Polizeigewalt vor Gericht:Dreistündige Tortur

Die Staatsanwaltschaft wollte die Angelegenheit mit einem Strafbefehl beenden. Doch der Richter verweigerte die Unterschrift. Nun muss sich ein Polizeibeamter in Rosenheim wegen Körperverletzung verantworten.

Von Heiner Effern, Rosenheim

Richter Christian Baier hält zur Verdeutlichung ein Foto aus der Akte in den Saal, als der Zeuge Werner B. von seinem Leid in den ersten Stunden des Jahres 2013 erzählt hat. Der Computer-Fachmann sieht darauf aus, als ob er in eine Kneipenschlägerei englischer Fußballfans geraten wäre. Über dem Auge hat er einen blutigen Cut, das Gesicht ist verschwollen, voller Kratzer und Schürfwunden. Doch Werner B. geriet in der Silvesternacht nicht zwischen die Fäuste britischer Hooligans, er wurde von deutschen Polizeibeamten in der oberbayerischen Stadt Wasserburg festgenommen. Einer der Beamten sitzt nun auf der Anklagebank im Saal 21 des Amtsgerichts Rosenheim. Martin S., 35, wird vorsätzliche Körperverletzung im Amt vorgeworfen.

Der Polizist, beigefarbener Anzug, weißes Hemd, millimeterkurze Haare, stark gestutzter Vollbart, will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, wie es sein Recht ist. Also ruft Richter Baier den Nebenkläger Werner B. in den Zeugenstand, der die Nacht aus seiner Sicht schildert. Gegen 2.15 Uhr habe er vor der Gaststätte Roter Turm einen Beamten angesprochen, der gerade einen Jugendlichen kontrolliert hat, sagt er. Der rüde Ton des Polizisten habe ihm nicht gefallen.

Der Beamte, der nun angeklagt ist, kam um die offene Beifahrertür herum und griff ihm an den Oberarm. Wenige Sekunden später fand sich Werner B. mit dem Oberkörper über der Motorhaube wieder, gepackt und geschüttelt von Martin S. und einem weiteren Beamten, der dazugekommen war. Er wollte sich herausdrehen aus dem Griff, eine Rangelei begann und eine Nacht, wie sie B. in einem Rechtsstaat nicht für möglich gehalten hat.

Zeugen sagten später vor der Polizei aus, dass die Beamten im weiteren Verlauf Werner B. noch kräftig mit dem Kopf an das Autodach stießen. Daran erinnert er sich nicht. Er habe wohl "einen Blackout" gehabt, sagt er. Als sich die Situation zwischenzeitlich beruhigte, setzten ihn die Beamten nicht in den Wagen, sondern brachten ihn weg von den mittlerweile zahlreichen Zuschauern hinter eine Art Verschlag. Im Nu sei er auf dem Bauch am Boden gelegen, sagt Werner B.

Der angeklagte Martin S. habe mit seinem Knie seinen Kopf und Oberkörper fixiert. Dann habe er ihm die Hände schmerzhaft über den Rücken nach oben gezogen, um Handschellen anzulegen. Erst das zweite Paar eines Kollegen griff. Martin S. habe sich dann Handschuhe angezogen und ihm auch noch die Finger so umgebogen, dass einer noch heute unter gewissen Belastungen schmerzt. Seine Brille sei da schon lange weg gewesen. Werner B. hat 4,5 Dioptrien.

Der Richter verweigerte die Unterschrift

Anschließend brachten ihn die Beamten in einen Polizeibus. Martin S. habe ihn auf dem Rücksitz zwischen Rücklehne und Fenster eingekeilt, sagt Werner B. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Als er sich beschwerte, habe ihn der Beamte ein kleines Stück Scheiße genannt, und dann habe er zugeschlagen. Beim zweiten Hieb mit der Faust ins Gesicht habe er Nässe über dem Auge gespürt, sagt der Zeuge, doch der Beamte habe weiter zugeschlagen, mindestens noch ein oder zwei Mal.

In der Garage der Polizeistation habe er dann aussteigen müssen und sei sofort von Martin S. in den Schwitzkasten genommen worden. An der Tür in die Dienststelle habe der Polizist mit ihm einen Ausfallschritt nach rechts gemacht. Sein nach vorne gezwungener Kopf sei so an der Wand gelandet, erinnert sich der Zeuge. "Hoppala", habe der Polizist gesagt.

Gegen fünf Uhr wurde Werner B. entlassen, ohne seine Brille und seine Uhr. Im Krankenhaus musste er über dem Auge genäht werden, zudem erbrach er sich. Das Verfahren gegen Werner B. wurde ebenso eingestellt wie die gegen andere Polizisten. Dass sich Martin S. nun in öffentlicher Verhandlung verantworten muss, kommt überraschend. Die Staatsanwaltschaft wollte die Angelegenheit mit einem Strafbefehl beenden. Doch Richter Christian Baier verweigerte die Unterschrift. Er findet, dass das angesichts der Verletzungen und der widersprüchlichen Aussagen von Zeugen und Polizisten ein dürftiges Ende gewesen wäre. Bis zum 1. August hat er noch sechs Prozesstage angesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: