Schauspielerin Lauren Bacall:Sie regierte mit einem Blick

Lauren Bacall

Lauren Bacall wurde ein Kunstprodukt der echten Art, also eine Männerphantasie.

(Foto: Getty Images)

Wenn Lauren Bacall Feuer wollte, konnte ihr keiner widerstehen. Nicht mal Humphrey Bogart. Sie war ein Star neben, mit und noch lange nach Bogart. Nun ist die Schauspielerin im Alter von 89 Jahren gestorben.

Von Willi Winkler

Es gab eine Zeit, und es muss mehr als hundert Jahre her sein, da durfte im Film geraucht werden. Geraucht wurde in Hinterzimmern, geraucht wurde selbstverständlich auch zwischen zwei Gängen im Restaurant und geraucht wurde im Bett, wenn die Rolle Nachdenklichkeit oder melancholisches Innehalten verlangte. Sogar die Frauen rauchten, wenn sie sich trauten: Bette Davis, Katharine Hepburn, Veronica Lake.

Dann kam Betty.

Betty Joan Perske war ein Scheidungskind. Mit Hilfe von Verwandten konnte ihre Mutter sie auf die Schauspielschule geben und sie auf eine Karriere als Model vorbereiten. Im März 1943, mit achtzehn, erschien sie auf dem Titel von Harper's Bazaar: eine schlanke Frau mit einer Fülle roten Haars vor einer Tür, hinter der - es war Krieg - Blut fürs Rote Kreuz gespendet wurde. Die Frau des Regisseurs Howard Hawks sah sie und empfahl sie ihrem Mann, der Betty gleich nach Hollywood kommen ließ und in der Absicht verpflichtete, sein Mannequin aus ihr zu machen.

Lauren Bacall wurde ein Kunstprodukt der echten Art, also eine Männerphantasie. Selbstverständlich durfte nichts darauf hindeuten, dass sie jüdischer Herkunft war, deshalb bekam Betty einen Namen, der klang wie ein neues Parfum: Lauren. Ihre Frisur war eine Weiterentwicklung von Veronica Lakes bereits postertauglichen Peek-a-Boo-Bangs. Die Stimme war schon tief, aber Hawks war sie nicht tief genug. Zwei Schachteln Zigaretten ließ er sie jeden Tag rauchen, und in dem Auto, das sie zum Vertragsabschluss bekommen hatte, fuhr sie hinauf in die Hügel über Los Angeles und las gegen Wind und Natur die pathetischsten Zeilen aus dem Drehbuch für den Bibelfilm "Das Gewand", in dem sie dann zum Glück nicht mitspielen musste.

Dann kam Bogart.

Er war klein, ein Vierteljahrhundert älter, brauchte ein Toupet und konnte sich einfach nicht von seiner dritten Frau trennen. "Casablanca" hatte ihn zum schwermütigen Star gemacht, der im Interesse der Sache sogar auf Ingrid Bergman verzichtete. Howard Hawks wollte Hemingways "Haben und Nichthaben" verfilmen, eine windige Erzählung, die Schriftsteller William Faulkner zu einem magnetisierenden Verführungswerk hochschrieb.

Betty Bacall kommt rein, lehnt im Türrahmen und fragt: "Got a match?" Diesem Frontalangriff widersteht kein Mann, auch Bogey nicht. Sie erklärt sich nicht bloß bereit, ihm zu helfen, er brauche ihr nur zu pfeifen. Die Szene passierte den Production Code nur, weil sie scheinbar nichts Schlimmeres enthielt als eine Gebrauchsanweisung für dieses Pfeifen: "Just put your lips together and blow."

Dieser teuflisch elegante Hüftschwung

Am Ende ist der hagestolze Bogart für die republikanische Sache gewonnen, er wird den Flüchtlingen helfen. Gewonnen ist er aber vor allem für die Frau, die ihm beigebracht hat, was man mit den Lippen alles machen kann. Mit einem Hüft-schwung geht sie davon, Bogart folgt ihr, und sogar der heilige Narr Walter Brennan versucht, diesen teuflisch eleganten Hüftschwung nachzuahmen.

In Wirklichkeit hatte Betty Bacall Angst vor Bogart. Dabei gelang ihr das Kunststück, den fünfzehn Zentimeter kleineren Mann von unten anzusehen, die Verführung, die sich als Unterwerfung tarnte. Im "Tiefen Schlaf", in dem Hawks die Paarung noch einmal versuchte, scheint Bogart als Privatdetektiv sich noch immer vor der aggressiven Sexualität der Frau zu fürchten, die er inzwischen geheiratet hatte.

Lauren Bacall gebar ihrem Mann zwei Kinder, sie war eine liebende Mutter und sie machte sogar die Kumpeline für den Säuferkreis um ihren Mann. Das Kino wollte sie trotzdem nicht aufgeben, lehnte aber wenigstens zwölf Rollen ab. Dafür wurde sie streng gemaßregelt; die Angebote blieben aus.

