihre Grenzen aufweisen." Ist das die angemessene Kommunikationsform eines Bundespräsidenten? Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Eher nicht. Aber wir lassen das trotzdem durchgehen.

Von Wolfgang Janisch

Es war nur eine naive Studentenfrage, aber Richard von Weizsäckers Antwort kam schnell und entschieden. Ob der Bundespräsident denn seine öffentlichen Äußerungen vorher von der Bundesregierung absegnen lasse, hatte der Frager wissen wollen. Die Entgegnung des Präsidenten fiel ziemlich barsch aus, und man meinte, eine Zornesfalte auf der präsidialen Stirn zu erkennen. Eine Rede vorab im Kanzleramt einreichen? Natürlich nicht!

Der Vorfall liegt zweieinhalb Jahrzehnte zurück, und die Reaktion des damaligen Bundespräsidenten spiegelt das wider, was nun das Bundesverfassungsgericht in zwei Urteilen aus dem Grundgesetz herausdestilliert hat. Der Bundespräsident steht für das große Ganze, er repräsentiert das Volk und den Staat, er verkörpert dessen Einheit. Und er hat dabei freie Hand, jedenfalls weitgehend: "Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst", schreibt das Verfassungsgericht. Er darf sich auf die neutrale Rolle eines obersten Staatsnotars beschränken. Er kann aber auch eine klare Sprache pflegen, auf Missstände hinweisen, vor Gefahren warnen - und dabei Ross und Reiter nennen. In der Wahl seiner Themen, so schreibt das Bundesverfassungsgericht, sei er "ebenso frei wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform".

So weit also der allgemeine Teil des Urteils - plausibel, konsensfähig und tauglich für den Gemeinschaftskunde-Unterricht. Wirklich heikel wird es freilich dort, wo das Gericht die abstrakten Grundsätze auf das konkrete Leben anwendet. Also auf die Klage der NPD.

"Den Spinnern ihre Grenzen aufweisen"

Die NPD hatte, das ist aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar, einen ziemlich zugespitzten Kommentar von Joachim Gauck zu den Protesten von NPD-Anhängern gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf vor dem Karlsruher Gericht angegriffen: "Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen." Ist das nun die "angemessene Kommunikationsform" eines Bundespräsidenten? Die Antwort des Bundesverfassungsgerichts lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Eher nicht. Aber wir lassen das trotzdem durchgehen.

Denn das Gauck-Zitat, so formulieren die Richter des Zweiten Senats gewunden, könne "isoliert betrachtet durchaus als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung des so Bezeichneten hindeuten". Und Parteien - solange sie nicht verboten sind - dürfen nicht diskriminiert werden. Die Richter bemühen sich aber, dem S-Wort des Staatsoberhaupts eine präsidialere Deutung zu geben. Spinner sei gleichsam der Sammelbegriff für die Ewiggestrigen, die, "unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus", rechtsradikale Überzeugungen verträten. "Ideologen" und "Fanatiker" eben. Und das Grundgesetz sei schließlich der Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Willkürherrschaft. Deshalb habe Gauck - zugespitzt, aber erlaubt - lediglich zu bürgerschaftlichem und gewaltfreiem Engagement aufrufen wollen.

Man wird den Spinner-Fall daher nicht als generelle Rechtfertigung für diesen und künftige Bundespräsidenten nehmen dürfen, die Diffamierung ins rhetorische Arsenal aufzunehmen. Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle hat zwar, ganz grundsätzlich, den großen Freiraum betont, den der Bundespräsident bei der Wahl seiner Worte genießt. Umso mehr, als sein politisches Instrument nun mal die Sprache ist. Dass der Senat die konkrete Formulierung - vorsichtig ausgedrückt - unglücklich fand: Das ist nicht nur zwischen den Zeilen zu lesen.

Dass der Bundespräsident sein Amt aber eher im Sinne der Integration interpretieren soll, wird vor allem aus dem zweiten Urteil deutlich, das der Senat an diesem Dienstag verkündet hat. Auch dort ging es um eine NPD-Klage. Der Parteivorsitzende Udo Pastörs hatte versucht, sich in der Bundesversammlung anlässlich der Wahlen von Horst Köhler (2009) und Christian Wulff (2010) ein Antrags- und Rederecht zu erstreiten. Sein Antrag wurde abschlägig beschieden. Und der Zweite Senat - als Berichterstatterin war Sibylle Kessal-Wulf zuständig - nutzte die Gelegenheit, einen weißen Fleck auf der verfassungsrechtlichen Landkarte auszumalen, zur Stellung des Bundespräsidenten wie auch der Bundesversammlung als zuständigem Wahlgremium. Und dort steht dann auch der Satz, der Gaucks Spinner-Äußerung fragwürdig erscheinen lässt: "Autorität und Würde seines Amtes kommen gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor allem geistig moralische Wirkung angelegt ist."

Der Bundespräsident, so lässt sich das Urteil lesen, soll den niederen Gefechten des demokratischen Diskurses entrückt sein. Eine Voraussetzung dafür ist das Schweigen in der Bundesversammlung: Damit das Staatsoberhaupt nicht bereits im Akt seiner Wahl hinabgezogen wird in das politische Gezerre, in dem jede Äußerung immer auf ihre wahltaktischen und parteipolitischen Absichten abgeklopft wird, schreibt das Grundgesetz eine Wahl "ohne Aussprache" vor.

Keine Anträge, die das Verfahren zerfasern, keine Bewerbungsrede, die den Kandidaten zum politischen Bekenntnis motivieren könnte, keine Diskussion, die den Wahlakt in die Niederungen des politischen Streits ziehen könnte - bei der Wahl des Staatsoberhauptes setzt das Grundgesetz auf Staatssymbolik statt auf demokratischen Diskurs: "Es kommt allein auf die Sichtbarkeit des Wahlaktes in seinen realen und symbolischen Dimensionen an", sagte Gerichtspräsident Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

Es ist daher kein Zufall, dass die Wahl des Bundespräsidenten anmutet wie die Kür eines demokratischen Königs. Die "zeremonielle, symbolische Bedeutung des Wahlaktes" müsse gewahrt werden, heißt es in dem Urteil. Und so ein Hauch Monarchie ist eigentlich gar nicht so schlecht, so war Voßkuhle zu verstehen: Die Wahl sei "ein eigentümlicher, demokratisch veredelter Rückgriff auf das Erbe der konstitutionellen Monarchie, der vom Verfassungsgeber aber so gewollt war und der der Bundesrepublik Deutschland letztlich gut getan hat".

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