Massenaussterben:Die sechste Katastrophe

34. Internationale Börse für Mineralien, Fossilien und Edelsteine

Ein Asteroid löschte die Dinosaurier aus und ebnete den Säugetieren den Weg - jetzt könnte eine neuer Artenschwund bevorstehen

(Foto: dpa)

Fünf Mal stand das Leben auf der Erde kurz vor dem endgültigen Aus. Doch immer wieder erholten sich Tiere und Pflanzen von den heftigen Schlägen. Manche Experten warnen: Derzeit erleben wir die sechste Massenextinktion.

Von natur-Autor Klaus Jacob

Als am 24. Juni 2012 "Lonesome George" seine Augen für immer schloss, schied nicht nur eine Schildkröte aus dem Leben. Mit dem letzten Vertreter der Spezies Chelonoidis nigra abingdoni starb auch die ganze Unterart der Galapagos-Riesenschildkröte aus. Der Veteran wurde zum Symbol für das Artensterben, das der Mensch seit wenigen Jahrhunderten verursacht.

Bali-Tiger oder Tasmanischer Beutelwolf, Riesenalk, Dodo oder Goldkröte - die Liste der ausgestorbenen Arten wird lang und länger. Allein von den 5570 bekannten Säugetieren sind in den letzten 500 Jahren 80 verschwunden. Und das Sterben der Arten legt derzeit an Tempo zu. Viele Wissenschaftler warnen bereits vor einem katastrophalen Ereignis, wie es die Erde schon fünf Mal heimgesucht hat: eine Massenextinktion.

Diese sogenannten "Big Five" (dt. "die großen fünf") waren dramatische Zäsuren in der Geschichte des Lebens. Diese Perioden überlebte jeweils höchstens ein Viertel der Tiere und Pflanzen. Das bekannteste Ereignis dieser Art fand vor 65 Millionen Jahren statt, als die Dinosaurier verschwanden. Selbst die Giganten der Urzeit konnten sich nicht dagegen stemmen. Um zu ermitteln, ob sich der aktuelle Artenschwund bereits mit den Massenextinktionen vor Millionen von Jahren vergleichen lässt, schrieb der Paläontologe Anthony Barnosky von der kalifornischen Berkeley Universität die derzeitige Aussterberate in die Zukunft fort und verglich sie mit den "Big Five". Sein Ergebnis: Schon in wenigen Jahrhunderten droht der sechste Massenexodus.

Ein Massenaussterben ebnete den Säugetieren den Weg

Doch ist die Situation tatsächlich so dramatisch? Arten kommen und gehen, das war schon immer so. Experten sprechen vom "Hintergrundaussterben". Ein Säugetier hält im Allgemeinen nur zehn Millionen Jahre durch, auch ohne menschliche Eingriffe. Dann stirbt es aus. Paläontologen schätzen, dass von allen Arten, die je auf der Erde lebten, 99 Prozent verschwunden sind. Kann man die heutige Situation wirklich mit den dramatischen Ereignissen aus der Vorzeit vergleichen? Was weiß man überhaupt über jene Zeiten, von denen nur Fossilien und Steine Zeugnis ablegen?

Eines ist klar: Die "Big Five" waren so einschneidend, dass Paläontologen die Erdgeschichte nach ihnen gliedern. Die Tierwelt veränderte sich danach stets gründlich. Der schwerste Schlag traf die Erde vor rund 251 Millionen Jahren und markiert die Grenze von Erdaltertum (Paläozoikum) und Erdmittelalter (Mesozoikum). Man schätzt, dass damals 96 Prozent aller Arten ausgemerzt wurden, darunter die Trilobiten, meeresbewohnende Gliederfüßer, die das gesamte Erdaltertum bestimmt hatten. Weitere Massensterben ereigneten sich an der Wende von Ordovizium und Silur (vor 440 Millionen Jahren), Devon und Karbon (vor 360 Millionen Jahren) sowie Trias und Jura (vor 208 Millionen Jahren).

Aus natur 09/2014

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  • natur 09/2014

    Der Text stammt aus der September-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 09/2014 auf natur.de...

