Irak: Geheimes Video:Szenen eines Blutbads

Das US-Militär wollte die Veröffentlichung eines Films verhindern, der tödliche Schüsse auf Zivilisten in Bagdad zeigt. Wikileaks knackte das verschlüsselte Video und stellte es ins Internet.

M. F. Serrao u. J. Schmidt

Für die Nachrichtenagentur Reuters ist die Veröffentlichung des Videos mit der Erschießung zwei ihrer Angestellten durch US-Truppen im Irak ein lang erkämpfter Sieg. So groß war das Misstrauen des Reuters-Chefredakteurs David Schlesinger nach dem Tod des Fotografen Namir Noor Eldeen und seines Assistenten Said Chmagh am 12. Juli 2007, dass Schlesinger schon vier Tage später auf Konfrontationskurs zur US-Armee ging.

"Unsere ersten Untersuchungen lassen ernsthafte Fragen aufkommen, ob es zu dem Todeszeitpunkt der zwei Männer Kämpfe gegeben hat", sagte er und begann damit seinen Kampf um die Offenlegung der Wahrheit.

Bereits zwei Wochen später wurden Schlesingers Zweifel gestärkt. Bagdader Angestellte der Nachrichtenagentur sahen Video-Aufzeichnungen des Vorfalls. Reuters wollte die Bilder veröffentlichen. Doch die amerikanischen Militärvertreter, die die Bilder bei einem vertraulichen Treffen präsentiert hatten, erklärten, dafür sei formelle Anfrage nötig sei.

Noch am selben Tag beantragte Reuters die Publikation des heiklen Materials. Dabei stützte die Agentur sich auf ein Gesetz, das Amerikanern Zugang zu Dokumenten der Regierung gewährt. Jedoch haben Ministerien die Möglichkeit, Material in bestimmten Fällen zurückzuhalten, etwa wenn es als geheim eingestuft wird.

Das US-Militär verweigerte die Veröffentlichung. Ein Jahr nach den tödlichen Schüssen kritisierte Reuters das Pentagon in einem Brief: "Wir haben noch immer keine formelle Antwort." Parallel erhöhte die Nachrichtenagentur den öffentlichen Druck, indem sie im Juli 2008 eine Gedenkfeier für die getöteten Mitarbeiter in Bagdad abhielt.

Da das Pentagon das Video weiter zurückhielt, war Reuters schließlich auf die Unterstützung von Wikileaks angewiesen. Diese Website erhält oft von Informanten Dokumente von öffentlichem Interesse zugespielt und stellt sie frei zugänglich ins Netz. Nach eigenen Angaben erhielt die Wikileaks das Bagdader Bildmaterial von "mehreren Zuträgern aus dem Militär".

Julian Assange, Sprecher und Mitgründer von Wikileaks, sagte in einem Interview mit dem Fernsehsender Russia Today, dass an der Echtheit des Films "keinerlei Zweifel" bestehe. Das Material sei verschlüsselt zu Wikileaks gelangt. Er und ein Team von Krypotologen hätten daraufhin etwa drei Monate lang daran gearbeitet. Es sei darum gegangen, unter ein paar Millionen der wahrscheinlichsten Passwörter das richtige zu finden. Zum Zeitpunkt, wann Wikileaks das Video zugespielt wurde, machte Assange keine Angaben.

Seit der Gründung vor etwas mehr als drei Jahren hat das Portal, das seine Quellen nie konkret nennt, zahlreiche aufsehenerregende Daten veröffentlicht, etwa eine Liste von Mitgliedern der rechtsextremen British National Party oder Fälle von Korruption und Umweltverschmutzung.

Die Non-Profit-Organisation hinter dem Projekt heißt Sunshine Press und wurde nach eigenen Angaben von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Technikern gegründet. Es gibt eine Handvoll Vollzeit- und ein paar Hundert Teilzeitmitarbeiter, die das eingesandte Material sichten; alle arbeiten nach eigenen Angaben ehrenamtlich.

Mit der ähnlich organisierten Online-Enzyklopädie Wikipedia besteht keine Verbindung. Wikileaks finanziert sich nach eigenen Angaben über Spenden. Das Jahresbudget sehe 600.000 Dollar vor, im laufenden Jahr seien erst etwas mehr als 370.000 Dollar eingegangen. Doch nach dem spektakulären Fall aus Bagdad dürften die restlichen 230.000 Dollar schnell eingegangen sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: