Asylbewerber in Deutschland:Wo viereinhalb Quadratmeter zu viel sind

Immer mehr Menschen fliehen nach Deutschland und brauchen hier eine Bleibe. Menschenwürdiger Wohnraum ist knapp - auch wenn jeder Flüchtling nur wenige Quadratmeter beanspruchen darf. Die kommunalen Quartiermeister stoßen an viele Grenzen. Ein Besuch in Freiburg.

Von Jan Bielicki, Freiburg

Schon früh am Morgen stehen die Bagger auf dem Bolzplatz. Sie tragen die Graskrume ab, auf der gestern noch die Kinder gespielt haben, und die jungen Männer aus Afrika. "Die hätten uns ruhig Bescheid geben können", grummelt Friedrich Traub. Zwar weiß der Mann, der die sozialen Dienste des Freiburger Roten Kreuzes leitet, dass die Stadt Container aufstellen will auf die Fläche zwischen dem schmucken Büropalast des Regierungspräsidiums und den schmutzig-grauen Doppelstockblöcken des Flüchtlingsheims. Und dass ein paar Meter weiter ein neuer Bolzplatz entstehen soll. Aber muss der Umbau gerade jetzt sein, in den Ferien, da die Flüchtlingskinder den ganzen Tag im Heim aushalten müssen?

Viel Platz zum Spielen gibt es hier nicht. Dutzende Satellitenschüsseln und ein Gewirr von Kabeln blockieren das Grün zwischen den acht lang gestreckten Häusern. Etwa 290 Menschen leben in Freiburgs größtem Flüchtlingswohnheim, die meisten in Vier-Bett-Zimmern auf jeweils viereinhalb Quadratmetern, die jedem Heimbewohner gesetzlich zustehen.

Und nun sollen etwa 100 Flüchtlinge mehr unterkommen, in den Containern, die dort aufgestellt werden, wo gerade noch der Bolzplatz war. "Wir haben keine Wahl", sagt Werner Hein. Im Rathaus leitet der 60-Jährige das Amt für Wohnraumversorgung. Es ist ein Job mit vielen Zuständigkeiten, doch in diesem Jahr, so sagt er, beschäftigt ihn in 90 Prozent seiner Arbeitszeit nur ein Thema: die Flüchtlinge, und wie sie unterzubringen sind in einer Stadt, in der Wohnraum ohnehin rar und teuer ist.

Es gibt ein Drogenproblem in den Heimen, es wird gedealt

Jeden Monat erhält Werner Hein Post aus Karlsruhe, verschickt von der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Wer in Baden-Württemberg Asyl beantragt, kommt in den ersten sechs bis zwölf Wochen dort unter, wird registriert und dann einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zur, wie es auf bürokratisch heißt, "Anschlussaufnahme" zugewiesen.

"Da steht dann drin: Am soundsovielten schicken wir Ihnen soundsoviele Asylbewerber, bitte sorgen Sie für deren Unterbringung", sagt Hein. Zwei Wochen später steuert dann ein Bus Richtung Freiburg, es können mittlerweile auch mehrere sein. 60 Flüchtlinge sollen allein im August kommen, 42 waren es im Juli. Noch vor einem Jahr stiegen monatlich nur 15 bis 20 Asylbewerber in Freiburg aus den Bussen. "Und wenn ich mir die Weltlage anschaue", sagt Hein, "wird es in den nächsten Jahren leider nicht besser werden".

Fast 9000 Flüchtlinge hat Baden-Württemberg in der ersten Hälfte des Jahres aufgenommen. 60 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Laut landesinterner Verteilungsquote muss die Stadt Freiburg 2,13 Prozent davon unterbringen. Und hier beginnt das Problem des städtischen Quartiermeisters Hein. Denn schon jetzt sind mehr als 1100 Flüchtlinge in städtischer Unterbringung, etwa 900 von ihnen leben in Sammelunterkünften - und viele schon lange, "viel zu lange", wie Hein sagt.

Die Jahre im Heim zehren an den Nerven

Azad Mamusi (Name geändert) ist schon seit viereinhalb Jahren hier. Der 48-jährige Jeside ist mit einer seiner Töchter aus dem nordirakischen Mossul geflohen, lange bevor die Miliz Islamischer Staat dort ihr Terrorregime errichtete. Seine Frau Dilovan schaffte es mit vier weiteren Kindern im Januar nach Freiburg, der 13-jährige Sohn blieb in der europäischen Flüchtlingsbürokratie in Griechenland hängen. Nun soll er nachkommen dürfen. Dass er Zellspender sein könnte für seine schwer erkrankte Schwester, hat das Verfahren beschleunigt.

