Ramadan:Fasten in fünf Phasen

Ramadan: Indonesische Muslime warten in einer Moschee in Jakarta auf den Sonnenuntergang

Indonesische Muslime warten in einer Moschee in Jakarta auf den Sonnenuntergang

(Foto: AP)

Unser Autor fastet. Das heißt, er trinkt und isst nichts, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Wie das funktioniert? Ein Tag zwischen Schlummer-Funktion und Energiesparmodus.

Von Hakan Tanriverdi

Seit dem 29. Juni ist Ramadan - der Fastenmonat für Muslime. Während dieser Zeit fasten weltweit 1,3 Milliarden Muslime, von dem Moment, da die Sonne aufgeht (an diesem Mittwoch in München um 3.42 Uhr) bis sie wieder verschwunden ist (21.24 Uhr). Sie essen und trinken nicht, sie rauchen auch keine Zigaretten. Doch wie genau läuft so ein Tag eigentlich ab? Nun, es gibt 1,3 Milliarden mögliche Antworten. Das hier ist meine.

Phase 1: Aufstehen, Kurzversion (2.30 Uhr)

Der Wecker schellt, aber das ist kein Problem, denn ich bin vorbereitet.

Snooze

Mein Smartphone-Bildschirm: Alle paar Minuten klingelt ein Wecker.

(Foto: Screenshot)

Es gibt ja viele Studien, die besagen, dass es dämlich ist, die "Schlummern"-Funktion des Smartphones oder Weckers zu nutzen, im Fastenmonat muss man trotzdem eine Ausnahme machen: Denn es gibt die reale Möglichkeit, dass ich direkt in den Tiefschlaf zurückfalle und erst wieder zu meiner regulären Aufstehzeit um 6.30 Uhr wach werde. Falls das passiert: Super, ich starte ausgeruhter in den Tag als geplant! Falls das nicht passiert: Macht nichts, es gibt Essen! Eine Win-Win-Situation also.

Seit ich aber nicht mehr bei meinen Eltern wohne, sondern in einer WG, in der ich dann doch die einzige Person bin, die fastet, bleibe ich lieber liegen. Morgens um drei kaut es sich eher einsam.

Die meisten essen gemeinsam zu dieser Zeit, mitten in der Nacht. Der Tee ist frisch gebrüht, man redet im Flüsterton, um die nicht-fastenden Nachbarn nicht zu stören. Aber die Stimme ist ein Reibeisen und zerteilt ganz zwangsläufig die Nacht. Also zischt alle zwei Minuten einer "Die Nachbarn, die Nachbarn! Seid mal leiser!". Man schiebt sich schnell noch ein Käsebrot und eine Handvoll Oliven in den Mund und entscheidet nach zehn Minuten, dass man jetzt satt ist. Auf halbem Weg kehrt man um und kippt sich doch noch zwei kleine Gläser Wasser in den Hals - sicher ist sicher. Schnell noch Zähne putzen, ab ins Zimmer. Das Bett ist noch warm, perfekt zum Einkuscheln.

Phase 2: Aufstehen, Langversion (6.30 Uhr)

Das erste Gefühl, noch bevor man sich wachstreckt: Hunger. Was natürlich sehr unlogisch ist, schließlich ist die letzte Mahlzeit keine drei Stunden her. Aber es ist, wie es ist; der Magen brummt sich in den Tag.

Auf dem Weg zur Arbeit wettet man mit sich selbst, wie viele Fragen es in diesem Jahr dauern wird, bis alle Kollegen alles gefragt haben. Darf man wirklich nicht trinken? Was ist, wenn die Sonne nicht untergeht? Um das an dieser Stelle abzukürzen: Alle Fragen und (fast) alle Antworten finden Sie in diesem Text.

Phase 3: High Noon für Verbote (ab 12 Uhr)

Ein normaler Arbeitstag bietet viele Lücken, die gefüllt werden wollen. Der Computer fährt hoch und stürzt kurz darauf wieder ab, beide Male entstehen Pausen. Ich gehe also in die Küche, schnappe mir ein Glas, schlurfe zum Wasserbehälter und zapfe mir Mineralwasser. Auf der Anzeige steht, dass das Wasser zehn Grad hat, also angenehm kühl sein wird. Ich fühle das in meinen Fingerspitzen, die das Glas halten.

Ich setze mich an meinen Platz, setze das Glas an die Lippen, nehme einen Schluck und während ich das kalte, klare Wasser genieße - und zwar so sehr, dass ich meine Augen dabei schließe - fällt mir, wohlgemerkt noch vor dem zweiten Schluck, ein, warum das gerade so sensationell gut schmeckt. "Ich faste!", denke ich, während es im Gaumen noch nachsprudelt. Was ich mache, ist verboten. Ich darf nichts essen, nichts trinken. Die Wasserglas-Routine läuft automatisch ab, genauso wie das beiläufige Chips-in-den-Mund-werfen, weil es sonst gerade nichts Spannendes zu tun gibt.

Solange ich diese Dinge nicht bewusst mache (und das mache ich nicht), zählt das nicht als Regelbruch (der Islam ist da sehr lax in seiner Auslegung); aber Weitertrinken ist auch nicht drin. Also warte ich darauf, bis mein Computer erneut abstürzt, gehe dann in die Küche und schütte den Restinhalt weg. Ja, das kann man kritisieren, es ist eine unnötige Verschwendung. Aber soll ich ein angetrunkenes Glas umfüllen und dann den Kollegen anbieten?

Phase 4: Hallo, Zombie (16 Uhr)

Was ich jetzt schreibe, das ist, wie alles, sehr individuell. Ich kenne Menschen, die während des Ramadan ein paar Stunden früher anfangen, damit sie spätestens um 16 ihre Arbeit beenden können. Ich kenne aber auch Menschen, die kein Problem haben, um 16 Uhr ein paar Sprints hinzulegen und Fußball zu spielen.

Bei mir persönlich ist es also folgendermaßen: An manchen Nachmittagen setzt ab 16 Uhr eine gewisse Müdigkeit ein. Wenn ich müde sage, dann kann das variieren. Mal bedeutet das, ich könnte einem Medizinball nicht ausweichen, auch nicht, wenn man mir zehn Sekunden vorher ankündigt, dass in nächster Zeit etwas Großes auf mich zukommen wird. Mal bedeutet es auch nur, dass ich maulfaul werde. Kurz. Ang'bundn. In den Energiesparmodus übergehe. Es ist schließlich wie mit einem Smartphone. Jedes Starten einer neuen App verbraucht unnötig viel Batterie. Wenn ich also ohnehin schon auf 20 Prozent stehe, spiele ich nicht auch noch Angrybirds. Ich beschränke mich also auf das Minimum. Schreiben, in diesem Fall.

Phase 5: Das große Fressen (21 Uhr)

*mampf* Sorry, kann grade nicht, ich hab' den Mund voll! Ja, auch die nächsten Stunden noch.

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