Wie sie hochbegabte Alkoholiker betreute

Mit Betty Grable und Marilyn Monroe spielte sie in der bescheidenen Komödie "Wie angelt man sich einen Millionär?" (1953), fand aber ein besseres Auskommen in Douglas Sirks Super-Soap "In den Wind geschrieben" (1956), in der sie einen Alkoholiker zu betreuen bekommt. Ihren Blick verlor sie nie, und noch lange verwirrte sie alle mit ihren Haaren. Doch das Kino verschwand, verkleinerte sich zum Fernsehen, und für die gefährliche Frau, die Verführerin, die nicht gleich die Axt schwingt, sondern mit diesem einen bezwingenden Blick regiert, gab es bald keine Kamera, keinen Produzenten, keinen Film mehr.

Bogart starb, und sie war allein. Nach einer unglücklichen Affäre mit Bogarts Saufkumpan Frank Sinatra heiratete sie den Kollegen Jason Robards, gebar auch ihm einen Sohn und durfte sich wieder der Betreuung eines hochbegabten Alkoholikers widmen. Als in Hollywood endgültig die Schönheitschirurgen die Macht über die Blicke übernahmen, kehrte Lauren Bacall in ihre Heimatstadt New York zurück. In Peter Handkes Roman "Der kurze Brief zum langen Abschied" (1972) wird sie bereits als Überbleibsel aus einer großen Vergangenheit beschrieben, mit Posen, die "Lauren Bacalls Körper wie eine Maschine ausführte". Es war das Musical "Applaus", für das sie einen Tony erhielt.

Hollywood verschmähte sie

Sie war noch keine vierzig, da war sie schon historisch, eine Erinnerung an die Freiheit, die sich Hollywood in besseren Tagen geleistet hatte. Von Jason Robards ließ sie sich scheiden, der Preis dafür war natürlich, dass sie endgültig allein blieb.

Aus ihrer Frühzeit, von Anfang 1945, gibt es ein Foto. Da spielt Vizepräsident Harry Truman für sie, während sie sich mit ihren schönen Beinen auf das Klavier setzt, eine Szene, die Jahrzehnte später Michelle Pfeiffer in den "Fabelhaften Baker Boys" nachahmte.

Hollywood verschmähte sie, doch am Broadway erlebte sie spät die Karriere, die sie durch die Ehe mit Bogart mutwillig abgebrochen hatte. Sie trat in einem Theater auf, in dem sie einst als Platzanweiserin gejobbt hatte. Die New Yorker verehrten die Heimkehrerin, wenn sie auf der Bühne die Rollen gab, die Bette Davis und Katharine Hepburn im Film gespielt hatten.

Als echte New Yorkerin war Lauren Bacall lebenslang Demokratin, also nach amerikanischen Begriffen liberal. Als in Hollywood Schwarze Listen aufkamen und das FBI und der von J. Edgar Hoover gefütterte Untersuchungsausschuss jeden Schneideraum mit Moskaus Agenten besetzt wähnten, flog sie mit ihrem Mann zusammen nach Washington, um gegen die Kommunistenhatz zu demonstrieren.

Sie konnte auch dreckig lachen

Umso erstaunlicher, wie gut sie sich mit dem sterbenskranken John Wayne vertrug, mit ihm und James Stewart zusammen trat sie in Don Siegels "Der letzte Scharfschütze" (1976), diesem Abschiedsgesang von einem allerletzten Western, auf. Doch nicht einmal dafür bekam sie den Oscar, den sie längst verdient gehabt hätte. Sie war mehrfach nominiert, für eine ihrer beiden Autobiografien erhielt sie sogar den National Book Award, sie war Gast auf Filmfestivals in Wien und Berlin, aber erst 2009 brachte es die sogenannte Akademie übers altersschwache Herz, der Königin des Film noir wenigstens einen Oscar ehrenhalber zu überreichen.

Vorsichtshalber klagte sie, dass ihre Nachrufe doch wieder nur aus Humphrey Bogart bestehen würden. Doch sie hatte Bugs Bunny vergessen. In dem Cartoon "Slick Hare" (1947) verlangt der Restaurantgast Bogart echten Hasen, aber Bugs das Bunny mogelt sich natürlich raus. Am Schluss liegt er vor Lauren Bacall auf dem Teller und beweist ihr, dass er pfeifen kann.

Bacall ohne Bogart geht nicht, aber sie war ein Star, ein Star neben, mit und noch lange nach Bogart, der letzte Star viel-leicht, den sich Hollywood gegönnt hat. Lauren Bacall konnte übrigens nicht nur rauchen wie sonst keine, sondern auch unglaublich dreckig lachen. Am Dienstag ist Lauren Bacall mit 89 Jahren in New York gestorben. Bye, Betty.

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