Regierungskrise in Frankreich:Die Lage ist ernst

Frankreich Regierung Krise

Lässt keinen Zweifel daran, dass sie Berlin in der Pflicht sieht, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten: IWF-Direktorin Christine Lagarde.

(Foto: Bloomberg)

Frankreichs Wirtschaft bleibt erschreckend schwach. Das Land ächzt unter den strengen Vorgaben der EU. Europas oberster Zentralbanker, ein linker Sozialist aus Paris und eine strenge Konservative sind sich einig: Schuld sind die Deutschen.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Freitag. Sonntag. Montag. Die Abstände werden kürzer, in denen Warnungen einschlagen, Europas Bürger könnten noch mehr Jobs und damit an Einkommen und Wohlstand verlieren - wenn die Regierungen nicht endlich wachstumsfreundliche Politik betrieben.

Genau diese Analyse haben jetzt unabhängig voneinander Europas oberster Zentralbanker, ein linker Sozialist und eine strenge Konservative abgegeben. Das bedeutet: Die Lage muss ernst sein. Und zwar sehr ernst. Zudem sind sich die diametral gegenüberliegenden Lager auch darin einig: Deutschland fällt die Hauptrolle zu, das akute europäische Wirtschaftsdilemma zu lösen.

Den Anfang machte Mario Draghi am Freitag beim internationalen Zentralbankertreffen in Jackson Hole in den Rocky Mountains. Der linker Gesinnungen unverdächtige Präsident der Europäischen Zentralbank erklärte, er sei besorgt über die anhaltende Arbeitslosigkeit in Europa und weiter sinkende Verbraucherpreise. Wenn nämlich Preise stetig sinken, gibt es für Unternehmen keine Anreize zu investieren. Weshalb er, also Draghi, die Regierungen ermutige, die haushaltspolitischen Regeln so flexibel wie möglich zu nutzen und innerhalb der auf drei Prozent (bezogen auf das Bruttosozialprodukt) begrenzten jährlichen Neuverschuldung mehr zu investieren. Draghi ruft zu Flexibilität auf wie zuletzt Italiens Premier Matteo Renzi - das Zentralorgan der globalen Finanzwirtschaft, die Financial Times, konstatierte auf ihrer Titelseite überrascht eine "signifikante Änderung der Tonlage".

Apropos Tonlage. Über selbige stolperte am Sonntag der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende französische Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg. Der Wortführer der linken Sozialisten, den Staatspräsident François Hollande wegen der politischen Balance extra in die Regierungsgeschäfte eingebunden hatte, analysierte bei einem öffentlichen Auftritt zwar ebenso wie Draghi, dass mehr für Jobs und Wachstum getan werden müsse und dass die niedrige Teuerung regelrecht Gift sei. Montebourg kritisierte das deutsche Sparen und zitierte dazu amerikanische Wirtschaftsexperten wie Paul Krugman - und sogar Christine Lagarde, die konservative Landsfrau und Chefin des Weltwährungsfonds (IWF).

Weil er aber zugleich seinen Präsidenten angriff und dessen auf den Weg gebrachte Reformen bei der Rente und auf dem Arbeitsmarkt - sogar in eher undiplomatischen Worten -, kam es anschließend zu einer Regierungskrise. Er sei "zu weit gegangen", hieß es am Sonntagabend in Paris. Am Montagmorgen trat die französische Regierung zurück. Premierminister Manuel Valls muss ein neues Kabinett bilden.

Niemand ist da, der Frankreich aus dem Tal ziehen könnte

Für Valls, der selbst erst vor einigen Monaten ins Amt kam, ist das eine knifflige Aufgabe. Die französische Wirtschaft verfehlte zuletzt sogar ihre minimalen Wachstumsziele. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wann die Neuverschuldung wieder in den erlaubten Grenzen liegt, ungewiss. Die von Hollande nach langem Zögern angestoßenen strukturellen Reformen lassen sich zäh an. Die Europäische Kommission hat bereits zweimal die Frist zum Abbau der Neuverschuldung verlängert. Mehr Zugeständnisse aus Brüssel sind kaum möglich, ohne dass sich andere Mitgliedsstaaten, die zum Sparen verpflichtet wurden, lauthals beschweren. Für Frankreich, für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, läuft es einfach nicht gut.

Diese Analyse ist für sich genommen nicht wirklich neu. Was sie aber in diesen Tagen dringlich und brisant macht - und damit auch Draghi, Valls und Lagarde zu Warnungen veranlasst -, ist die Tatsache, dass es den anderen großen Volkswirtschaften in der Euro-Zone tendenziell nicht besser geht als Frankreich und mithin niemand da ist, der das Land aus dem Tal ziehen könnte. Italien verfehlt seine Wachstumsziele und schiebt Rekordschulden vor sich her. Spanien kämpft mit Rekordzahlen an Arbeitslosen. Vor allem aber: Auch in Deutschland trübt sich das wirtschaftspolitische Klima ein. Immer mehr Unternehmen blickten skeptisch in die Zukunft, teilte das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo am Montag mit. Keiner mag sich vorstellen, was in der Euro-Zone passieren würde, wenn die deutsche Wirtschaft tatsächlich richtig schwächelte. Noch liegt die Arbeitslosenquote europaweit bei 11,5 Prozent.

Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls reduzierte die angespannte Lage in der Euro-Zone am Montag freundlich auf eine französische Krise. Selbstverständlich werde sie sich nicht in innerfranzösische Angelegenheiten einmischen, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit Spaniens Premier Mariano Rajoy in Santiago de Compostela. Sie wünsche dem französischen Präsidenten aber "allen Erfolg bei seiner Reformagenda".

Etwa zur selben Zeit gab IWF-Chefin Lagarde im Schweizer Rundfunk wiederum ein Interview, in dem sie keinen Zweifel daran ließ, dass sie Berlin in der Pflicht sieht, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten. Es sei sehr wichtig, dass Deutschland sich intensiv am Aufschwung beteilige, sagte Lagarde. Die größte Volkswirtschaft Europas habe dazu "die Mittel", nutze sie aber zu wenig. Die jüngsten Tarifverhandlungen in Deutschland hätten gezeigt, dass es durchaus noch "Spielräume" gebe, um die Binnennachfrage zu stärken.

Auch Draghi legte am Freitag Ideen vor. Deutschland sei eines der Euro-Länder, das mehr investieren und Steuern senken könnte, erklärte er seinen Zuhörern in Jackson Hole. Deutlicher kann Europas oberster Zentralbanker seine Erwartung kaum formulieren.

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