In zwei Zimmern lebt die Familie, Doppelstockbetten in einem, eine abgesessene Couchgarnitur im anderen Raum, nachts werden hier Matratzen ausgebreitet. Küche, Bad und Klo teilen sie sich mit einer siebenköpfigen Flüchtlingsfamilie aus Syrien - und sind, in der sogenannten Krankenstation lebend, damit noch vergleichsweise gut untergebracht.

Unterbringung

Wie und wo Flüchtlinge in Deutschland Obdach finden, regelt zunächst das Asylverfahrensgesetz des Bundes. Danach ist es Aufgabe der Länder, die Unterbringung von Asylbewerbern sicherzustellen. Das geschieht in den ersten sechs bis zwölf Wochen in Aufnahmeeinrichtungen der Bundesländer, an die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge angegliedert sind. Nach festem Schlüssel auf die Länder verteilt, sollen die Flüchtlinge danach "in der Regel" in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Wie die Unterbringung tatsächlich aussieht, ist weitgehend Sache der Länder. Außer in Bayern sind die Kommunen dafür zuständig, Wohnheime zu betreiben oder Flüchtlingen Wohnungen zuzuweisen. Immer wieder Streit gibt es um die Kosten: Die meisten Länder zahlen den Städten und Landkreisen nur eine Pauschale - in Baden-Württemberg derzeit 12 600 Euro pro Flüchtling. Jan Bielicki

Aber die Jahre im Heim zehren an den Nerven des Familienvaters. "Eine Wohnung", sagt er, wäre sein größter Wunsch. Nicht mehr mit wildfremden Menschen aus allen möglichen Weltgegenden auf allerengstem Raum zusammenleben zu müssen. Nicht mehr vom nächtlichen Lärm geweckt werden, wenn im Nachbarblock, in dem vor allem junge, alleinstehende Männer wohnen, mal wieder Party gefeiert wird.

Sich nicht sorgen um die Kinder, wenn dort durchs offene Fenster "alles Mögliche gehandelt wird", wie der Rot-Kreuz-Mann Traub das nicht immer legale Treiben einiger der jungen Männer beschreibt, die sich im Lagerleben langweilen. "Die Lethargie macht manche anfällig für Suchtverhalten", sagt Traub. Es gibt ein Drogenproblem in den Heimen, es wird gedealt und manche Frauen prostituieren sich, um die oft hohen Schulden bei ihren Schleppern abzustottern.

Die Bewohner leiden unter der Perspektivlosigkeit

Es seien gar nicht einmal viele, die Probleme machten, meint Gordon Dresel, der für das Rote Kreuz die Sozialarbeit im Heim organisiert. Die allermeisten Bewohner leiden selber unter den Verhältnissen, unter der Enge, dem Schimmel, der in den Gemeinschaftsduschen blüht, und der Perspektivlosigkeit.

Dresel und seine Mithelfer haben eine Bibliothek eingerichtet und Gruppenräume, sie bieten Kinderbetreuung an, Schwimmkurse, ein Männercafé, Frauennähkurse, Hilfe bei Behördengängen. "Aber Integration ist hier natürlich kaum möglich", sagt Dresel. Er könne sogar verstehen, dass viele Bürger kein Flüchtlingsheim in ihrer Nachbarschaft haben wollen: "Die bestehenden Heime sind eine absolut schlechte Werbung."

Die Leichtbau-Häuser neben dem Regierungspräsidium stehen schon seit Anfang der Neunzigerjahre da, obwohl sie nur für eine Lebensdauer von zehn, allerhöchstens zwanzig Jahren ausgelegt sind. Doch da das Land das Grundstück nicht hergibt, will die Stadt hier nichts Dauerhaftes bauen. Wenigstens neue Container mit Toiletten und Bädern möchte Hein nun an die abgewohnten Häuser andocken lassen. Auf den rapiden Anstieg der Flüchtlingszahlen war Freiburg genau so wenig vorbereitet wie andere Kommunen, das gibt Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) zu: "Alle haben gehofft, dass es so bleibt, wie es war."

Der Appell des Oberbürgermeisters brachte ein "überschaubares" Ergebnis

Davon, dass es "natürlich besser wäre, wenn die Leute in eigene Wohnungen ziehen könnten", ist auch der städtische Wohnraummanager Hein überzeugt. Nur: Woher nehmen? Erst im Mai hat sich der grüne Oberbürgermeister Dieter Salomon mit einem dramatischen Appell an seine "lieben Freiburgerinnen und Freiburger" gewandt: "Helfen Sie uns, Flüchtlingsfamilien menschenwürdig in Wohnungen unterbringen zu können", bat er in einer eigens dem Thema gewidmeten Ausgabe des Amtsblattes.

