Benedikt XVI. in den USA:Im Zweifel für den Papst

Amerikas Gläubige feiern den Papst. Für den Moment sind sie gern bereit, über die Krisen und Skandale in der katholischen Kirche der USA hinwegzujubeln.

Reymer Klüver

Das ist der Moment. Auf ihn hat Conrad Murphy gewartet, seit Wochen schon. "Der Besuch des Papstes gibt uns den Auftrieb, den wir jetzt brauchen", sagt der junge Mann, ein sichtlich aufgeweckter Student, der im dritten Collegejahr an der George-Washington-University in der amerikanischen Hauptstadt studiert und nun mit 46.000 anderen Menschen in einer der blauen Plastikstuhlreihen im niegelnagelneuen Baseball-Stadion der Washington Nationals sitzt, Sektion 138, Reihe T, Sitz 29.

Der Papst wird in den USA bejubelt; Reuters

"Möge die Zeit, die wir zusammen verbringen, uns helfen, Erneuerung zu finden: Die Ränge im Baseball-Stadion der Washington Nationals waren voll als Papst Benedikt XVI. seine erste Großmesse auf dem Boden der USA las.

(Foto: Foto: Reuters)

Und unten, da steht der Mann der Hoffnung nun, auf einem mit weißem und goldenem Tuch ausgeschlagenen Podium hinter dem Altar mit den sieben weißen Kerzen in vergoldeten Haltern. So fern ist er und doch so nah, wie ihm Conrad sonst wohl nie mehr kommen wird. Ein weißhaariger Greis aus Deutschland mit einem feinen Lächeln und einem tiefschürfenden, scheuen Blick und den roten Prada-Schuhen unter der purpurfarbenen Soutane, die so etwas wie sein Erkennungszeichen geworden sind.

Nun hebt er die Arme wie zum Segen, nickt der Menge zu, legt in Demut, ja fast flehentlich die Hände zusammen, als sei ihm der aufbrandende Beifall fast peinlich. "Friede sei mit euch", sagt er auf Englisch, mit dem unverkennbaren bayerischen Akzent. "Möge die Zeit, die wir zusammen verbringen, uns helfen, Erneuerung zu finden." Es ist zehn Uhr morgens.

Mahnung unter vier Augen

Dies ist die erste Großmesse von Benedikt XVI. auf amerikanischem Boden, in einem Land, wo sich so viele Menschen wie in keinem anderen westlichen Industrieland offen zu ihren religiösen Gefühlen bekennen. Eigentlich ein Grund zum Feiern. Die Notablen in den Amtsstuben des Vatikans hatten in den vergangenen Tagen geradezu überdeutlich zu verstehen gegeben, wie sehr das Oberhaupt der katholischen Christen Amerika dafür schätzt, ein durch und durch säkulares Land zu sein, ohne die Religion über Bord geworfen zu haben. Und doch ist er gekommen, weil seine Kirche in den USA Jahre einer tiefen Krise durchlebt.

Die Gläubigen brauchen Ermutigung wie wohl noch nie. Es ist eine Krise, deren Ursachen zum Teil jedenfalls ein selbstgemachtes Kreuz sind, wenn man die Heimsuchung des tausendfachen, über Jahrzehnte nicht geahndeten Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester der Kirche so nennen mag. Schleichender und vielleicht nachhaltiger aber ist eine andere Entwicklung: Was die Menschen in den Vereinigten Staaten denken und fühlen, hat sich in den vergangenen Jahren nur immer weiter entfernt von den Lehren aus dem fernen Vatikan.

Dennoch ist die Aufmerksamkeit für diesen Besuch immens, das Wohlwollen gewaltig, das Benedikt in den USA entgegenschlägt. Die Washington Post feiert die Visite schon als "historisch", da ist er noch keine 24 Stunden im Land. CNN meldet nach stundenlanger Live-Berichterstattung: "Pope wows Washington." Was man nur unzureichend übersetzt mit: Der Papst begeistert Washington. Tatsächlich singen die Menschen spontan "Happy Birthday", wo immer der Papst am Mittwoch erscheint, seinem 81. Geburtstag und dem zweiten Besuchstag: auf dem Rasen vor dem Weißen Haus bei der offiziellen Begrüßung durch Präsident George W. Bush am Morgen oder abends in der Basilika im Nordosten Washingtons.

Präsident Bush hatte den Ton vorgegeben, als er am Dienstag hinausgefahren war mit Frau Laura und Tochter Jenna zum Flughafen Andrews, um Benedikt zu begrüßen. Das hatte er noch für keinen Staatsgast getan. Und der Secret Service, so ist zu hören, bewacht den Pontifex mit einem Aufwand, wie er sonst nur dem Präsidenten zuteil wird.

