Angebliche Hilferufe bei Primark:Schädliche Kampagne

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Die Textilkette Primark ist wohl Opfer einer Kampagne geworden. (Foto: dpa)

Primark ist wohl Opfer einer Kampagne geworden. Trotzdem sind die irische Textilkette und ihre Kunden nicht frei von Schuld. Aber Organisationen wie Amnesty International und Greenpeace müssen dringend auf ihre Reputation achten.

Ein Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Der Fall schien sonnenklar zu sein. Eine Textilkette, die Kleidung für ein paar Euro anbietet, gerät in die Kritik. Das irische Unternehmen Primark soll von chinesischer Gefängnis-Zwangsarbeit profitiert haben. Hilferufe von Zwangsarbeitern - in Kleidungsstücke eingenäht - sollen das belegen. Ein Unternehmen steht als Menschenschinder am Pranger. Und wieder wird die Ausbeutung von Menschen in finsteren Kleiderfabriken zum Thema.

Das Thema Zwangsarbeit in Gefängnissen ist ernst, wie gerade eine Studie über Sklavenarbeit in DDR-Gefängnissen zugunsten westdeutscher Firmen zeigt. Fragwürdig sind auch die schmutzigen Geschäfte von Billigtextilketten, die ihre Waren in Fabriken fertigen lassen wie jener in Bangladesch, wo im vergangenen Jahr bei einem Gebäudeeinsturz mehr als tausend Menschen zu Tode kamen.

Deshalb berichteten Medien, darunter der angesehene britische Fernsehsender BBC und auch die Süddeutsche Zeitung, über den Fall Primark, auch Amnesty International unterstützte die Kampagne. Nun sieht es so aus, als gebe es diesen Skandal gar nicht. Die angeblichen Briefe aus den chinesischen Gefängnissen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Fälschungen. Zu viele Indizien sprechen dagegen, dass diese Hilfeschreie von chinesischen Zwangsarbeitern echt sind. Primark ist offenbar das Opfer einer Kampagne geworden.

Und trotzdem ist das irische Unternehmen nicht frei von Schuld.

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Der Druck wird stärker: Erst finden Kunden der Textilfirma Primark eingenähte Zettel mit mutmaßlichen Hilferufen in der Kleidung. Nun gibt es auch in Hannover Ärger - dort sollen Mitarbeiter des Konzerns überwacht worden sein.

Von Kristina Läsker

Die Textilkette, die Ende der sechziger Jahre in Irland gegründet worden war und die seit 2012 in Deutschland aktiv ist, hat ein angreifbares Geschäftsprinzip: Sie verkauft Kleidung zu Preisen, die sogar den notorischen Branchen-Billigheimer H&M unterbieten. Dieses Prinzip, von dem auch andere namhafte Marken profitieren, kann nur funktionieren, wenn irgendwo in der Welt Menschen ausgebeutet werden.

Aber auch die Käufer der Produkte müssen sich Fragen stellen lassen. Ihnen muss klar sein, dass sie von den Niedrigpreisen nur profitieren, weil andere die Rechnung bezahlen. Weil die Geschäfte mit Billigtextilien so widerlich sind, eignen sie sich für Wellen der Empörung. Deshalb hat der Fall Primark auch Ähnlichkeiten mit einem anderen Skandal, der keiner war.

Im Jahr 1995 attackierte die Umweltorganisation Greenpeace den Ölmulti Shell, der eine Ölplattform versenken und damit zugleich gewaltige Mengen Öl ins Meer schütten wollte. Die Medien spielten bereitwillig mit und kritisierten den bösen Ölkonzern, Autofahrer boykottierten Shell-Tankstellen und tankten guten Gewissens woanders. Der Schaden für Shell war riesig. Am Ende war der Fall Brent Spar die größte Image-Katastrophe von Greenpeace - denn die Sache stimmte einfach nicht. Die Umweltaktivisten mussten sich entschuldigen.

Auch im Fall Primark ist die Empörung groß, nicht weil die chinesische Gefängnisarbeit eindeutig belegt wäre, sondern weil viele Menschen dem irischen Unternehmen solche Praktiken ohne Weiteres zutrauen. Die vernetzte Welt sorgt für schnelle Verbreitung der Ungeheuerlichkeit und selbst Amnesty International versagte. Man sei sich zwar nicht sicher, ob die Briefe echt seien, sagte ein eifriger irischer Aktivist. "Aber es ist zu befürchten, dass es nur die Spitze des Eisbergs ist." Das musste reichen, um die Empörung über einen Konzern anzuheizen.

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17 Cent Stundenlohn, ein Minister für Jute - und Behörden, die mit der schwachen Stellung der Arbeiter um Geld werben: Bangladesch ist von der Modeproduktion für reiche Länder abhängig. Die Katastrophe von Savar hat es nun mit schrecklicher Kraft in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerissen.

Von Jannis Brühl

Gefährliche Kritik von Amnesty International und Greenpeace

Solche Kritik ist fatal, auch wenn sie von Aktivisten mit besten Absichten kommt und sie Firmen trifft, die Dreck am Stecken haben. Wer Primark mit gefälschten Information anprangert, schadet nicht nur einem Unternehmen, sondern auch der Ausleuchtung einer dunklen Lieferkette vieler Firmen. Wo Primark in die Kritik gezerrt wird, können sich andere Sünder bequem wegducken. Viele Unternehmen profitieren von Sklavenarbeit. Nicht nur Primark.

Die Kritik an den Geschäften der Billigketten ist nötiger denn je. Nur mit Aufklärung über die zweifelhaften Arbeitsbedingungen lässt sich bei den Konsumenten ein Bewusstsein dafür erzeugen, dass es fragwürdig ist, solche Waren zu kaufen. Doch wo Kritik dadurch entwertet wird, dass sie auch mit dem Mittel des Schwindels arbeitet, kann es keine Verbesserung der Lage ausgebeuteter Menschen geben.

Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International haben eine hohe Reputation, die sie nicht aufs Spiel setzen dürfen. Bevor sie sich an die Spitze einer Kampagne setzen, müssen sie selbst gewissenhaft prüfen, wie haltbar die Fakten sind, auf denen sie beruhen. Aber auch die Medien haben eine Verantwortung. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles, was scheinbar empörend ist, auch den Tatsachen entspricht.

© SZ vom 01.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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