Das letzte der Fünferbande, das vor 65 Millionen Jahren den Dinosauriern den Garaus machte, läutete die Erdneuzeit (Känozoikum) ein und ebnete den Säugetieren den Weg. Sie konnten sich, ohne die lästige Konkurrenz der Saurier, neue ökologische Nischen erschließen und entwickelten die uns heute bekannte Vielfalt - mit Homo sapiens als einem momentanen Resultat. Über die Ursachen der großen Sterbewellen rätseln Experten bis heute. Anhaltender Vulkanismus oder ein abrupter Klimawandel waren lange die Favoriten. Auch die Freisetzung großer Mengen Schwefelwasserstoff wurde von Forschern diskutiert. Inzwischen treten extraterrestrische Ursachen in den Vordergrund, vor allem der Einschlag eines Kometen oder Asteroiden.

Chicago's Lincoln Park Zoo Host Preview Of Baby Rhinoceros

Ein Nashorn-Baby im Zoo von Chicago - die Tiere sind in ihrer afrikanischen Heimat bedroht

(Foto: AFP)

Auf die Fährte dieses buchstäblich eindrücklichen Ereignisses kam die Fachwelt mit Hilfe eines Zufalls. Die Geschichte beginnt Ende der 70er Jahre, als der US-amerikanische Geologe Walter Alvarez mit seinem Geologenhammer ratlos an einem Felsen nahe dem italienischen Städtchen Gubbio herumklopfte. Er wollte herausfinden, wie viele Jahre in jedem Zentimeter des Gesteins steckten, wie schnell sich also die Sedimente einst abgelagert hatten. Sein Vater Luis, ein Physiker und Nobelpreisträger, wusste einen Rat: Nimm doch den Iridium-Gehalt als Maßstab, meinte er. Iridium ist im Sternenstaub enthalten, der gleichmäßig auf die Erde niederregnet.

Alle 200 Millionen Jahre droht im Schnitt ein Asteroideneinschlag

Unter den Proben, die Alvarez untersuchte, war zufällig auch eine dünne Tonschicht, die aus der Zeit vom Übergang zwischen Kreide und Tertiär vor 65 Millionen Jahren stammte. Zur Überraschung des Teams enthielt sie sehr viel Iridium. Viel zu viel, um den Wert allein mit der Sedimentationsgeschwindigkeit erklären zu können. Die naheliegende Schlussfolgerung: Ein Asteroid musste auf der Erde eingeschlagen sein und seine Iridium-Fracht weltweit verteilt haben - eine unvorstellbare Katastrophe. Zu jener Zeit starben mit den Dinosauriern rund 76 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten aus. Da lag es nahe, auch die anderen Massenaussterben einem Asteroiden anzulasten, zumal auf der Erde immer mehr Einschlagkrater gefunden wurden. Die Zahl der Treffer liegt derzeit laut "Earth Impact Database" bei 184.

Man schätzt, dass etwa alle 200 Millionen Jahre mit einem Einschlag vom Dino-Kaliber zu rechnen ist. Für das größte Desaster vor 251 Millionen Jahren gilt allerdings ausgedehnter Vulkanismus als wahrscheinlichste Ursache. Damals wurde im heutigen Sibirien ein Gebiet von der vierfachen Größe Frankreichs unter einer kilometerdicken Lavaschicht begraben, die zu Basalt erstarrte. Das Klima änderte sich dramatisch, die Temperaturen stiegen. Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid reicherten sich in der Luft und im Wasser an. Die Weltmeere versauerten und kippten wahrscheinlich sogar in weiten Teilen um, so dass alle Tiere, die auf Sauerstoff angewiesen waren, erstickten. Der Meeresboden war bald mit Kadavern übersät. Noch heute findet man in den Alpen braune Gesteinsschichten, die nichts anderes sind als die Reste dieses Massengrabs. Sie wurden bei der Auffaltung des Gebirges vom Meeresgrund bis in die Alpenspitzen gehoben. Aber auch an Land starben die meisten Arten aus, darunter gewaltige Insekten wie die Riesenlibelle.

Wie schnell der Tod damals kam, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Dafür ist die Beweislage zu dürftig. Der amerikanische Professor Sam Bowring vom Massachusetts Institute of Technology hat das Verhältnis von Uran zu Blei in Zirkonkristallen zur Datierung genutzt. Diese geologische Uhr läuft recht zuverlässig, da radioaktives Uran mit konstanter Rate zu Blei zerfällt. Das Ergebnis: Der Tod kam in einem Zeitraum von höchstens 68 000 Jahren, plus/minus 48 000 Jahre - für geologische Verhältnisse ein Wimpernschlag. Auf einen langsamen Wandel kann sich die Natur einstellen, sei es durch eine Verschiebung der Ausbreitungsgebiete oder durch Mutationen. Derzeit kann man fast überall auf der Welt beobachten, wie Tiere und Pflanzen den steigenden Temperaturen ausweichen und nach Norden oder hoch in die Berge wandern. "Afrikanische Vögel findet man heute in Italien", sagt Evolutionsbiologe Axel Meyer von der Universität Konstanz.

