Bio-Kunststoffe in der Autobranche:Autoteile aus Tomaten, Reifen aus Löwenzahn

Tomaten

Fasern aus getrockneten Tomatenhäuten könnten künftig bei der Herstellung von Auto-Kunststoffen verwendet werden.

(Foto: SZ-Magazin)

Die Autoindustrie hat das Gemüse entdeckt - als Alternative zum Erdöl. Zur Erforschung neuer Techniken finden sich ungewöhnliche Kooperationspartner, die beide davon profitieren könnten. Zum Beispiel Ford und Heinz.

Von Thomas Harloff

Wie keine andere Branche ist die Autoindustrie abhängig von Erdöl. Aber nicht nur deshalb, weil die Elektromobilität nicht in Schwung kommt, sondern auch, weil zahlreiche im Automobilbau verwendete Kunststoffe auf dem fossilen Brennstoff basieren. Bioplastik, also Kunststoffe auf pflanzlicher Basis, könnte ein Weg der Autobauer sein, sich langfristig unabhängiger vom Öl zu machen.

Deshalb forschen immer mehr Hersteller in diesem Bereich. BMW baut Teile der Innenausstattungen seiner Elektroautos i3 und i8 aus nachwachsenden Rohstoffen und verwendet beispielsweise Schurwolle für Türverkleidungen, Dachhimmel und Fußmatten. Rapper Smudo betreibt mit einem weitgehend aus Bioverbundwerkstoffen, Biopolymeren und recycelten Materialien gebauten Rennwagen sogar Motorsport. Auch Ford setzt bei einigen Bauteilen bereits auf Bio als Basis. Zum Beispiel bei einem Schaumstoff für Autositze und Kopfstützen, der zu großen Teilen aus Soja besteht, mit Verbundwerkstoffen auf Kokosnussbasis oder recycelter Baumwolle in Autoteppichen.

Und nun kommt die Tomate ins Spiel. Ford und Heinz wollen gemeinsam forschen, wie man daraus einzelne Bauteile eines Autos herstellen könnte. Der amerikanische Ketchup-Produzent verarbeitet pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen des roten Gemüses. Eines landet dabei jedoch nicht in der Ketchupflasche: die Tomatenhaut. Wird diese getrocknet, können laut Ford Fasern als Grundsubstanz eines biobasierten Kunststoffes verwendet werden. Auch andere Abfälle bei der Herstellung von Ketchup, etwa der Stängel oder der Samen, könnten zukünftig in Auto-Kunststoffen zum Einsatz kommen.

Stark und leicht soll es sein

Nun wollen die Kooperationspartner herausfinden, wie strapazierfähig das Material ist und bei welchen Bauteilen es zum Einsatz kommen könnte. Laut Ford sind zum Beispiel Halteklammern für Kabel sowie Ablagefächer für Münzen oder andere kleine Objekte denkbar.

Der Autobauer stellt hohe Ansprüche an den biobasierten Kunststoff: "Unser Ziel ist es, ein ebenso starkes wie leichtes Material zu entwickeln, das gleichzeitig die Umweltbelastung unseres Unternehmens reduziert", sagt Ellen Lee, die bei Ford in der Kunststoffforschung tätig ist.

Für Heinz könnte sich die Zusammenarbeit in zweierlei Hinsicht lohnen. Einerseits könnte die Verwendung von Tomatenabfällen im Automobilbau eine sinnvolle Variante sein, die eigenen Abfälle zu minimieren und wiederzuverwerten. Andererseits sollen auch die eigenen Verpackungen umweltfreundlicher werden und irgendwann möglichst vollständig aus pflanzenbasiertem Plastik bestehen. "Doch uns ist bewusst, dass wir in einer sehr frühen Phase unserer Forschung und noch viele Fragen offen sind", sagt Vidhu Nagpal, stellvertretender Direktor der Verpackungsforschung und -entwicklung bei Heinz.

Auch die Zulieferer forschen derzeit an pflanzlichen Alternativen zu erdölbasierten Materialien. Beispiel Reifen: Die werden heute meist aus synthetischem, in petrochemischen Verfahren gewonnenem Kautschuk hergestellt. Als Alternative zum künstlich aus Erdöl produzierten oder mühsam aus dem Kautschukbaum gewonnenen Rohstoff könnte künftig Kautschuk aus Löwenzahn dienen. Das glaubt zumindest Reifenhersteller Continental und baut gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Münster eine Pilotanlage, in der der Löwenzahn-Kautschuk industriell hergestellt werden kann.

Vorteile für Umwelt und Logistik

"Die Kautschukgewinnung aus der Pusteblumenwurzel ist deutlich wetterunabhängiger möglich als die vom Kautschukbaum und eröffnet aufgrund ihrer agrarischen Anspruchslosigkeit ganz neue Potenziale", sagt Continental-Vorstandsmitglied Nikolai Setzer.

Beim Kautschukbaum, der ausschließlich in den Subtropen wächst, muss bis zu sieben Jahre gewartet werden, bis sein Milchsaft erstmals geerntet werden kann. Anders der Löwenzahn, der fast überall in Europa angebaut werden und mehrmals im Jahr geerntet werden kann. Das bringe außerdem logistische Vorteile mit sich und führe zu einer geringeren Umweltbelastung. Im Laufe des nächsten Jahres sollen die ersten Reifen mit Gummimischungen aus Löwenzahnkautschuk getestet werden.

Continental ist mit seiner Forschung inzwischen so weit gekommen, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Reifen in seiner Ausstellung "Bioökonomie im Alltag" präsentiert hat.

Dort werden konkrete Produktbeispiele gezeigt, die auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen und biobasierten Verfahren hergestellt werden - darunter auch Kleidung aus Milch oder einen Föhn aus Biokunststoff. Man darf gespannt sein, welche Pflanzen und andere nachwachsende Rohstoffe hier zukünftig noch zum Zuge kommen.

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