Mensch und Auto:Gefährlicher Rollentausch

Pilotiertes Fahren, Vernetzte Mobilität, Vernetztes Fahren

Autonomes Fahren ist längst keine Zukunftsvision mehr. Schon 2020 soll es so weit sein.

(Foto: oH)

Das Auto von morgen soll den Fahrer kontrollieren, nicht umgekehrt. Die Techniker wollen im Namen der Sicherheit den Faktor Mensch aus dem Verkehr ziehen - wegen seiner Unberechenbarkeit.

Kommentar von Thomas Fromm

Die Geschichte klingt nach ferner Science-Fiction, aber im Grunde spielt sie schon in der Gegenwart: Es geht um Autos, die so intelligent sind, dass sie an den Kopf- und Augenbewegungen des Fahrers erkennen können, ob er abgelenkt oder müde ist. Schon in wenigen Jahren sollen sie auf den Straßen fahren. Dann wird nicht mehr der Fahrer das Auto, sondern das Auto den Fahrer kontrollieren. Ihn beobachten, und, wenn es sein muss, korrigieren. Ingenieure sagen, dass dies den Verkehr sicherer mache. Worüber sie weniger sprechen, sind die Gefahren, die sich ergeben, wenn man die Rollen von Mensch und Auto vertauscht.

Denn die neuen Maschinen sind nicht unfehlbar. Sie sammeln Daten und können diese Daten weitergeben - etwa an Hersteller oder Autoversicherer. Interessieren könnten sich viele für die Kopf- und Augenbewegungen der Menschen. Und: Die Computer sind, wie alle intelligenten Maschinen, manipulierbar. Dass irgendjemand Zugriff haben könnte auf unsere Kopfbewegungsprofile, ist schon allein deshalb eine unangenehme Vorstellung, weil wir gar nicht wissen, wer sich alles dafür interessieren könnte, ob wir wach oder müde, glücklich oder unglücklich sind, während wir fahren. Dass jemand unglücklich ist, sagen Experten, könne man schon am Fahrstil erkennen. Jede Autofahrt als potenzielle psychologische Studie? Nein, lieber nicht!

Kleine Firmen bereiten einen historischen Wandel vor

Die Treiber der Entwicklung sind gar nicht so sehr die Autohersteller selbst. Es sind kleine, bis dato höchstens Insidern bekannte Firmen, die den historischen Wandel vorbereiten. Zum Beispiel eine Firma aus Australien mit dem seltsamen Namen "Seeing Machines", "Sehende Maschinen". Ein Unternehmen, das jene feinen Überwachungssysteme herstellt, die die Augen und Kopfbewegungen von Fahrern beobachten. Schaut der Fahrer nicht ständig auf die Straße vor ihm, sondern, sagen wir, auf die CD-Sammlung im Handschuhfach, wird ihn seine sehende Maschine darauf hinweisen.

Die Firma mit den sehenden Maschinen, die dafür sorgen sollen, dass Menschen nicht mehr abgelenkt werden, will nach einem Bericht der Financial Times den US-Autobauer General Motors (GM) mit seinen Geräten ausstatten, die Rede ist von einer halben Million Autos in drei bis fünf Jahren. Da GM nicht nur der größte Autokonzern der USA ist und weltweit zu den ersten drei gehört, ist das, was GM tut, nicht ganz unwichtig für den Rest der Branche. Es werden sich früher oder später alle mit der Frage beschäftigen, wie ein Auto die Kopf- und Augenbewegungen seines Fahrers beobachten kann.

Das Auto beobachtet nicht sich selbst, sondern den Fahrer

Interessant an all dem ist der Rollentausch. Bisher ging es bei solchen Technologien darum, dass sich das Auto selbst beobachtete. Fahrerassistenzsysteme heißen Funktionen wie Abstandhalter, Bremsautomatik, Einparkhilfen und Spurassistenten. Kleine intelligente Helfer, die man nicht unbedingt braucht, die aber vielen Menschen das Fahren erleichtern. Jetzt wird der Spieß umgedreht, jetzt soll das Auto nicht mehr sich selbst, sondern den Menschen beobachten. Ihm sagen, wenn die Augenlider flattern, der Kopf ruckartig zur Seite zieht, weil der Fahrer kurz davor ist einzunicken. Irgendwann - einige Autokonzerne planen dies schon für das Jahr 2020 herum - sollen Autos dann ganz alleine fahren können. Kopf- und Augenbewegungen dürften dann wohl keine Rolle mehr spielen, weil das Auto dann eh auch ganz gut ohne seinen Fahrer klarkommt.

Es geht den Technikern um nichts weniger, als den Faktor Mensch Schritt für Schritt aus dem Verkehr zu ziehen. Denn der Mensch ist ihnen suspekt, weil er unberechenbar ist. Er kann bei 140 km/h auf der Autobahn einschlafen, er kann zwei Bier zu viel trinken, schlecht gelaunt sein, seine Aggressionen in der Öffentlichkeit ausleben. Je weniger Macht er also im Auto hat, und je intelligenter das voll automatisierte Auto wird, desto sicherer der Straßenverkehr. Die Maschine, dieses Bündel aus Sensoren und Algorithmen, Kameras und Elektronikteilen, schlägt künftig den Menschen. Bis zum Jahr 2018, schätzen Experten, soll ein Drittel aller Autos hochgerüstet sein.

Gibt es Alternativen? Einige. Zum Beispiel eine alte, bewährte Technik: Wenn einem die Augen am Steuer zuzufallen drohen, einfach den nächsten Rastplatz anfahren. Frische Luft, vielleicht ein paar Minuten die Augen zumachen und danach einen Espresso trinken - ganz unbeobachtet. Geht auch so.

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