Das Ergebnis der Aktion war "überschaubar", wie Sozialbürgermeister Kirchbach feststellt. Ja, eine ältere Dame hat ihre Wohnung einer syrischen Arztfamilie vermietet. Die katholische Kirche stellte ein ehemaliges Pfarrhaus bereit, bei Bauträgern und einer Baugenossenschaft kamen auch noch einmal 19 Wohnungen zusammen, viele davon kann die Stadt aber nur für ein paar Monate nutzen - "immerhin", sagt Hein. Bei einem anderen Gebäude, das leer steht, weil hier Luxuswohnungen entstehen sollen, versucht es Kirchbach inzwischen mit Druck: "Wir können notfalls auch beschlagnahmen."

Etwa zehn Millionen Euro gibt die Stadt im Jahr für Flüchtlinge aus, doch Geld "ist gar nicht mal das Problem", sagt Hein. Es fehlen die Wohnungen. Denn nicht nur Flüchtlinge suchen in der boomenden Universitätsstadt bezahlbaren Wohnraum. 1450 Haushalte stehen auf Heins Notfallliste, das sind 3600 Menschen, die dringend eine Sozialwohnung brauchen.

Containerwohnungen als politisches Zeichen

Das bedeutet: Auch Flüchtlinge, die das Recht haben, in eine eigene Wohnung zu ziehen, haben auf Freiburgs engem Mietmarkt kaum eine Chance - "je dunkler die Hautfarbe, desto weniger", sagt der Rot-Kreuz-Mann Dresel. Die Folge: Immer mehr Leute bleiben über Jahre in den Heimen, die eigentlich nur zur Zwischenunterbringung gedacht waren. Und weil immer mehr Flüchtlinge dazustoßen, stellt die Stadt nun immer mehr Container auf.

"Die haben schon einen hochwertigen Standard", sagt Hein. 2,1 Millionen Euro kostet es, Wohnraum für 70 Menschen in sogenannter Modulbauweise zu schaffen. Aber weil die Nachfrage nach den Wohnschachteln europaweit steigt, gehen die Preise nach oben, die Lieferzeiten ziehen sich in die Länge. Und dann bleibt noch die schwierigste Frage: Wo aufstellen?

In Gewerbegebieten darf es nicht sein, das hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim kürzlich verboten - "weltfremd", schimpft Kirchbach. In Wohngebieten aber gibt es Nachbarn, weshalb der Bürgermeister nicht in der Zeitung lesen will, wo er mögliche Standorte ausgemacht hat. Sogar auf einen Schulparkplatz zwischen die Villen des vornehmen Stadtteils Herdern, wo Neubauten mit Panoramablick als "Belles Étages" nobel vermarktet werden, hat er Container stellen lassen, zwar nur für ein halbes Jahr, aber als politisches Zeichen: "Das wagst du nicht, haben sie alle gesagt. Ich hab's gemacht." Am Ende hat der örtliche Bürgerverein die Flüchtlinge sogar mit einem Fest willkommen geheißen.

Widerstand tarnt sich in Freiburg als Mitgefühl

In der politisch grün-alternativ geprägten Stadt ist es ohnehin eher selten, dass sich Bewohner offen fremdenfeindlich gegen die Neuankömmlinge stellen. "Da sagt keiner: Ich will hier keine Flüchtlinge", hat Kirchbach festgestellt. "Aber", so warnt er, "wenn ich die Leute in Turnhallen unterbringen muss und der Sportunterricht ausfällt, kann das Klima sehr schnell kippen."

Noch tarnt sich der Widerstand gegen ein Heim nebenan mit Mitgefühl: Ist doch viel zu abgelegen hier, viel zu weit zur Straßenbahn oder zur Schule, den armen Menschen nicht zuzumuten, ausgerechnet hier zu wohnen, solche Argumente haben Hein und Kirchbach oft gehört. Dann kommen die Einsprüche, und dann verliert die Stadt Zeit, "die wir nicht haben", sagt Hein.

Zumal dazu noch die Bürokratie zu überwinden ist - Baurecht, Lärmschutz, Brandschutz. So muss die Stadt zum Beispiel einen zweiten Fluchtweg in ein Pfarrhaus einbauen, das sie als Wohnheim nutzen will. Dazu muss eine Mauer weg, doch die steht unter Denkmalschutz. Seit Wochen stehen Heins Amt und die Denkmalschutzbehörde des Bezirks in regem Postverkehr, voran geht wenig. "Das kann einen in den Wahnsinn treiben", stöhnt Hein.

Unverhoffte Hilfe könnte vom Land kommen. Weil die Zustände in der überfüllten Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Karlsruhe inzwischen unhaltbar sind, will die grün-rote Landesregierung ein zweites Aufnahmezentrum schaffen. In Freiburg wäre Platz dafür, die örtliche Polizeiakademie macht 2016 dicht, und für das Rathaus ist das Angebot verlockend: Wo eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes steht, muss die Kommune selbst künftig keine weiteren Flüchtlinge mehr unterbringen. Für Familie Mamusi und die anderen, die bereits da sind, muss Werner Hein jedoch weiter auf Wohnungssuche gehen.

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