NSU-Prozess in München:Der Verrat von Fehmarn

NSU-Prozess, Angeklagte Beate Zschäpe und Anwälte

Beate Zschäpe (Mitte) steht zwischen ihren Anwälten Anja Sturm und Wolfgang Heer.

(Foto: AFP)

Im NSU-Prozess sagen zwei Zeuginnen aus, die über Jahre mit den Neonazis im Urlaub waren. Fast wie Ersatzeltern seien die mutmaßlichen Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen - und umso größer war der Schock, als sie merkten, wer ihre Freunde wirklich waren.

Aus dem Gericht von Anna Fischhaber

  • Gericht begründet, warum Zschäpe ihre Anwälte behalten muss. Die Angeklagte im NSU-Prozess hatte ihnen überraschend vergangene Woche das Vertrauen entzogen.
  • Trotz der Verteidiger-Krise wird der Prozess planmäßig fortgesetzt, Urlaubsbekanntschaften des NSU sagen aus.
  • Eine Zeugin beschreibt die mutmaßlichen Terroristen, die sie aus Fehmarn kennt, als "lieb" und "nett" - und das Trio als gleichberechtigt.

Gericht lehnt Zschäpes Antrag ab

Es ist ein schwerer Tag für Beate Zschäpe. Um 13:09 Uhr betritt sie den Gerichtssaal, den Kopf gesenkt. Ihre drei Verteidiger sind schon da. Anja Sturm und Wolfgang Heer stehen auf, um sie vor den Fotografen abzuschirmen. Fast so als wäre nichts passiert, als hätte ihnen ihre Mandantin nicht vergangene Woche das Vertrauen entzogen. Nur der dritte Anwalt, Wolfgang Stahl, bleibt sitzen.

Dann ist der Vorsitzende Richter Manfred Götzl dran. Zschäpe schaut ihn unverwandt an, die Hände vor dem Gesicht gefaltet. "Der Antrag wird abgelehnt", sagt Götzl. Konkrete und hinreichende Anhaltspunkte, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und ihren Anwälten nachhaltig zerstört sei, gebe es nicht. Details nennt er nicht. Sagt nur, dass ein Anwalt Zschäpe mit ihrer Erklärung geholfen habe. Götzl fragt Zschäpe, ob sie noch etwas sagen will. Oder ihre Anwälte. Niemand meldet sich. Die Angeklagte blickt jetzt starr geradeaus. Dann beginnt die Zeugenbefragung.

Zeugin berichtet von lieben Urlaubsbekannten

Zunächst ist Juliane S., 21, dran. Der Auftritt fällt ihr sichtlich schwer. Die Studentin ist nervös, schluchzt immer wieder. Götzl fragt, ob sie erst eine Pause machen wolle. Doch die junge Frau will sofort aussagen, will es hinter sich bringen. Die Zeugin und ihre Familie haben Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 2005 zufällig im Sommerurlaub auf Fehmarn kennen gelernt. Sie selbst war damals ein Teenager, die mutmaßlichen Terroristen waren längst im Untergrund. Doch davon wusste Juliane S. nichts.

Man verbrachte auf der Ostseeinsel fast normale Urlaube zusammen. Sechs Jahre lang. Jahre in denen der NSU und die Familie zu Freunden wurden. Zumindest dachte das Zeugin S. damals. "Sehr lieb, sehr nett, sehr zuvorkommend, sehr lustig", so seien Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die sich als Liese, Max und Gery vorgestellt hatten, aufgetreten. Vor allem mit Zschäpe, die sie vor Gericht nur Liese nennt, habe sie sich viel ausgetauscht.

Bezahlt habe immer Zschäpe

Die Zeugin beschreibt das Trio als enge Freunde. Liese und Gery, also Böhnhardt, hätten das Ehebett geteilt, 2010 hätte er ihr plötzlich die Hand aufs Knie gelegt und sie öfter umarmt. Im Jahr danach sei es wieder vorbei gewesen. Und sie sagt etwas, das der Zschäpe-Verteidigung nicht gefallen dürfte: Die drei seien gleichberechtigt gewesen, wussten alles voneinander, hätten alles zu dritt geplant, nur bezahlt habe stets Liese, die das Geld für alle drei verwaltete. "Sie hatte einen Geldbeutel voller Scheine." Auch das einzige Handy, das sie gesehen habe, habe Liese gehört.

