Argumente gegen das Freihandelsabkommen:Rote Karte für TTIP und Ceta

Protest gegen TTIP

Protest gegen TTIP: Welche Gefahren bringt das Freihandelsabkommen mit sich?

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Den Bürgern bedeuten Demokratie und Umweltstandards viel - für die EU-Kommission und Lobbyisten behindern sie den unbegrenzten Markt. Durch die Abkommen mit den USA und Kanada werden Jobs verschwinden. Die Europäer müssen aufwachen und aktiv werden.

Von Alessa Hartmann, Ernst-Christoph Stolper und Maritta Strasser

Wenn es um TTIP, die transatlantische Freihandelspartnerschaft geht, zieht sich ein Riss durch Europa: Bürger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Parlamentarier sehen in sozialen, ökologischen und demokratischen Standards zentrale Errungenschaften. Für den EU-Handelskommissar Karel De Gucht sowie Lobbyisten von multinationalen Unternehmen sind es lästige "nichttarifäre Handelshemmnisse", die es möglichst schnell für den unbegrenzten Markt zu schleifen gilt.

Zu den Autoren

Alessa Hartmann ist Referentin für Internationale Handelspolitik beim "Forum Umwelt und Entwicklung" und Koordinatorin des Bündnisses "TTIPunfairHandelbar". Ernst-Christoph Stolper war Staatssekretär in Rheinland-Pfalz und ist im AK Internationale Umweltpolitik des BUND aktiv. Maritta Strasser arbeitet als Campaignerin bei Campact e.V.

Umwelt- und Sozialstandards, Agrarpolitik, Gentechnik, Tier- und Verbraucherschutz, Energie- und Klimapolitik, Datenschutz, Kulturpolitik, Finanzdienstleistungen, öffentliche Dienstleistungen - alles dies steht bei den Verhandlungen direkt oder indirekt auf dem Prüfstand. Und das auch noch hinter verschlossenen Türen. Wen wundert es also, wenn der Widerstand gegen TTIP und das fast fertige Abkommen mit Kanada (Ceta) immer größer wird?

Leere Versprechungen - geheime Verhandlungen

Seit der Protest gegen TTIP und Ceta um sich greift, ist die EU-Kommission vorsichtiger geworden. Europäische Standards werden nun angeblich nicht abgesenkt. Wie glaubwürdig ist es, in Verhandlungen über neue Standards zu gehen, die eigenen aber nicht antasten zu wollen? Und warum hat die Kommission bei der Verabschiedung des Mandates im vergangenen Jahr alle Versuche bekämpft, sensible Bereiche von den Verhandlungen auszuschließen?

Was tatsächlich verhandelt wird, kann auch weiterhin nicht überprüft werden. Heerscharen von Juristen in Kommission und Lobbyverbänden arbeiten an der Formulierung von Vertragstexten, aber die Bürger Europas werden mit ein paar weichgespülten Positionspapieren abgespeist. Abgeordnete dürfen demnächst Dokumente in Lesesälen einsehen, keine Notizen machen und sie schon gar nicht mit ihren Wählerinnen und Wählern besprechen. Diese Vorgehensweise ist schon ein Skandal für sich. Und die bisher "geleakten" Texte bestätigen zudem die schlimmsten Befürchtungen.

Aber vielleicht hat die EU-Kommission auch recht und europäische Standards werden wirklich nicht gesenkt, nur eben praktisch bedeutungslos - dann nämlich, wenn EU- und US-Standards wechselseitig anerkannt werden. Beispiel Zulassung von Chemikalien: Wer würde schon das aufwändige europäische Verfahren REACH beschreiten, wenn es auch nach dem einfacheren amerikanischen Verfahren ginge?

Investorenschutz oder Gemeinwohl?

In wessen Interesse TTIP und Ceta verhandelt werden, zeigt sich unserer Ansicht nach besonders beim Investitionsschutz. Im Kern geht es darum, Staaten und multinationale Unterneh­men rechtlich auf eine Stufe zu stellen, damit diese über Schiedsgerichtsverfahren (ISDS) staatliches Wohlverhalten oder Schadensersatz einklagen können. Manches Gedankengut mutet an, als hätte es eine Finanzkrise und eine Bankenrettung mit Geld der Steuerzahler durch die Staaten nie gegeben!

150 000 Bürger haben sich an der Konsultation zu ISDS beteiligt. Der Kommission ist dazu bisher nicht mehr eingefallen, als dies als "Attacke und organisierten Angriff auf die Kommission" zu bezeichnen und Änderungen bei Ceta auszuschließen, wohl wissend, dass viele US-Unternehmen klagefähige Tochterunternehmen in Kanada haben. Die Bundesregierung hat bisher ISDS in Ceta und TTIP als nicht notwendig bezeichnet. Sie muss nun Farbe bekennen und ISDS in den Verträgen ausschließen.

Dabei spricht sich immer mehr herum, dass TTIP eher Arbeitsplätze kosten als bringen wird. Selbst im besten Szenario bleibt das zusätzlich erreichbare jährliche Wachstum unter der Nachweisgrenze. Den neu entstehenden Jobs im Exportsektor stehen massive Arbeitsplatzverluste vor allem in der Landwirtschaft, aber wohl auch im Dienstleistungssektor und im Kulturbereich gegenüber.

Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und Ceta

Jetzt ist es an den Bürgern in Europa selbst, die Stimme zu erheben. Leider sehen die europäischen Verträge eine europäische Volksabstimmung nicht vor. Deswegen werden wir das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) nutzen, das mit dem Lissabon-Vertrag neu in der EU eingeführt worden ist. Es ist zwar formal schwach, kann aber politisch mächtig werden, wie das Beispiel der EBI "right2water" gezeigt hat. Auf ihren Druck hin wurde die Wasserversorgung aus der Dienstleistungs-Konzessionsrichtlinie ausgenommen.

Ab September werden wir mit unserer EBI "Stop-TTIP" daran arbeiten, TTIP und Ceta zu stoppen. Stop-TTIP wird das gemeinsame Projekt einer europäischen Bürgerbewegung, es soll den Widerstand gegen die bürgerferne und undemokratische Handelspolitik der EU in ganz Europa verankern.

Warum TTIP den Europäern aus Sicht der Befürworter vor allem Vorteile bringt, lesen Sie in diesem Gastbeitrag von EU-Handelskommissar Karel De Gucht.

Einen Themenschwerpunkt zu TTIP lesen Sie in der kommenden Woche in der Süddeutschen Zeitung und auf SZ.de im Rahmen des Projekts Die Recherche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: