Telekommunikationsüberwachung in Bayern:Wenn der Staat mithört

"Es gibt inzwischen kaum noch ein Verbrechen, bei dem nicht über Telefon und Internet kommuniziert wird": Bayerns Polizisten haben im Jahr 2013 mutmaßliche Straftäter intensiv überwacht. Immer häufiger sind Standortdaten der Verdächtigen für die Beamten interessanter als die Inhalte der Gespräche.

Von Theo Müller

Bayerns Polizisten haben im Jahr 2013 mutmaßliche Straftäter nicht weniger intensiv überwacht als zuvor. Zwar gab es erstmals weniger klassische Abhöraktionen als im Vorjahr, deutlich häufiger wurden jedoch Verbindungs- und Standortdaten bei den Netzbetreibern abgefragt. Das geht aus Zahlen hervor, die das Staatsministerium der Justiz auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung herausgab.

Angesichts immer neuer Überwachungsaffären könnte beinahe in Vergessenheit geraten, dass es das ja auch noch gibt: eine richterlich angeordnete Überwachung durch den Staat, geregelt in Paragraf 100 der deutschen Strafprozessordnung (StPO). Früher hielt jedes Polizeipräsidium die nötige Technik vor, seit 2006 ist in Bayern allein das "Kompetenzzentrum TKÜ-BY im Landeskriminalamt (LKA) für die technische Abwicklung zuständig.

"Es gibt inzwischen kaum noch ein Verbrechen, bei dem nicht über Telefon und Internet kommuniziert wird - es sei denn, der Ehemann ersticht seine Frau im Schlafzimmer", sagt Ernst Wirth, Kriminaloberrat und Leiter dieses Zentrums. Und deshalb stehen in einem schmucklosen Nebenzimmer seiner Abteilung mittlerweile etwa 20 leise surrende Server, auf denen zum Beispiel Telefonmitschnitte und Internetverkehr von Mördern, Drogendealern und Steuerhinterziehern gespeichert sind.

Immer häufiger aber sind die Verbindungs- und Standortdaten der Verdächtigen für die Beamten von noch größerem Interesse als die Inhalte der Gespräche. Gerade in Fällen organisierter Kriminalität lassen sich Hintermänner so mancher Straftat ermitteln, wenn Richter die Abfrage solcher "Verkehrsdaten" erlauben - immer vorausgesetzt, der Netzanbieter hat sie überhaupt gespeichert.

"Die Intensität des Eingriffs in Grundrechte ist bei den Verkehrsdaten inzwischen fast genauso hoch wie bei der inhaltlichen Überwachung der Kommunikation", meint Thomas Petri, Landesbeauftragter für den Datenschutz. Die hohe Verbreitung von Smartphones mit immerwährender Datenverbindung trage dazu bei, dass aus Verkehrsdaten leichter Bewegungsprofile erstellt werden können. Petri vermutet, die Polizei greife in vielen Fällen zu solchen Maßnahmen, weil sie dafür deutlich weniger Personal benötigt.

Funkzellenabfragen nach Isarmord

"Die Beschuldigten unterschätzen die Ermittlungsbehörden", sagt der Münchner Strafverteidiger Martin Kämpf. Vielen seiner Mandanten werden Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt - im Freistaat der häufigste Anlass für eine Überwachung. Insgesamt aber wird in anderen Bundesländern noch öfter eine Überwachung angeordnet. Das zeigt sich, wenn man die Zahl der Anordnungen in das Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt.

Der Paragraf 100 hält noch weitere Instrumente bereit, die ebenfalls unter Richtervorbehalt stehen, darunter den Versand von Ortungsimpulsen als sogenannte "Stille SMS" und den Einsatz falscher Mobilfunk-Basisstationen ("IMSI-Catcher"). Möglich sind auch Funkzellenabfragen: Dabei werden alle Verbindungsdaten ausgewertet, die in einer bestimmten Mobilfunkzelle angefallen sind.

Eingesetzt wurde eine solche Abfrage bei den Ermittlungen zum Münchner "Isarmord". Die Polizei erhob im Sommer 2013 mehr als eine halbe Million Datensätze, die von etwa 64 000 Mobiltelefonen stammten. Diese Zahlen nennt das Innenministerium in der bislang unveröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Katharina Schulze (Grüne). Eine Information betroffener Handybesitzer unterbleibe in der Regel, schreibt das Ministerium, da deren Identität zumeist gar nicht ermittelt worden sei.

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