Minenräumerinnen in Mosambik:Tagwerk von fünf Explosionen

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1500 Minenräumer gibt es in Mosambik, und erstaunlich viele von ihnen sind Frauen.

(Foto: Pascale Jérome/Handicap International)

Der Krieg ist vorbei in Mosambik. Aber wo so viele Landminen liegen, da kehrt nie Frieden ein. Gegen die unsichtbare Gefahr kämpfen vor allem Frauen - weil sie angeblich präziser arbeiten.

Von Ronen Steinke, Chimoio

Die junge Frau lauscht in die Stille hinein. Wind streicht durch trockene Bäume, ein Insekt sucht sich irgendwo in der Nähe brummend einen Platz im Schatten. Aber unter den schweren schwarzen Stiefeln, die Dorace Tembo, 26, trägt, knackt kein Grashalm mehr: Sie steht jetzt vollkommen regungslos. Den Metalldetektor, ein Gerät von der Größe eines Hockeyschlägers, legt sie hinter sich ab. Das Gerät jault noch einmal kurz auf, als es den Boden berührt. Aber nicht mehr so plötzlich und schrill wie gerade eben noch.

Der Boden ist dornig. Die 26-Jährige sinkt auf die Knie. Mit einer Gartenschere schneidet sie das Elefantengras vor sich weg, erst grob, dann immer bedächtiger, je weiter sie sich der Erde nähert. Es ist ein Fleck Erde, auf den seit dreißig Jahren kein Mensch mehr einen Fuß gesetzt hat, sonst wüsste man es. Sonst wäre hier, vor Doraces Knien, schon jetzt ein Krater.

Ihre Hände stecken in dicken, roten Gartenhandschuhen. Ihr Gesicht wird von einem klobigen Visier geschützt, ihr Körper von einem Splitterschutzanzug. "Der erste Pfeifton des Metalldetektors ist wie ein Pfeifen im Herzen", wird sie später sagen. Du weißt, da ist jemand. Aber du weißt noch nicht, wo. Solange der Angreifer sich verstecken kann, ist er im Vorteil. Also musst du ihn finden.

Mosambik trägt in seiner Flagge die Kalaschnikow. Die Tellermine wäre wahrscheinlich treffender

Es ist ein rauer, eigentlich bildschöner Landstrich an der Ostküste Afrikas, ein Gebiet, über dem riesige Vogelschwärme im Wind tanzen, unweit der mosambikanischen Kleinstadt Chimoio. Die meisten Familien, die hier leben, pflanzen Getreide an. Auch Dorace, die mit ihren klugen Augen immer ein wenig ironisch zu lächeln scheint, hat ihre Mutter und ihre Geschwister ganz in der Nähe.

Aber in der Erde lauern Landminen. Die meisten sind aus Holz und sehen aus wie Zigarrenschachteln, es ist das russische Fabrikat PMD 6. Nur ein einziges Metallstück gibt sein Geheimnis preis, das ist der Zünder, zweieinhalb Zentimeter lang. Es gibt auch ein älteres belgisches Modell, das fast gar kein Metall enthält, nur zwei winzige Sprungfedern.

Mosambik trägt in seiner Flagge die Kalaschnikow. Die Tellermine wäre wahrscheinlich treffender. Lange galt es als das minenverseuchteste Land der Erde: ein 20-Millionen-Volk, gefangen in einem einzigen riesigen Hinterhalt, gelegt von Kämpfern und Soldaten, die teils schon seit Jahrzehnten tot sind.

Hier kann man erleben, wie endemisch Minen noch immer sind - auch 17 Jahre nach ihrer völkerrechtlichen Ächtung, der sich allerdings wichtige Staaten wie die USA nicht oder nur halbherzig angeschlossen haben. Erst Ende Juni hat die Obama-Regierung ein Signal ausgesandt: Man wolle künftig keine Anti-Personen-Minen mehr herstellen. Das Arsenal der USA wolle man "schrittweise" ausmustern.

In der unschönen jüngeren Geschichte Mosambiks reihte sich Krieg an Krieg, zuerst gegen die portugiesischen Kolonialherren, dann gegen rechte Paramilitärs. Jetzt ist er zwar vorbei, seit 1992 herrscht offiziell Frieden im Land. Aber es bleibt die Frage, was das noch heißt, wenn Waffen dann autonom weiterkämpfen?

16 Millionen Minen aus dem Zweiten Weltkrieg

In ganz Mosambik gibt es heute große Werkstätten, in denen Schleifmaschinen kreischen, in denen es streng nach Kleber riecht und aussieht wie in Frankensteins Labor: Arbeiter mit Mundschutz feilen und schneiden an Körperteilen in Schweinchenrosa oder Braun, legen Kinderbeine auf Stapel, spannen einen dicken großen Oberschenkel in einen Schraubstock. "Der gehört einer Dame", sagt die Orthopädin in einer Einrichtung in Beira, der nächsten Großstadt. Der Krieg lässt das Land nicht los, solange die Fallen noch zuschnappen.

