Die CDs der Woche - Popkolumne:Spielereien von ernsten Postpunk-Typen

Surreale Musik, stylisch auf der Bühne: Sänger Paul Banks von Interpol.

Interpol-Frontmann Paul Banks bei einem Konzert in Berlin.

(Foto: Getty Images)

Bei der Auswahl ihres Albumtitels war die Band Interpol höchst kreativ - und verrät in ihrem neuesten Song außerdem, wo es sich am Besten wüten lässt. Doch obwohl alles großartig klingt, ist die neue Platte irgendwie öde. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Annett Scheffel

Dass die erstaunlichste Musik manchmal erst entsteht, wenn man gar nicht erst versucht, dem Geist der Zeit hinterherzujagen, ein Genre neu zu erfinden oder die Popkulturen der vergangenen Jahrzehnte besonders geistreich zu verquirlen - das führt die kanadische Band Alvvays diese Woche mit ihrem fantastischen Debütalbum vor.

Sommerlicher Garagen-Pop, der die Gedanken auf direktem Weg an einen kalifornischen Strand verschleppt: nostalgisch-süßlich flimmern verhallte Fuzz-Gitarren durch die Songs, wie Sonnenstrahlen bei voller Fahrt durch die Baumkronen einer Allee. Dazu die verbummeltgleichgültigeStimme von Sängerin Molly Rankin, die von durchgeknallter Verliebheit ("Archie, Marry Me") erzählt und Ausschweifungen ("Party Police") und von sozialer Beklemmung und jugendlicher Unbeholfenheit im verschrobenen Sommerhit "Adult Diversion". Melancholische Lo-Fi-Songkunst, die in den Ohren schmilzt.

Weil die Urlaubsplanung ja noch nicht abgeschlossen sein muss, schickt uns auch der schottische Folksänger Kenny Anderson alias King Creosote auf Reisen - wenn auch in eine vollkommen andere Richtung: in die raue Landschaft seines Geburtslandes. Heim- statt Fernweh also, wenn man so will. Sein üppig orchestriertes Album "From Scotland With Love" ist eine musikalische Heimatsaga, die als Soundtrack für Virginia Heaths gleichnamigen Dokumentarfilm entstand.

Aber auch als reine Tonspur funktioniert diese Musik. Die Songs erzählen bildgewaltig von sehnsüchtigen Seemannsfrauen ("Cargill") und dem Schicksal von Auswanderern ("Miserable Strangers"). Wer mehr über Schottland erfahren will, als aus einem Wikipedia-Eintrag zu erfahren ist, dem seien diese archaisch-verwunschenen Hymnen ans Herz gelegt. Gib einem Glück und wirf ihn ins Meer, sagt man in Schottland. Vielleicht sollten die Schotten lieber mehr von der herzerwärmenden Kompositionen ihres King Creosotes hören.

Wenn Sie diesen Song nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Interpol haben das Video zur ersten Single ihres neuen, für September angekündigten Albums "El Pintor" (übrigens nicht nur Spanisch für "Der Maler", sondern auch ein Anagram des Bandnamens - soviel Spielerei hätte man den ernsten New Yorker Postpunk-Typen gar nicht zugetraut) veröffentlichten. In Schwarz-Weiß-Slow-Motion surfen darin Waghalsige auf Riesenwellen. Der Song mit dem schönen Titel "All The Rage Back Home" - zu Hause wütet es sich wohl am schönsten - klingt dann aber ziemlich so wie alle Interpol-Songs der vergangenen zehn Jahre: hymnisch, atmosphärisch, dunkel. Mit anderen Worten: großartig, aber im Grunde öde. Es gehört allerdings zum offenbar unzerstörbaren Zauber der Popmusik, dass das gar kein Widerspruch sein muss.

Wenn Sie diesen Song nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Anna Calvi

Wenn man lieber hören will, wie man sich an die Gegenwart heranschleicht, ohne den eigenen Sound zu verraten, dem sei die britische Songwriterin und Sängerin Anna Calvi empfohlen, die sich auf ihrer eben erschienenen Cover-EP "Strange Weather" nicht nur David Bowie und Suicide versucht, sondern auch an "Papi Pacify" von der hochgehandelten Poststep-Newcomerin FKA Twigs. Anna Calvi klingt dabei wie Anna Calvi - und trifft den verschwurbelt-minimalistischen Geist des Songs doch ganz genau.

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Bliebe der Hip-Hop. Hier hat ein junger Rapper aus Brooklyn mit seinem Song "Hot Nigga" gerade punktgenau einen mächtigen Nerv getroffen. Die USA überschlägt sich vor Begeisterung für die harten Old-School-Gangster-Raps von Bobby Shmurda, dessen gemeinsam mit seiner Crew GS9 veröffentlichtes Mixtape von Kritikern schon als neuer Eastcoast-Klassiker gehandelt wird.

Angefangen hat alles mit dem "Shmoney Dance", einem albernen Tänzchen, dass Shmurda im dazugehörigen Video aufführt. Mittlerweile zählt der Youtube-Clip weit über 1,8 Millionen Klicks (drei Viertel davon kamen in den vergangenen drei Wochen zusammen). Dass der 20-Jährige den Status einer Internet-Sensation aber längst hinter sich hat und auf dem besten Weg ist, ein echter Star zu werden, machte am Wochenende ein Auftritt des Royal Couples der zeitgenössischen Popmusik deutlich.

Beim Konzert ihrer gemeinsamen "On The Run"-Tour in New Jersey schüttelte Beyoncé ihren Hintern im "Shmoney"-Stil und Ehemann Jay-Z änderte sogar eine seiner Textzeilen in "Come Shmoney Dance with the goodfellas". Und weil Gesetz ist, was dieser Mann sagt (zumindest in Amerika), erinnern wir uns an Kendrick Lamar, den letzten Hype dieser Größenordnung im amerikanischen Hip-Hop, machen uns auf Großes gefasst und zählen langsam bis drei. Länger dürfte der Durchbruch nicht auf sich warten lassen.

Fortlaufende Popkolumne der SZ. Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an. Auf der rechten Seite finden Sie mit der Maus den (sehr kleinen) Scrollbalken. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie die Alben, die in den vergangenen Wochen in der Popkolumne besprochen wurden und gleichzeitig bei Spotify enthalten sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: