Europas Umgang mit Putins Russland:Umdenken nach dem Absturz

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Der britische Premier David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Sondergipfel Ende Juni in Ypern. Die drei Politiker beraten über einen "neuen Kurs" gegenüber Moskau. (Foto: dpa)

"Europa, tu was!": Nach dem Abschuss der MH17-Boeing werden Rufe nach mehr Härte gegenüber Russland lauter. Besonders der Brite Cameron fordert einen "neuen Kurs". Doch harte Sanktionen könnten auch die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen.

Von Matthias Kolb, Stephan Radomsky und Lilith Volkert

Für Arseni Jazenjuk kann es nur eine Reaktion auf den Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 geben. "Dies ist der Punkt für eine sehr harte Antwort der internationalen Gemeinschaft. Es ist höchste Zeit", fordert der ukrainische Ministerpräsident in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Was sich Jazenjuk vom Westen wünscht, überrascht wenig: "Geld, Waffen, härtere Sanktionen".

Überraschender ist ein Gastbeitrag des britischen Premiers David Cameron für die Sunday Times. Er enthält sehr deutliche Sprache gegenüber Moskau: "Wenn Präsident Putin seine Haltung zur Ukraine nicht ändert, dann müssen Europa und der Westen ihre Haltung zu Russland grundsätzlich überdenken." ( Nachzulesen bei der Kyiv Post.)

Cameron fordert nicht nur, dass Experten sofort Zugang zur Unglückstelle der abgeschossenen MH17-Boeing erhalten. Er drängt Moskau, die Unterstützung und das Training der Rebellen in der Ostukraine einzustellen - und er möchte die Ukraine enger an die EU binden. Nach Beratungen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande am Sonntag verbreitete Camerons Büro ein weiteres unmissverständliches Statement: Alle drei seien sich "einig, dass die EU ihren Ansatz gegenüber Russland überdenken und dass die Außenminister bei ihrem Treffen am Dienstag bereit sein müssen, weitere Sanktionen zu beschließen".

Russlands Nachbarn wollen Härte zeigen, Südeuropa bremst

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Dass zehn Briten an Bord von MH17 ihr Leben verloren, ist sicher ein Grund, wieso sich neben dem Niederländer Mark Rutte nun auch David Cameron für eine harte Haltung gegenüber Wladimir Putin einsetzt. Bisher argumentieren so vor allem Balten, Polen und Schweden - Stockholms Außenminister Carl Bildt macht Moskau seit langem für die Eskalation in der Ukraine verantwortlich.

In Brüssel bremsen bisher vor allem die Südeuropäer. Griechen, Italiener und Spanier haben wenig Interesse daran, dass sich die EU zu sehr auf den Konflikt mit Moskau konzentriert - und die Abhängigkeit von russischer Energie ist auch dort geringer. Allerdings dürfte das Entsetzen über den Tod von 298 unbeteiligten Zivilisten dazu führen, dass die EU-Außenminister am Dienstag sehr intensiv über weitere Strafmaßnahmen beraten werden.

Offen bleibt, ob die Außenminister dann bereits über Sanktionen der Stufe drei reden werden. Diese dritte Stufe wäre ein äußerst deutliches Signal vonseiten der Europäischen Union - und die Entscheidung darüber fällt außerdem eigentlich in die Zuständigkeit der 28 Staats-und Regierungschefs. Diese hatten Anfang März bei einem Sondergipfel überlegt, wie man in der Ukraine-Krise Druck auf Russland machen könnte - und sich auf einen Drei-Stufen-Plan geeinigt.

Zunächst wurden die Gespräche über Reiseerleichterungen und ein neues EU-Russland-Abkommen gestoppt. Als zweiten Schritt verhängte Brüssel Einreiseverbote gegen ausgewählte Politiker und Wirtschaftsführer und sperrte ihre Auslandskonten, außerdem wurde der geplante EU-Russland-Gipfel abgesagt. Mitte Juli wurden die Sanktionen gegen Entscheidungsträger und Unternehmen noch einmal ausgeweitet.

Diese Maßnahmen sind allerdings bisher kaum mehr als symbolische Akte. Russische Politiker zeigten sich nach außen von den bisherigen Maßnahmen betont unbeeindruckt. Erst Stufe drei - Finanz- und Handelssanktionen - würde richtig wehtun. Möglich wäre es, Russland zu isolieren, indem man Geschäfte mit russischen Banken verböte. Besonders hart treffen würde das Land ein Ausfuhrverbot für Öl und Gas. Auch ein Waffenembargo und ein Importverbot für Spitzentechnik sind vorstellbar.

Wahrscheinlicher erscheint es im Moment aber, dass Ukrainer und Russen auf der Namensliste landen, welche die Ermittlungen rund um MH17 behindern. In Brüssel wird überdies betont, dass es noch keine belastbaren Beweise dafür gibt, wer für den Abschuss verantwortlich ist.

Maßnahmen der Stufe drei wären auch für die europäischen Staaten äußerst kostspielig, auch deshalb zögern die verantwortlichen Staats- und Regierungschefs. Eine klar formulierte "rote Linie", bei deren Überschreiten die einschneidenden Sanktionen ausgelöst werden, gibt es nicht mehr. Im Frühjahr hieß es noch, sollte Russland die Wahl in der Ukraine verhindern, würde die dritte Stufe greifen. Die Wahl am 25. Mai, aus der Petro Poroschenko als Sieger hervorging, verlief weitgehend störungsfrei. Nun liegt es im Ermessen der EU-Politiker, zu entscheiden, ob das Verhalten Russlands nach dem MH17-Absturz Wirtschaftssanktionen rechtfertigt.

Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA) gibt sich in dieser Frage zurückhaltend. Es sei "jetzt die Stunde der Politik und nicht der Wirtschaft, die Lage zu bewerten und über mögliche Konsequenzen zu entscheiden", sagte ein Sprecher Süddeutsche.de. Die Konsequenzen aus dem Abschuss des Passagierflugzeugs seien noch völlig unklar und die möglichen Folgen für die Wirtschaft daher kaum zu beziffern.

Schon in der vergangenen Woche hatte der OA-Vorsitzende, der ehemalige Metro-Chef Eckhard Cordes, die bereits spürbaren Folgen für die heimischen Unternehmen beklagt. So seien durch den Einbruch des Handels mit Russland und der Ukraine "2014 bereits 25 000 Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet", warnte er. Zudem belasteten die zu diesem Zeitpunkt bereits verhängten Sanktionen gegen einzelne Unternehmen und Personen das Investitionsklima.

Konsequenzen für Europas Energiemarkt

Dass ausgedehnte Strafmaßnahmen gegen Moskau die Unternehmen hierzulande in der Breite treffen könnten, glaubt Michael Bräuning vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut nicht. "Wenn es zu ernsthaften Sanktionen kommt, dann wird das einige Branchen und Unternehmen sicher hart treffen - die gesamtwirtschaftliche Bedeutung Russlands für Deutschland ist aber nicht so groß", sagte der Ökonom.

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Die Frage sei zudem, wie umfassend mögliche Sanktionen tatsächlich werden. "Bisher haben sie einen geringen Effekt gehabt und vor allem für Verunsicherung gesorgt", sagte Bräuning. So sei durchaus vorstellbar, dass einige Unternehmen nur noch gegen Vorkasse oder Sofort-Bezahlung nach Russland liefern - was wiederum die Geschäfte beeinträchtige.

Heftige Konsequenzen erwartet der Forscher, sollten Russlands wichtigste Exportgüter mit einem Bann belegt werden: Öl und Gas. "Wenn die russischen Energielieferungen tatsächlich massiv eingeschränkt würden, könnte das die Energiemärkte weltweit durcheinanderwirbeln", sagte Bräuning. Die Konsequenz wären stark steigende Preise für Öl und Gas. "Das hätte massive negative Konsequenzen für Europa und den Rest der Welt."

Neben Deutschland und den Niederlanden, den wichtigsten russischen Handelspartnern in Europa, wären auch andere EU-Staaten betroffen. Der britische Außenminister Philip Hammond gibt zu, dass gerade London viel zu verlieren habe: Russen haben 27 Milliarden Pfund in die britische Hauptstadt investiert. Hammond nennt ein Hindernis auf dem Weg zur europäischen Einigung in Sachen Sanktionen: "Der Schmerz muss innerhalb der EU verteilt werden." Großbritannien könne nicht allein handeln.

Deutlich härter als die Europäer agieren bislang die Amerikaner im Umgang mit Moskau. Vergangene Woche wurden weitere schmerzhafte Sanktionen beschlossen - so darf etwa kein Geld mehr von Personen in den USA zu den beiden großen russischen Kreditinstituten Gazprombank und der Bank für Außenwirtschaft (Wneschekonombank) fließen. Dass auch strategisch wichtige Firmen wie der staatliche Energiekonzern Rosneft von den Strafmaßnahmen betroffen sind, trifft Russlands Wirtschaft härter als die Sanktionen gegen acht heimische Waffenfirmen.

Die russische Business-Elite ist zutiefst besorgt über die Auswirkungen der Sanktionen. Unter den Milliardären herrsche schieres Entsetzen, sagt Igor Bunin vom Moskauer Zentrum für Politische Technologie der Nachrichtenangentur Bloomberg. Noch traue sich aber niemand, seine Kritik am Kreml offen zu äußern, sagt Bunin: "Beim kleinsten Zeichen der Rebellion wird man sie in die Knie zwingen."

Wenn sich die mächtigen EU-Politiker Cameron, Merkel und Hollande nun zu härteren Maßnehmen entscheiden könnten, würde dies auch US-Präsident Barack Obama erfreuen. Dieser fordert seit langem, dass die Europäer in der Ukraine-Krise mehr Verantwortung übernehmen. Dies habe der US-Präsident auch Merkel bei deren Washington-Besuch im Mai gesagt.

Doch solange am morgigen Dienstag in Brüssel keine harten Strafmaßnehmen getroffen werden, bleibt die Skepsis gerade unter den Republikanern groß. "Die Europäer werden niemals die Führungsrolle übernehmen. Es ist unverzichtbar, dass Amerika voranschreitet", tönt etwa Senator Lindsay Graham. Der konservative Politiker fordert, Sanktionen gegen Präsident Putin zu beschließen. Und er möchte einen der Wünsche erfüllen, die der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk immer wieder äußert: Graham möchte Waffen an die Regierung in Kiew liefern.

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