DFB-Team bei der Fußball-WM:Löws Händchen ist gefordert

Germany v Ghana: Group G - 2014 FIFA World Cup Brazil

Mehr denn je als Personalmanager gefragt: Bundestrainer Joachim Löw

(Foto: Getty Images)

Muss Lahm wieder nach rechts, wo nützt Schürrle am meisten, und wie viele Minuten verträgt Schweinsteiger? Bei der Fußball-WM in Brasilien wird der Instinkt von Bundestrainer Joachim Löw mehr als je zuvor über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Ein Kommentar von Christof Kneer

In der 63. Minute wurde David Odonkor eingewechselt, acht Minuten später kam Oliver Neuville. Das sind historische Daten, weil - wenn man sich richtig erinnert - die Bundesrepublik Deutschland damals gegründet wurde, an jenem 14. Juni 2006. Vielleicht bringt man da auch was durcheinander und es wurde damals gar nicht die Bundesrepublik gegründet, sondern nur das Sommermärchen, aber diese beiden Anlässe kann man inzwischen sowieso kaum noch auseinanderhalten.

90. Minute, Flanke Odonkor, Tor Neuville, Maz ab für die große Deutschland-Show: So war das damals, beim zweiten WM-Vorrundenspiel gegen Polen. Der Rausch war damals so gewaltig, dass die fachliche Bewertung ein bisschen unterging, und so kam auch ein beliebtes Sprachbild viel zu selten zur Anwendung: jenes, wonach die Trainer Klinsmann und Löw mit der Einwechslung von Odonkor und Neuville ein "glückliches Händchen" gehabt hätten.

Sitzen Löws Reflexe, wenn der Plan mal nicht aufgeht?

Acht Jahre später braucht der Bundestrainer nichts mehr als das. Das Turnier in Brasilien könnte zur Jogi-Löw-WM werden: Löws Händchen wird mehr als je zuvor über das entscheiden, was man später als Erfolg oder Misserfolg definieren wird. Gegen Portugal hat Löw die richtige Elf gewählt, gegen Ghana die richtigen Joker gezogen, aber er weiß, dass er sich auf eine alte Turnierregel nicht verlassen kann: jene, dass sich über die Vorrunde eine Stammelf ausbildet, die einen dann durchs Turnier trägt.

Die Besonderheiten seines aktuellen Kaders bringen es mit sich, dass Löw mehr denn je als Personalmanager gefordert wird. Er muss entscheiden, wie viele Minuten der Rekonvaleszent Schweinsteiger schon verträgt, er muss entscheiden, wie er mit dem erneut angeschlagenen Khedira verfährt, er muss entscheiden, ob ein Jobsharing auf dieser Zentralposition überhaupt möglich ist.

Weitere Fragen: Was ist mit dem in Ehren ergrauten Klose - erlaubt seine Fitness einen Einsatz von Anfang an oder bleibt er eine "Spezialkraft", wie Löw seine Reservisten genannt hat? Muss Lahm wieder nach rechts? Wann und wo nützen Podolski und Schürrle am meisten? Und vor allem: Braucht man bei dieser WM überhaupt eine Stammelf oder eher die "erste Vierzehn" (Zitat Löw), aus der man sich je nach Fitness, Wetter, Gegner und Spielstand bedient?

Die medizinischen Vorgeschichten haben diesen Kader geöffnet, er ist hierarchisch weniger konturiert denn je. Für Löw ist das eine Gefahr und eine Chance: Ein verlässliches Bauchgefühl war bislang nicht das erste, was einem einfiel, wenn man die Stärken dieses taktisch versierten, präzisen und plangläubigen Trainers verhandelte.

Das sind ja die Fragen, die Löw seit dem 1:2 gegen Italien bei der EM 2012 und erst recht seit dem 4:4 (nach 4:0-Führung) gegen Schweden begleiten: Besitzt der Trainer ausreichend Instinkt für den Wettkampf in freier Wildbahn? Sitzen seine Reflexe, wenn der Plan mal nicht aufgeht?

Nie hatte Löw eine bessere Gelegenheit zu zeigen, dass er nicht nur ein guter Fußballlehrer ist. In Brasilien braucht er auch das Zeug zur Spezialkraft.

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