Niederlande trauern:Ende einer engen Beziehung

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Die erste Reaktion des niederländischen Premier Mark Rutte nach dem Absturz von Flug MH17 war auffällig zurückhaltend. (Foto: dpa)

Bei der Katastrophe starben fast 200 Niederländer. Doch Regierungschef Rutte verhält sich gegenüber Russland abwartend. Jetzt zwingen ihn die Niederländer zu mehr Härte.

Von Thomas Kirchner

Es kann kaum stimmen bei 17 Millionen Einwohnern, aber in der allgemeinen Wahrnehmung kennt jeder Niederländer mindestens einen der 193 toten Landsleute aus Flug MH17 oder deren Familie persönlich.

Wohl auch, weil die Opfer aus allen Schichten kommen: unter ihnen ein Schönheitschirurg, ein städtischer Beamter, Schüler, Lehrer, sechs Fußballer des Hilversumer Clubs Olympia 25, eine Kellnerin, ein DJ, der bekannte Aids-Forscher Joep Lange, ein sozialdemokratischer Parlamentsabgeordneter, die Schatzmeisterin eines Hockeyclubs mit ihren drei Töchtern. Ein Querschnitt der Gesellschaft.

Tiefe Trauer liegt nun über dem Land. Die königliche Familie sagte ihren Ferien-Fototermin ab, Flaggen hängen auf halbmast, auf Konzerten wurden Schweigeminuten eingelegt, der Flughafen Schiphol ist ein Blumenmeer. Zehntausende trugen sich in Kondolenzlisten ein. Der gemeinsam empfundene Schock zeige, "wie eng wir in unserem kleinen Land miteinander verbunden sind", sagte Ministerpräsident Mark Rutte.

Zurückhaltender Ministerpräsident

Seine erste Reaktion am Freitag war auffällig zurückhaltend. Zu einem Zeitpunkt, da Kollegen schon die Separatisten in der Ostukraine als Hauptverdächtige dieses "Anschlags" genannt hatten, forderte Rutte, zunächst die Fakten zu klären. Außenminister Frans Timmermans flog in die Ukraine, um eine unabhängige Untersuchung des Absturzes auf den Weg zu bringen. Mit ihm reisten Experten, die bei der Identifikation der Toten helfen sollen.

Die Niederlande werden die internationale Identifizierung der Opfer in der Ostukraine koordinieren, gab Ministerpräsident Rutte am Sonntagabend bekannt.

Dass der abwartende Kurs nicht zu halten war, merkte man in Den Haag spätestens bei der samstäglichen Lektüre. "Mörder", schrieb das konservative Boulevardblatt Telegraaf über Fotos der prorussischen Rebellenführer und machte, wie viele andere Medien, Russlands Präsidenten Wladimir Putin indirekt für die Katastrophe verantwortlich. Schließlich habe dieser den Konflikt geschürt und die Kämpfer mit Waffen versorgt.

Das seriöse NRC Handelsblad fragte leise, ob die Regierung vielleicht "zu vorsichtig" sei. Ein Autor nannte die Tragödie in Anspielung auf die Terroranschläge in New York sogar "Europas 9/11". Nun müsse neu über die Sicherheitsfrage auf dem Kontinent nachgedacht werden.

Besonders verbittert haben die Niederländer die Zustände an der Absturzstelle. Der Umgang mit den Toten sei "widerlich", sagte Minister Timmermans. Dem kollektiven Ruf nach einem energischeren Auftreten gegenüber Moskau kam Rutte am Samstagabend nach, als er Putin am Telefon zum Eingreifen aufforderte. Es sei ein "sehr intensives Telefonat" gewesen, so Rutte. Er werde sich persönlich dafür einsetzen, dass die Täter gefunden und bestraft würden. Noch immer war aber keine Schuldzuweisung von dem Niederländer zu hören.

Was den Umgang mit Russland betrifft, waren die Niederlande bisher im Lager derjenigen, die Moskau hart kritisieren, aber der Diplomatie eine Chance geben. Das könnte sich ändern. Die Sonderbeziehung zu Russland, die 2013 mit einem "niederländisch-russischen Jahr" gefeiert worden war, liegt - nach Eklats wie der Verhaftung eines prügelnden russischen Diplomaten oder dem Streit über die festgenommenen Greenpeace-Aktivisten - ohnehin in Trümmern.

© SZ vom 21.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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