Ägyptens Armee erklärte im Jahr 2010, dass dort noch immer 16 Millionen Minen aus dem Zweiten Weltkrieg lägen. Aber den Titel des am stärksten verminten Landes der Erde geht inzwischen laut dem Jahresbericht der internationalen Landminenkampagne an den Irak, auch wegen der Streumunition, die amerikanische und andere Soldaten dort massenhaft verschossen haben. Für den Irak wagt derzeit niemand überhaupt Schätzungen, wie viele Millionen es wohl sind.

Die 26-jährige Dorace öffnet eine lederne Werkzeugtasche. Sie holt eine Gartenschaufel heraus. Sie beginnt, die Erde vor sich abzutragen. Sie gräbt nicht. Sie kratzt nur. Manchmal versucht sie, sich vorzustellen, wer ihre Gegner hier eigentlich sind - also die Soldaten von damals. Vor mehr als 30 Jahren haben sie ihre Sprengfallen gelegt, im Bürgerkriegsjahr 1983, es ging um den Schutz einer Stromtrasse vor Sabotageakten der Rebellen.

Nahe der Stelle, wo Dorace jetzt Erde wegschabt, stehen sich noch die Überreste zweier Strommasten gegenüber, das ist wohl der Grund, weshalb die Männer hier waren. Ein dicker Ring aus Landminen, bestimmt zehn Meter im Durchmesser, liegt in der Mitte zwischen ihnen. Was keinen rechten Sinn ergibt - dieser Minengürtel schützt keinen der beiden Strommasten. Also was dann?

Die Sicherheitsgasse ist das Geheimnis jedes Minenfelds. Im Krieg aber wird es oft vergessen

Vielleicht, so überlegt Dorace, hat man den Soldaten damals gesagt: Zieht einen Minenring rund um den Strommast, aber da war einer von ihnen schon umgeknickt und lag auf dem Boden. Vielleicht ist die Wahrheit auch noch plumper. Im Bürgerkrieg steckte nicht immer Berechnung hinter den Dingen, oft verschwendeten die Truppen keinen Gedanken an morgen, junge Analphabeten in Uniform vergaßen sogar, Zünder scharfzustellen, oder sie pflasterten die Erde gleich mit einer irrwitzig hohen Dichte an Minen zu, teilweise nur 30 Zentimeter Abstand dazwischen.

Der Trick bei einem Minenfeld ist eigentlich, dass man eine Sicherheitsgasse frei lässt. Ein Geheimnis. Nur derjenige, der das Minenfeld angelegt hat, kennt es und kann sich frei bewegen. Die Praxis des Bürgerkriegs aber ist, dass sich bald niemand mehr recht an irgendetwas erinnerte.

Rund um Doraces ringförmigen Minengürtel ist der Boden schon verkohlt und übersät mit Splittern. Nur in seinem Zentrum, auf einem kleinen Hügel, recken sich noch frische grüne Halme und Farne in die Höhe. Darüber spendet ein Marula-Baum Schatten, dessen Blätter mit einer natürlichen bläulichen Wachsschicht überzogen sind. Er dürfte in etwa zu jener Zeit gepflanzt worden sein, vor dreißig Jahren, schätzt Dorace. Aber was wirklich in der Mitte dieses Minenrings liegt, das wird man erst sehen, wenn sie sich Stück für Stück nach innen vorgearbeitet hat.

Minenräumerinnen in Mosambik: Frauen seien bei der gefährlichen Arbeit geduldiger und genauer, sagt einer ihrer Vorgesetzten.

Frauen seien bei der gefährlichen Arbeit geduldiger und genauer, sagt einer ihrer Vorgesetzten.

(Foto: Pascale Jérome/Handicap International)

Dorace hat Vorgesetzte, die von der Hilfsorganisation Handicap International bezahlt werden, sie sind alle Männer, sie waren alle vorher Spezialisten bei der Armee, der Mosambikaner Aderito Ismaël wie der Neuseeländer Alan Johnson. Dorace selbst hat bis zum vergangenen Jahr in einem Internetcafé gearbeitet. Als sie dort die Stellenanzeige las, dachte sie, man würde mit Hightech-Mitteln gegen die Minen arbeiten, für welche die Soldaten makabere Spitznamen haben wie "Toe popper", "Bouncing Betty" oder "Jumping Jack".

