Fall Edathy:Wenn sich das Verfassungsgericht drückt

Sebastian Edathy

Seine Karriere ist vorbei, unabhängig von allen Richtersprüchen: Sebastian Edathy.

(Foto: dpa)

Dürfen Ermittler bereits eine Razzia durchführen, wenn lediglich ein nebulöser Verdacht auf Kinderpornografie besteht? Das Bundesverfassungsgericht sagt: ja. Irritierend ist jedoch, dass Karlsruhe davor kneift, klare Grenzen zu ziehen.

Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nun ist Sebastian Edathy also auch beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die umstrittene Durchsuchung seiner Wohn- und Büroräume auf den seinerzeit dünnen Verdacht hin, er habe sich kinderpornografische Fotos verschafft - diese Maßnahme trägt nun den höchstrichterlichen Segen. Das ist überraschend, aber das Ergebnis selbst ist nicht skandalös. Wirklich irritierend an dem Karlsruher Beschluss ist etwas anderes. Die Art und Weise, in der die Richter sich um die Antwort auf eine existenzielle Frage herumgedrückt haben.

Die Frage, die der Fall Edathy den Karlsruher Richtern beschert hat, lautet: Dürfen Ermittler bereits zum robusten Mittel der Razzia greifen, wenn der Verdacht auf Kinderpornografie noch die diffusen Konturen eines Herbstnebels hat? Bei Edathy lagen zum Zeitpunkt der Durchsuchung - und nur dieser Zeitpunkt ist für die richterliche Prüfung maßgeblich - Kinderfotos vor, die nach Einschätzung des Bundeskriminalamts und wohl auch der Staatsanwaltschaft selbst noch unterhalb der strafwürdigen Schwelle rangierten.

So schrumpfen große Fälle zur Bedeutungslosigkeit

Erst die Gerichte, die anschließend den Durchsuchungsbeschluss überprüften, rückten die Bilder in einen - möglichen, keineswegs sicheren - Grenzbereich der Strafbarkeit. Daraus zog nun das Verfassungsgericht den listigen Schluss: Wenn doch die unteren Gerichte das bei Edathy gefundene Material als der näheren Prüfung würdig einstufen, dann reicht das allemal für einen Durchsuchungsbeschluss. Das ist, mit Verlaub, eine Methodik, mit der man große Fälle zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen lässt.

Das Verfahren hätte den Karlsruher Richtern die Gelegenheit geboten, den Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern der Republik ein paar Maßstäbe an die Hand zu geben, an denen sie sich orientieren können, bevor sie eine Kinderporno-Razzia anordnen. Denn wenn der Fall Edathy eines zeigt, dann dies: Beim Thema Kinderpornografie genügt schon der Schatten eines Verdachts, um Existenzen zu vernichten.

Wer in diesen Ruch gerät, erleidet den sozialen und beruflichen Tod, da hilft keine Unschuldsvermutung und vielleicht nicht einmal ein rechtskräftiger, aber später Freispruch. Wo, wenn nicht hier, muss der Rechtsstaat äußerst skrupulös vorgehen? Und wo sonst müsste der oberste Hüter des Rechtsstaats klare Worte sprechen?

In diesem Verfahren ging es also gar nicht mehr so sehr um Edathy selbst. Seine Karriere ist vorbei, und auch für den zu erwartenden Strafprozess hätte er wenig Gewinn aus einem Sieg in Karlsruhe ziehen können. Es geht darum, wie sich der Kern des Rechtsstaats auch dort wahren lässt, wo bereits der Verdacht das vernichtende Urteil enthält. Edathy mag am Ende schuldig gesprochen werden.

Aber sein Fall lässt ahnen, wie schnell auch aus einer strafrechtlich irrelevanten sexuellen Neigung - mag sie auch menschlich zu missbilligen sein - ein existenzzerstörendes Ermittlungsverfahren werden kann. Das Verfassungsgericht hätte die Chance gehabt, klare Grenzen zu ziehen. Es hat sie vertan.

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