Dann am Mittwoch die offizielle Begrüßung mit 21 Schuss Salut und mehr als 13.000 Gästen und einer vierstöckigen Geburtstagstorte für den Papst. Auch das hatte es zumindest in der Zeit des jetzigen Regenten im Weißen Haus noch nicht gegeben. Ebenso wenig wie am Abend ein Geburtstagsdinner im pompösen East Room - ohne den Ehrengast. Der Papst hatte frühzeitig abgesagt, weil er seine Bischöfe treffen musste. Das hielt den Präsidenten, dem derlei Abendtermine eigentlich zuwider sind, nicht davon ab, bayerische Spezialitäten zu Benedikts Ehren auffahren zu lassen.

Bei ihrem Zusammentreffen im Weißen Haus umschmeichelte Bush seinen Gast, in dem er einen Bruder im Geiste erkennt im Kampf wider moralische Vieldeutigkeit und Beliebigkeit der modernen Welt. "Heiliger Vater", sagte er, "wir brauchen Ihre Botschaft, dass Gott Liebe ist." Der revanchierte sich mit Artigkeiten, sagte zum Schluss seiner Rede gar "God bless America", Gott segne Amerika.

Aber aller Herzlichkeit zum Trotz mahnte der Papst den Chef der Weltmacht in ihrer knapp einstündigen Unterredung nur zu zweit - kein Berater war zugelassen -, im Kampf gegen den Terror das Maß nicht zu verlieren und die Menschenrechte zu achten. Wie anders ist sonst der kryptische Satz aus dem gemeinsamen Kommuniqué zu verstehen, für den Präsidentensprecherin Dana Perino schmallippig keine offizielle Erklärung hatte? Dort hieß es, man habe darüber geredet, dass man "dem Terrorismus mit angemessenen Mitteln begegnen muss, die die menschliche Person und ihre Rechte respektieren".

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Im Zweifel für den Papst

Und von geradezu abgründiger Ironie war der Umstand, dass just zu der Stunde, da der Präsident den Papst empfing, nur eine Meile weiter die Pennsylvania Avenue entlang der Oberste Gerichtshof die Pause für Hinrichtungen wieder aufhob, die er vor Monaten erst erlassen hatte. Immer wieder hatte dieser Papst die USA gemahnt, als letztes Land des Westens endlich die unwürdige Praxis abzuschaffen, Menschen wie Tiere tot zu spritzen. Und nun wird sie trotzig ausgerechnet während seiner Visite bestätigt. Doch das ist nicht mehr als ein flüchtiger Schatten an diesen sonnigen Frühlingstagen in Washington.

Hirte und Schäferhund

Amerika will diesen Papst feiern. Auch wenn es den Mann nicht wirklich kennt: Ein Drittel aller US-Bürger weiß mit dem Namen Benedikt nichts anzufangen. Doch die, die ihn kennen - drei Viertel aller Katholiken und immerhin noch fast die Hälfte aller Amerikaner - haben einen guten Eindruck vom Oberhaupt der Kirche. Auch wenn zu spüren ist, wie sehr diesem Mann des Geistes, des scharfen Arguments, die allumarmende Kultur des Gefühls in diesem Land, diese überschwängliche Wärme seines Empfangs fremd ist.

Das ist schon zu merken, als er bei seiner Ankunft am Dienstagnachmittag trippelnden Schrittes eilig die Gangway hinuntergeht - als könne er so die Zeit abkürzen, die er ungeschützt dem Jubel des handverlesenen Empfangskomitees (es sind meist Soldaten und ihre Angehörigen) ausgesetzt ist. Zur Begrüßung hebt er beide Hände, als er neben dem Präsidenten den roten Teppich entlangschreitet - und winkt mit den Fingern.

Auch entlang der Pennsylvania Avenue ist das zu erleben, der sechsspurigen Prachtachse quer durch Washington, als Benedikt das Weiße Haus in seinem Papamobil um Punkt zwölf Uhr mittags verlässt. Zu Zehntausenden säumen die Menschen die Prozessionsstrecke. Gerade vor dem Tor des Weißen Hauses stehen die Treuesten der Treuen.

"Neokatechumenale" aus Houston, eine Gruppierung innerhalb der katholischen Kirche mit besonders strikten Glaubensriten, der Benedikt nicht ganz abgeneigt gegenübersteht, sind in Gemeindestärke nach Washington gepilgert. Nun recken sie ein Banner hoch, auf dem zu lesen ist: "Willkommen, süßer Christus auf Erden!" Auf Deutsch.

