Serie "Schauplätze der Geschichte":Augustus lässt seine Legionäre marschieren

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Im 1. Jahrhundert ist Südbayern von den Römern besetzt. Daran ändert auch der Kampf der Oberammergauer nichts

Von Martin Bernstein

Als Gaius Octavius am 19. August vor genau 2000 Jahren in Nola bei Neapel die Augen für immer schloss, hatte er eine Menge erreicht - und war doch, so könnte man glauben, am Ende gescheitert. Eine stabile Ordnung hatte er dem von Bürgerkriegen zerrütteten Römischen Reich geben wollen - doch bis zum nächsten Bürgerkrieg sollten gerade einmal 54 Jahre vergehen und das Imperium schließlich in einer Militärdiktatur enden. Die Herrschaft seiner Familie, des julischen Kaiserhauses, hatte Octavius, der sich "Augustus" (der Erhabene) nennen ließ, zementieren wollen - doch beerbt wurde er vom ungeliebten Stiefsohn. Ganz Germanien hatte der erste Kaiser die Segnungen der römischen Zivilisation bringen wollen - doch nach der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christus war der Vormarsch der Legionen beendet und im heutigen Bayern die Donau für Jahrhunderte die Nordgrenze des Reichs geworden. Und die "Pax Augusta", der Friede, den der Kaiser seinen Untertanen hatte bringen wollen - er wurde erkauft von einer waffenstarrenden Militärmaschinerie.

Wie diese Maschinerie funktionierte, erlebten die antiken Bewohner des heutigen Bayern 29 Jahre vor Augustus' Tod. Die Römer machten sich in jenem Jahr unter Führung der Augustus-Stiefsöhne Drusus und Tiberius daran, die Alpen und das Alpenvorland zu unterwerfen. Wie genau der Feldzug vonstatten ging, darüber streiten Historiker noch heute. Ihre Zunftgenossen von der Archäologie haben aber herausgefunden, dass der Einmarsch der Legionäre ins Land an Ammer und Isar nicht ganz so reibungslos verlief, wie es sich die Generalstäbler im fernen Rom wohl gewünscht hatten. Denn zumindest ein kleiner Bergstamm aus dem Volk der Räter leistete den Eindringlingen tapfer Widerstand.

Funde, die am Döttenbichl bei Oberammergau gemacht wurden - einem Kultplatz, der wahrscheinlich von 100 vor bis 50 nach Christus genutzt wurde -, belegen, dass dort Einheimische ihren Göttern nach einer erfolgreichen Schlacht gegen die Römer mehr als 700 Metallstücke opferten: Fibeln, Werkzeuge, Dolche, 300 Lanzen- und Katapultspitzen, Schuhnägel, wie sie die römischen Legionäre in ihren Stiefeln, den "caligae", hatten, Münzen . . . Die Funde, die sich der frühen Kaiserzeit zuordnen lassen, sind im Oberammergauer Museum zu besichtigen. Wo der Kampf zwischen einheimischer Bevölkerung und Römern genau stattfand, ist bislang noch ein Geheimnis. Am Döttenbichl selbst wird es wohl nicht gewesen sein.

Bei Ausgrabungen fanden Forscher dort vor 20 Jahren auch zwei silberverzierte römische Dolche und drei eiserne Katapultspitzen, die ausgerechnet den Stempel der 19. Legion tragen. Es ist jene Heereseinheit, die 24 Jahre später in der Varusschlacht im Teutoburger Wald von den Germanen des Arminius komplett vernichtet wurde. Ausgeschlossen ist es also nicht, dass Rekruten, die das Scharmützel bei Oberammergau noch überlebt hatten, später zu den Opfern des Gemetzels im Teutoburger Wald zählten: Die Dienstzeit eines Legionärs konnte 25 Jahre dauern. Zumindest für diese Soldaten ging die Eroberung des Gebiets nördlich der Alpen jedenfalls nicht gut aus.

Einige Oberammergauer glauben sogar, dass es noch deutlich sichtbare Hinweise auf die Anwesenheit römischer Soldaten in ihrem Tal gibt: Ein paar hundert Meter vom Opferplatz entfernt entdeckt der Wanderer am Malenstein, einem mächtigen Felsbrocken am Rande des Wegs, zahlreiche Felszeichnungen. Darunter soll auch ein Römerkopf mit Helm zu sehen sein. Die Felszeichnungen stellen Historiker und Wanderer gleichermaßen vor Rätsel - kein Zufall daher, dass sich unterhalb des Kofels der "Rätselweg" entlang schlängelt. Er verbindet den Opferplatz am Döttenbichl, die Mariengrotte oberhalb des Friedhofs und drei imposante glatte Felsen, an denen zahlreiche Ritzungen gefunden wurden. Wer vor den Felsen stehen bleibt, erkennt eine Fülle an unterschiedlichen Motiven - darunter sind ein Senkblei, ein antikes Symbol der Vergänglichkeit, ein "Fußabdruck", der die Anwesenheit eines Gottes veranschaulichen sollte, ein doppeltes Viereck, das die Oberammergauer Museumsmacher zu der Frage verleitete, ob die Felszeichnung römischen Soldaten als Wegmarkierung diente.

Das ist natürlich Spekulation. Aber immerhin gibt es im Oberammergau des 21. Jahrhunderts auch "echte" Römer, wie die örtlichen Museumsmacher stolz auf ihrer Internet-Homepage vermelden: "Seit 1634 wird in Oberammergau alle zehn Jahre die Passions-Tragödie gespielt. Auch darin spielen römische Soldaten eine wichtige Rolle. Das heißt, römische Legionäre aus der Zeit von Christi Geburt sind hier seit bald 400 Jahren regelmäßig so präsent wie sonst wohl nirgendwo."

Archäologische Zeugnisse aus dem frühen 1. Jahrhundert sind in Oberbayern dagegen eher Mangelware. Immerhin weiß man, dass das heutige Gauting als Straßenstation "Bratananium" damals einige Bedeutung hatte. Gegen Ende des Jahrhunderts standen am Ufer der Würm größere Steinbauten - offenbar hatte sich dort ein florierender Handelsort entwickelt. Auch bei Andechs könnte es einen Militärposten gegeben haben. In Eching am Ammersee fanden Archäologen eine Münze des Tiberius und Reste von einem Pferdegeschirr. Und auf dem Auerberg bei Schongau stand eine römische Ansiedlung. Unter den Nachfolgern des Augustus - Tiberius, Caligula, Claudius und Nero - entwickelte sich das eroberte Land zur römischen Provinz "Raetia". Und manches, was uns Menschen 2000 Jahre später als selbstverständliches Kulturgut erscheint, geht - dem Namen nach wie als real existierender Import - auf die Römer zurück: Fenster zum Beispiel, Straßen, der Wein natürlich auch.

Die Sommermonate heißen noch heute nach dem ersten römischen Kaiser und nach seinem Adoptivvater Caesar: August und Juli. Wenn Gaius Octavius das erlebt hätte, hätte er dann wohl doch gesagt: Gescheitert? Wieso gescheitert?!

© SZ vom 20.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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