Immer weniger Aussiedler in Deutschland:Ende einer Wanderung

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Vergangenes Jahr reisten nur noch knapp 6000 Menschen mit deutschen Wurzeln oder deutschen Verwandten aus dem Osten in die Bundesrepublik. Nun ist ein neuer Tiefstand erreicht.

Roland Preuß

Es ist ein riesiger Strom, der da versiegt: Etwa 4,5 Millionen Aussiedler sind seit 1950 nach Deutschland gekommen, 2,8 Millionen von ihnen nach dem Fall der Mauer 1989. Vergangenes Jahr reisten nach offiziellen Angaben nur noch knapp 6000 Menschen mit deutschen Wurzeln oder deutschen Verwandten aus dem Osten in die Bundesrepublik. Nun ist ein neuer Tiefstand erreicht: Von Januar bis April dieses Jahres kamen gerade noch 960 Menschen im zentralen Aufnahmelager Friedland an.

Am Höhepunkt 1990 waren es fast 400.000 Spätaussiedler gewesen. Diesem Absturz ging ein politischer Kurswechsel voraus. Während die Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) noch reichlich Aussiedler ins Land ließ, verlangte die spätere rot-grüne Koalition von 2005 an von allen Umzugswilligen einen Deutschtest. Daran scheitern jedoch viele Aussiedler. Vor allem deshalb verebbt diese große Zuwanderungswelle. Was sie hinterlassen hat, ist bis heute umstritten: Muss man die Aussiedler eher als Gestrandete ansehen oder haben sie Fuß gefasst im Westen? Ist ihre Integration eine Erfolgsgeschichte?

Probleme mit jungen Männern

Unbestritten ist, dass es bei Aussiedlern, wie bei anderen Zuwanderer-Gruppen auch, Eigenheiten gibt. Immer wieder waren Aussiedler-Jugendliche in der Vergangenheit durch rohe Gewalttaten aufgefallen. Auch heute gebe es noch Besonderheiten, sagt der Tübinger Kriminologe Hans-Jürgen Kerner. "Die Probleme liegen bei den jungen Männern", sagt Kerner, der über Aussiedler geforscht hat.

Sie nehmen demnach überdurchschnittlich oft Drogen und sind auch in den Gefängnissen auffällig stark vertreten. Als eine Ursache sieht Kerner einen "kulturellen Aspekt" - ein größeres Verständnis dafür, Gewalt zu erdulden, aber auch anzuwenden. Eine aktuelle Studie des Bundesamts für Migration bestätigt das: Aussiedler-Jugendliche begehen mehr Gewaltdelikte als Einheimische. Alle Aussiedler zusammen aber sind gesetzestreuer als alteingesessene Deutsche.

Das Bundesamt mahnt jedoch: Es müsse mehr gegen die Ursachen der Jugendkriminalität getan werden, etwa fehlende Schulabschlüsse. Die größten Probleme sieht Kerner bei der jüngsten Spätaussiedler-Welle, die seit Ende der neunziger Jahre aus der früheren Sowjetunion kam. "Die sind sowjetisch geprägt und sprechen oft schlecht Deutsch." Zuvor waren noch viele Menschen aus Ländern wie Polen oder Ungarn eingewandert.

Adolf Fetsch wehrt sich gegen solche Betrachtungen, schon von Berufs wegen. Fetsch ist Vorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und nennt die Aussiedler-Zuwanderung ein ,,gelungenes Werk''. Man dürfe nicht einzelne Auffälligkeiten wie die Jugendlichen herausgreifen, sagt er. ,,Die Aggression hatte auch mit Benachteiligung zu tun, etwa wenn junge Aussiedler nicht in eine Disko durften.'' Seine Landsleute hätten sich schnell eine Arbeit gesucht, ihre Ausbildungen seien jedoch zu oft nicht anerkannt worden, klagt Fetsch.

Ein Drittel ohne Job

Auf die Bundesagentur für Arbeit und deren Forschungsinstitut IAB ist er schlecht zu sprechen. Denn IAB-Forscher Rüdiger Wapler nährt Zweifel an einer gelungenen Eingliederung. In einer Studie hat er vergangenes Jahr ein vernichtendes Urteil über Aussiedler auf dem Arbeitsmarkt gefällt. Sie seien dort ,,viel weniger erfolgreich'' als die übrigen Deutschen und sogar weniger als Ausländer. ,,Ein gutes Drittel ist arbeitslos'', heißt es in dem Bericht. Gemildert wird das Urteil nur durch die statistische Schieflage der Untersuchung: Sie fällt ihr Urteil zum Großteil auf Grundlage der seit 2000 ins Land Gekommenen, also der Gruppe, die als schwierig gilt. Ähnlich wie Kerner sieht Wapler diese Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion besonders skeptisch. ,,Je später die gekommen sind, desto schlechter sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.''

Um die seit langem in Deutschland lebenden Aussiedler ist es dagegen recht ruhig geworden, wie ein Blick ins badische Lahr zeigt. Gut ein Fünftel der 44000 Einwohner dort sind Aussiedler, einer der höchsten Anteile bundesweit. Anfang der neunziger Jahre hatte es hier tödliche Streitereien zwischen Aussiedlern gegeben, Bürger beschwerten sich über kriminelle Jugendliche, viele fanden keine Stelle. Nun gebe es kaum noch Probleme mit der Polizei, sagt Andreas May, der für die Stadt Aussiedler betreut. Mittlerweile hätten viele gute Stellen gefunden, sie hätten ,,jeden Job angenommen, weil man ohne Arbeit nichts gilt''. Voll integriert sind zahlreiche Aussiedler aber auch in Lahr nicht, sagt May: Bis heute sprächen viele nur gebrochen Deutsch.

© SZ vom 3./4.Mai 2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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