Andere sind etwas lockerer und haben auf ein handgemaltes Plakat in bunten Farben geschrieben: "We love our German Shepherd." Was eine ausgelassene Zweideutigkeit ist. Denn das heißt zum einen, dass sie ihren deutschen Hirten begrüßen. German Shepherds sind aber auch die in Amerika wegen ihres ausgeglichenen Gemüts sehr beliebten Deutschen Schäferhunde. Daneben tanzt eine Gruppe mexikanischer Indios im Kreis, zu Trommelschlägen und Gitarrenwirbeln, mit den Füßen stampfend und unentwegt Halleluja singend.

Es ist ein Volksfest. Und ausgerechnet hier rast das Papamobil durch die von Tausenden Polizisten freigehaltene Schneise. So schnell, dass die Leibwächter vom Secret Service auf ihr schwarzes Begleitfahrzeug aufspringen müssen und nicht neben dem weißen Gefährt Benedikts entlanglaufen können. Der Papst bemüht sich sichtlich: Nach beiden Seiten winkt er hinter dem grünlich schimmernden Panzerglas den Menschen zu, die ihm auf der Straße zujubeln und in Trauben hinter den Fenstern der Bürohochhäuser stehen.

"Religion ist nichts Privates"

Der Papst und seine Zuschauer - Menschen, die sich nur hinter Glasscheiben begegnen. Das ist natürlich Zufall und allein durch die Umstände bedingt. Doch wenn man so will, ist es fast sinnbildlich für die Distanz, die den Papst umgibt selbst in Momenten, da er die Nähe sucht. Nur einmal, für kurze Minuten, werden die wartenden Menschen an diesem Tag direkt zu ihm gelassen, als er die Nuntiatur des Vatikans verlässt.

Und doch erwartet einer wie Conrad, der 20 Jahre junge Student im Washingtoner Baseballstadion, der auch sonst jeden Tag die Messe besucht und überlegt, ob er Priester werden soll, Conrad also erwartet von diesem Mann einen Schub für den Glauben, "der uns Hoffnung und neuen Mut gibt". Tatsächlich gehört ein rechtgläubiger Mensch wie Conrad zur Minderheit in der katholischen Kirche Amerikas.

Denn bald zwei Drittel aller 64 Millionen Katholiken in den USA glauben, dass ihre Kirche "out of touch" ist, das Gespür für sie und ihre Nöte verloren hat. Vor drei Jahren dachte so erst die Hälfte der Kirchenmitglieder. Sie glauben, dass der bedingungslose Bann gegen Abtreibungen falsch ist. Sie glauben, dass der Widerstand der Kirche gegen Scheidungen und Wiederheirat Quatsch und die Ablehnung von Verhütungsmaßnahmen von gestern ist. Und in all diese Wirrnis kamen dann die Enthüllungen über tausendfachen Missbrauch von Jungen und Mädchen durch Priester, der über Jahrzehnte von der Kirche gedeckt wurde.

Der Papst ist aber nicht nach Amerika gereist, um ihnen entgegenzukommen. Keinen Zentimeter hat er sich den Moralvorstellungen seiner Herde angenähert. Das ist das eine. Am Abend in der Krypta von Washingtons Basilika geißelt er den "subtilen Einfluss der Säkularisierung" auch in Amerika und wettert gegen "sexuelles Verhalten im Widerspruch zur katholischen Morallehre". Und dann, mit schneidender Schärfe: "Jeder Tendenz, Religion als Privatsache zu behandeln, muss Widerstand geleistet werden."

Doch hat er erkannt, wie schwer der Missbrauchsskandal noch immer auf Amerikas Katholiken lastet. Schon auf dem Flug nach Washington sprach Benedikt, unerwartet, die Sache an, äußerte Scham im Namen der Kirche. Und beim Abend in der Basilika greift er die Worte eines Bischofs auf und räumt ein, dass der Skandal "manchmal sehr schlecht gehandhabt" wurde. Auch in der Messe kommt er ausführlich auf die große Schande der Kirche in Amerika sprechen. Das ist das andere. Zweifellos wollen viele Katholiken so etwas hören aus dem Mund ihres Oberhirten nach all den Jahren des Schweigens.

Vielleicht ist es diese Mischung aus moralischer Unerbittlichkeit und dem sichtbaren Bemühen des Papstes um menschliche Nähe, wie ungelenk das auch manchmal ausfallen mag, die ankommt in Amerika. "Ich habe das Gefühl", sagt Conrad in Sektion 138, Reihe T, Sitz 29, "dass meine Generation gläubiger ist als vorherige." Benedikt ist mit einer Botschaft der Erneuerung gekommen. Sie wird gehört in Amerika, mit fröhlichem Jubel - jedenfalls für ein paar Tage der Hoffnung.

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