Die Zeugin erzählt von gemeinsamen Ausflügen, Spiel- und Grillabenden. Über Politik habe sie sich nie mit ihnen unterhalten, dafür habe ihr Max oder Gery, sie weiß nicht mehr genau wer, erklärt, wie man eine Bombe baut. "Die Männer haben so über Bomben erzählt, als hätte das jeder in seiner Jugend schon mal gemacht", sagt sie. Der Mann habe ihr die drei nötigen Zutaten genannt. Aber das habe sie nicht wirklich interessiert. Das Gericht interessiert das umso mehr.

Geburtstag mit dem NSU

Die Zeugin erzählt von Telefonaten und spontanen Besuchen unter dem Jahr. "Die drei haben dann einfach geklingelt und Geschenke vorbeigebracht." Sogar zu ihrem 17. Geburtstag hat sie das Trio eingeladen. "Das war schon eine besondere Beziehung", sagt sie. Fast wie Ersatzeltern seien die drei gewesen. "Als ich dann die Nachrichten gesehen habe ..." Sie muss eine Pause machen, weint. "Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen." Anfangs konnte sie nicht mehr zur Schule gehen, musste therapeutisch betreut werden.

Seitdem war die Familie nicht mehr auf Fehmarn. Dorthin, wo die junge Frau dem Trio nahe kam, wie nur wenige. Auch wenn sie nichts von deren Verbrechen wusste. "Das war natürlich das letzte, was man von seinen Freunden erwartet", sagt die 21-Jährige. "Ich kannte sie ja als liebe Menschen. Ich kann es bis heute nicht verstehen." Sie weint wieder. "Ich habe ihnen zu 100 Prozent vertraut. Und dann habe ich gemerkt, sie haben mich von vorne bis hinten belogen." Bis heute fragt sie sich, ob die drei sie eigentlich wirklich mochten.

Zschäpe flüstert mit Verteidiger

Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl hat noch ein paar Fragen. Seine Mandantin mustert ihn. Als er fertig ist, flüstert sie ihm etwas ins Ohr - es ist der erste Kontakt zwischen ihr und dem Anwalt an diesem Tag. "Zwei Sachen noch", sagt Stahl. Jetzt will er wissen, wie oft die Zeugin überhaupt mit dem Trio essen gewesen sei und beobachten konnte, dass Zschäpe zahlte. "Einmal die Woche", sagt S. "Warum?" Sie scheint die Frage nicht zu verstehen. Der Anwalt schaut nochmal Zschäpe an. "Vielen Dank", sagt er dann.

Richter Götzl kann sich einen Hinweis nicht verkneifen: "Sie können auch selbst Fragen stellen, Frau Zschäpe", sagt er. "Das gilt natürlich auch für die anderen Angeklagten." Das Misstrauen zwischen der Angeklagten und ihren Anwälten soll auch damit zu tun haben, dass sie mit deren Fragen unzufrieden ist. Doch Zschäpe schweigt wie immer.

"Drei völlig nette, offene Menschen"

Die zweite Zeugin, Katharina M., hat ähnliches wie Juliane S. zu berichten. Gemeinsam mit der Familie S. und "unseren Ossis", wie sie das Trio nannten, war auch ihre Familie viele Jahre lang auf der Ostseeinsel. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beschreibt sie als "eingeschworen" und als "drei völlig nette, offene Menschen". "Zu dieser Zeit wäre es nicht vorstellbar gewesen, dass sie auch nur einer Ameise etwas zu leide tun könnten." Das Verhältnis sei damals sehr vertraut gewesen. "Keiner von uns hätte je gedacht, dass das so ausgeht."

Mundlos sei am aktivsten auf die Familien zugegangen, hätte ständig Scherze gemacht. "Er war das blühende Leben." Die Angeklagte Zschäpe sei für sie und die anderen Mädchen ein Zwischending zwischen Freundin und Mutter gewesen. "Wir waren uns ähnlich, hörten beide die Ärzte, taten uns schwer mit Frauenfreundschaften", sagt sie. Die Zeugin erzählt auch, wie sie damals einen Anti-Nazi-Aufkleber an der Handtasche trug - die drei Neonazis hätten nicht reagiert.

Auch jetzt im Gericht reagiert Beate Zschäpe nicht. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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