Prozess in München:Kinderwunsch in der Grauzone

Er soll 5400 Frauen an Reproduktionskliniken im Ausland vermittelt haben. Dort sind die Gesetze weniger streng. Nun steht der ehemalige Leiter des Kinderwunsch-Informationszentrums in Ottobrunn vor Gericht.

Von Christian Rost

Rainer O. ist finanziell völlig abgebrannt, weil die Staatsanwaltschaft München I gegen ihn seit geraumer Zeit ermittelt und er deshalb angeblich keinen Job mehr findet. Er lebt vom Taschengeld, das ihm seine Ex-Frau zusteckt. Seine Freundin bezahlt ihm die Leasingraten fürs Auto, und er schläft in der Wohnung seiner Tochter auf dem Sofa.

Seine frühere Tätigkeit als Leiter des IVF Kinderwunsch-Informationszentrums in Ottobrunn macht ihn aber heute noch froh: "Ich habe knapp 4000 Paaren zu Kindern verholfen", sagte der Kaufmann am Mittwoch vor dem Münchner Amtsgericht. Der 62-Jährige muss sich wegen Beihilfe zur missbräuchlichen Fortpflanzungstechniken in 19 Fällen verantworten.

Laut Anklage vermittelte er in den Jahren 2007 bis 2010 rund 5400 Frauen aus Deutschland an eine Klinikgruppe mit Sitz in Bregenz, die in ihren Häusern Kinderwunschbehandlungen vornimmt, die das Embryonenschutzgesetz hierzulande untersagt.

Maximal drei Eizellen pro Zyklus

Nach den Angaben der Staatsanwaltschaft werden bei den Behandlungen in den Kliniken in Tschechien oder Österreich deutlich mehr Eizellen befruchtet, als in Deutschland erlaubt ist. Das Embryonenschutzgesetz sehe Befruchtungen von maximal drei Eizellen pro Zyklus vor, so die Anklage. In den Nachbarländern gilt diese Begrenzung nicht.

Rainer O. soll für seine Vermittlungstätigkeit 380 000 Euro an Provisionen von der Bregenzer Klinikgruppe erhalten haben. Dafür habe er in Deutschland niedergelassene Gynäkologen für die Zusammenarbeit mit den Reproduktionsklinken angeworben und auch Patientinnen direkt vermittelt. Mehr als hundert Frauenärzte mussten in der Folge Geldstrafen von durchschnittlich 5000 Euro zahlen, weil sie Patientinnen mit Kinderwunsch an die Kliniken verwiesen haben.

17 Ärzte und 53 Patientinnen als Zeugen

Die Staatsanwaltschaft schickte auch Rainer O. einen Strafbefehl über 300 Tagessätze zu je 250 Euro. Dagegen hat er Einspruch eingelegt. Sein Anwalt Sewarion Kirkitadse bezweifelt, dass sein Mandant etwas strafrechtlich Angreifbares getan hat. "Beihilfe zu einer Tat, die im Ausland keine Straftat darstellt, kann nicht strafbar sein", so der Verteidiger. In einem Rechtsgespräch mit dem Vorsitzenden Richter Gerhard Simon und der Staatsanwaltschaft konnte sich Kirkitadse aber nicht auf eine Einstellung des Verfahrens verständigen.

Die Anklagevertreterin verwies auf das Embryonenschutzgesetz. Nun sollen nach und nach 17 Ärzte und 53 Patientinnen als Zeugen vor Gericht gehört werden, was ein "völlig unverhältnismäßiges Spießrutenlaufen" für die Frauen werde, kritisierte der Anwalt. Als erste Zeugin sagte die frühere Sekretärin von O. aus. Sie bestätigte, dass das IVF Kinderwunsch-Informationszentrum in Ottobrunn Frauen an die Reproduktionskliniken vermittelte.

Immerhin werden die betroffenen Frauen selbst nicht kriminalisiert. Sie müssten keine strafrechtlichen Folgen für sich befürchten, versicherte die Staatsanwältin. Die Verhandlung wird am 30. Juli fortgesetzt.

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