Mit einem langen Schraubenzieher stochert sie ins Erdreich, um es aufzulockern. Schräg von der Seite, flach genug, um nicht die Auslöseplatte herunterzudrücken. Wurzeln ragen in das Erdloch hinein, das so entsteht. Dorace schneidet die Wurzeln zurück, behutsam als wären es Fingernägel.

Mine aufspüren, Mine in die Luft jagen

Sie hat nicht vor, die Mine zu entschärfen. Das wäre zu gefährlich. Sondern sie kämpft gewissermaßen den Kampf von damals zu Ende, das ist der einzige Weg, der in Mosambik wie auch in vielen anderen Ländern funktioniert, und das bedeutet: Mine aufspüren, Mine in die Luft jagen, bevor sie einen selbst in die Luft jagt. 1500 Minenräumer gehen in Mosambik dieser Arbeit nach, und erstaunlich viele von ihnen sind Frauen.

"Sie neigen dazu, geduldiger zu sein, mehr auf Details zu achten", sagt Doraces Chef, Alan Johnson. "Wobei, manche so, manche so." Johnson hat lange im Irak als Minenräumer gearbeitet. Er hat auch eine Statistik parat: Die meisten Unfälle passierten sechs Monate nach Ende der Ausbildung eines Minenräumers. Genau dann, wenn viele Burschen selbstbewusst würden. Manche zu selbstbewusst.

Am Abend wird Dorace erfahren, dass an diesem Tag zwei Minenräumer von einer anderen Hilfsorganisation einen Unfall hatten. Einer hat sein Augenlicht verloren, der andere einen Arm.

Dorace sieht die Zigarrenschachtel-Mine in der Erde vor sich lange an. Die PMD 6 ist schon stark zersetzt, das Holz vollständig verrottet. Man sieht den Sprengstoff, er ist eingeschlagen in brüchiges Verpackungspapier wie ein Stück braune Seife. Dorace nimmt einen Halm Stroh vom Boden. Damit fährt sie leise über das Papier.

Auf dem Trainings-Minenfeld machten die Ausbilder mit den Neuen ein Experiment

Kann es wirklich sein, dass Frauen nur deshalb zu den Minen vorgeschickt werden, weil sie angeblich kompetenter sind? Ein Besuch bei Dorace zu Hause, außer Hörweite ihrer Chefs, zwischen einem zerschlissenen Sofa und einem Fernseher, auf dem "Tom und Jerry" läuft. Dorace erzählt, wie sie es zum ersten Mal mit der Angst zu tun bekam, voriges Jahr, bei der Ausbildung im Trainings-Minenfeld. Die Ausbilder machten damals mit den Neulingen ein etwas harsches Experiment: Sie ließen einen Sprengsatz explodieren, irgendwo außer Sicht. Und sie ließen alle glauben, ein Kollege sei auf eine Mine getreten.

Der Moment war entlarvend, erinnert sich Dorace. Die anderen Frauen, die schon Kinder hatten, riefen: Was wird mit meiner Tochter, meinem Sohn? Dorace hat damals nur gerufen: Was wird mit mir? Sie lächelt wieder ironisch, aber ihr Ton ist bitterernst. "Nur wir Frauen waren so laut. Zwei Schwestern waren vollkommen in Panik."

Vielleicht zeigen Frauen bloß offener, wie sie fühlen? Netter Versuch. Dorace winkt grinsend ab mit einer Geste, die sagt: Nicht nötig. "Nein. Frauen haben mehr Angst." Und das sei auch gar nicht verkehrt, findet sie: "Denke nie, dass du ein Profi bist. Dann wirst du Fehler machen und abstürzen."

Ihre Schwester und ihre Mutter kochen gerade, zwei ihrer kleinen Brüder sausen durch die Wellblechhütte, Dorace ist der ruhende Pol: Sie finanziert alle hier. Die Hilfsorganisation zahlt gut. Ihr Tagwerk auf dem Minenfeld heute ist damit zu Ende gegangen, dass sie fünf Minen freigelegt und mit ferngezündetem Sprengstoff zerstört hat, es hat einen Knall gegeben, eine Druckwelle und eine Rauchwolke, die kurz den ganzen Marula-Baum eingehüllt hat.

Und während Dorace noch erzählt - mit ihren lackierten Fingernägeln zeichnet sie Karten auf dem aufgeplatzten Stoff des Sofas -, kommen im Fernsehen Bilder von dem Militärkonvoi, der seit Neuestem zwei Mal täglich durch Mosambik fährt, von Nord nach Süd, von Süd nach Nord. Während Dorace und die anderen Minenräumerinnen die unfertigen Kriege der Vergangenheit zu Ende bringen, beginnen die Paramilitärs gerade wieder einen von vorne, glauben viele politische Beobachter.

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