Insgesamt blieb die Natur erstaunlich robust

Das Tempo des Aussterbens spielt eine entscheidende Rolle, wenn man die heutigen Ereignisse mit denen der Vorzeit vergleichen will. Als die Dinosaurier starben, kam das Verhängnis quasi über Nacht. Tiere, die die ersten Minuten nach dem Einschlag überlebt hatten, bekamen meist nur eine kurze Galgenfrist von Tagen oder Monaten. Heiße Auswurfprodukte fackelten die Vegetation weltweit ab und vergifteten die Atmosphäre und den Boden. Zudem verdunkelten die Explosionswolken wochenlang die Sonne. So brachen die Nahrungsketten zusammen: Nach den Pflanzen starben die Pflanzenfresser und schließlich die Räuber. Tiere mit großem Appetit waren in diesen Hungerzeiten am schlimmsten dran. Die besten Überlebenschancen hatten kleine Tiere, die sich vielseitig ernährten und im Schutz von Höhlen wohnten - vor allem kleine Säuger.

Die heutige Situation ist zwar weit weniger dramatisch, doch es gibt Parallelen: Auch jetzt haben vor allem große Tiere Probleme zu überleben, denn auch für sie wird das Futter knapp. Allerdings steckt der Mensch dahinter, der seinen tierischen Konkurrenten die Nahrung und den Lebensraum streitig macht. Freilich ist die absolute Zahl ausgestorbener Tiere und Pflanzen bisher noch gering. Von allen Arten sind in den letzten 500 Jahren etwa ein bis zwei Prozent verschwunden. Genaue Zahlen sind nur schwer zu ermitteln, man weiß nicht einmal, wie viele Spezies auf der Welt leben. Beschrieben sind rund 1,9 Millionen. Bei der Gesamtzahl reichen die Schätzungen von 3,6 Millionen bis weit über 100 Millionen. Ein bis zwei Prozent Verlust kann sich nicht messen mit den 75 bis 96 Prozent bei den "Big Five".

Doch wenn es um die Aussterberate geht, also um das Tempo des Verschwindens, ergibt sich eine neue Perspektive. Die Weltnaturschutzunion IUCN geht davon aus, dass die derzeitige Rate 1000- bis 10 000-fach über dem Hintergrundaussterben liegt, also über dem, was ohne den Menschen passieren würde. Nach ihren Berechnungen verschwinden Tag für Tag etwa 100 Arten für immer. Auch die Zahl der Individuen schrumpft bei den meisten Tierarten besorgniserregend, wie die sogenannten Roten Listen bedrohter Arten belegen. Nach Angaben der IUCN gelten 22 Prozent der Säugetiere als gefährdet, 20 Prozent der Reptilien und mindestens 31 Prozent der Amphibien. Wenn ein intelligentes Wesen in 100 Millionen Jahren die fossile Überlieferung unserer Zeit studiert, wird es wahrscheinlich von einem Massenaussterben sprechen. Denn der Unterschied zwischen ausgestorbenen und gefährdeten Arten verschwindet mit den Jahrmillionen, weil nur ganz wenige Tiere und Pflanzen nach ihrem Tod erhalten bleiben und versteinern - und dann auch gefunden werden können.

Von Elefanten, Tigern, Nashörnern, Meeresschildkröten, Hyazinth-Aras und vielen anderen Arten wird es keine Reste geben, dafür sind ihre Bestände einfach zu klein geworden. Vielleicht wird man später die Versauerung der Ozeane oder den Klimawandel für den Schwund verantwortlich machen, denn dafür wird man Indizien finden. Unabhängig davon, ob wir uns nun in einer Phase des Massenaussterbens befinden oder darauf zusteuern, eines zeigen die Fossilien der "Big Five" auch - und das macht Hoffnung: Selbst wenn eine einzelne Art verschwand, hat sich die lebendige Natur insgesamt als ausgesprochen robust erwiesen. Egal, wie heftig ein Schlag für das Leben auf der Erde ausfiel, es hat sich bislang immer wieder davon erholt.

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