Doku "Der Kinderreport" im Ersten:Fürchtet euch nicht

Die Story im Ersten

Ein Kind kostet die Eltern, bis es volljährig ist, etwa 116 000 Euro.

(Foto: ARD/Die Story im Ersten)

Sind Großfamilien asozial? Sind Kinder Karrierekiller? Stirbt Deutschland aus? "Der Kinderreport" in der ARD seziert das Großthema Familie: "Nie wussten die Eltern so viel wie heute und so wenig, was sie tun sollen."

Von Ulrike Heidenreich

Dass man Statistiken drehen und wenden kann, wie man will, weiß man nicht erst, seit kürzlich zum Jahrestag der Auszahlung des Betreuungsgeldes eine vermurkste Studie auf den Markt kam. Da entfachte eine falsch zusammengehudelte Zahl von Familien, die ihre Kleinkinder wegen der Prämie zu Hause lassen, einen Glaubenskrieg. Bei Familienthemen ist das meist so. Zu sehr rührt das an eigene Überzeugungen, an eigene Vorurteile. Da gibt es nur schwarz und weiß, richtig und falsch. Ein wenig bunter ist das Bild, das die Autorin Ulrike Gehring in Der Kinderreport - Nachwuchssorgen im Wohlstandsland zeichnet. Widersprüchlich und emotional wird es aber auch hier: Statistische Zahlen gibt es, aber sie sagen das Gegenteil aus.

Auf ihrer Spurensuche, warum die Deutschen so wenig Nachwuchs bekommen (durchschnittlich 1,4 Kinder pro Frau), stellen die Filmemacher erst einmal die These auf, dass Deutschland kinderfeindlich sei. Peu à peu dröseln sie dann auf, warum das aber nicht so sein kann. Ein Wirtschaftsprofessor aus Köln wird herangezogen, der bedeutet, dass es in Sachen "Humankapital" doch schon viel besser geworden sei. Der Ausbau der Kinderbetreuung bewege sich, nur beim Zeitbedarf Familie und Berufstätigkeit müsse noch "synchronisiert" werden.

Spätestens hier muss es vor deutschen Fernsehern zum Aufschrei kommen. Bei jenen, die gerne laut polemisieren, Mütter dürften nicht mehr zu Hause bleiben, weil sie der Industrie dienen müssten. Wenn die Autorin die provokante Frage stellt, ob Kinder "ein Sollposten auf der Lebensbilanz" seien, geht das in die gleiche Richtung. Information am Rande: Ein Kind kostet die Eltern, bis es volljährig ist, etwa 116 000 Euro. Aufgelöst wird diese Kosten-Nutzen-Debatte durch simple Zahlen: Eine Familie mit zwei Kindern verdient nur knapp weniger (36 800 Euro) als ein Paar ohne Kinder (39 400).

Familienpolitische Debatten wiederholen sich

Alles statistisch gesehen natürlich. Autorin Gehring hat Zahlen von Ämtern, Ministerien, Stiftungen und Studien mit hübschen Bildern hinterlegt und gegenübergestellt. Viel Bekanntes ist dabei, einige familienpolitische Debatten wiederholen sich. Und es hat etwas Hilfloses an sich, wenn irgendwann der Rechtsmediziner vor dem Seziertisch befragt wird, ob wegen der großen Erwartungen heute die Gewalt innerhalb der Familien steige. Zur Klärung: Nein, es gibt nicht mehr Gewalt.

Die Widersprüchlichkeit von Zahlen und Gefühlen stellt der Film anhand vieler befragter Menschen dar. Da sagt die Inhaberin eines Babyladens in Hamburg: "Nie wussten die Eltern so viel wie heute und so wenig, was sie tun sollen. Mut ist Verunsicherung gewichen." Und die Frau von der Bertelsmann-Stiftung meint: "Die wahren Kriege finden vor dem Kindergarten statt, zwischen berufstätigen und nichtberufstätigen Müttern." Es werden Mütter gezeigt, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie vom Kindergarten weggehen. Und die ein genauso schlechtes Gefühl haben, weil sie meinen, in Teilzeit zu wenig zu arbeiten.

Sind Großfamilien asozial? Sind Kinder Karrierekiller? Stirbt Deutschland aus? Alles ist nur halb so schlimm, lautet das Fazit dieser Dokumentation. Deutschland stelle sich beim Thema Kinder und Familie einfach zu kompliziert an. Was alles in schnöder Statistik stecken kann, zeigen dabei diese Zahlen: Beim Bericht zur Lage der Kinder landet Deutschland international auf dem sechsten Platz. Bei der Selbstwahrnehmung aber sieht sich das Wohlstandsland nur auf Platz 22.

Der Kinderreport, ARD, 22.50 Uhr.

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