Designierter Präsident:Juncker baut EU-Kommission grundlegend um

Jean-Claude Juncker

Jean-Claude Juncker will mit einem Vorstoß die andauernde Kritik beenden, die EU-Kommission sei schwerfällig und bürokratisch.

(Foto: AP)

Weg von der Bürokratie, hin zur Regierung Europas: Jean-Claude Juncker plant den größten Umbau der EU-Kommission seit ihrer Gründung. Die mächtige Behörde soll sich stärker um europäische Kernprojekte kümmern.

Von Javier Cáceres und Cerstin Gammelin, Brüssel

Jean-Claude Juncker plant den größten Umbau der Europäischen Kommission seit ihrer Gründung. Wie die Süddeutsche Zeitung am Dienstag in Brüssel erfuhr, will der designierte Chef der Gesetzgebungsbehörde sein Kommissarskollegium künftig entlang der europäischen Kern-Projekte organisieren.

Konkret will er die 27 Kommissare in sechs bis sieben Gruppen aufteilen, die Kernprojekte wie den Aufbau der Energieunion und des "digitalen Binnenmarktes", die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion oder die Umsetzung des 300-Milliarden-Euro Investitionspaketes vorantreiben sollen.

Um die Projektgruppen zu leiten, wird jeweils ein Kommissar zum Vizepräsidenten befördert. Die übrigen Kommissare erhalten wie bisher ein eigenständiges Portfolio, für das sie verantwortlich sind. Sie werden weitgehend flexibel und je nach Bedarf in den einzelnen Projektgruppen mitarbeiten. So werde beispielsweise der künftige Handelskommissar sowohl bei der Außenpolitik, beim Investitionspaket und bei der Wirtschafts- und Währungsunion zuarbeiten.

Die "Super-Vizepräsidenten", wie sie in Brüssel heißen, erhalten dagegen keine inhaltliche Zuständigkeit. Sie sind allein für das jeweilige EU-Kern-Projekt zuständig, sie sollen Juncker "vollumfänglich vertreten und seine Autorität in ihrem jeweiligen Bereich ausüben können." Anders als bisher werden sie damit auch politisch für die Umsetzung der Projekte verantwortlich sein. Juncker könnte dadurch die Freiheit gewinnen, auf Krisen und neue Herausforderungen auch mit schnellen personellen Wechseln reagieren zu können.

Der Kommission gehören der Behördenchef sowie 27 Kommissarinnen und Kommissare an. Sie vertreten die 28 EU-Mitgliedsstaaten. Bisher hatten alle Kommissare einen eigenen Aufgabenbereich. Sie waren im Kollegium gleichberechtigt und konnten individuell Gesetzesvorschläge einbringen. Zwar gab es bereits Vizepräsidenten. Sie spielten jedoch bislang keine herausragende Rolle.

Junckers will mit dem Vorstoß die andauernde Kritik beenden, die Kommission sei schwerfällig, bürokratisch und agiere an den Bedürfnissen von Unternehmen und Bürgern vorbei. Diese Vorwürfe werden als ein Grund dafür angesehen, dass Europa und die europäischen Institutionen unter Bürgern in den vergangenen Jahren an Zustimmung verloren haben.

Juncker ist unter Zugzwang

Um diese Spirale zu stoppen, heißt es, wolle Juncker die Behörde wegführen von einer bürokratischen Einrichtung hin zu dem, was sie einmal werden soll: die Regierung Europas. Dazu beitragen soll die neue hierarchische Struktur. Präsident Juncker stimmt sich mit den sechs oder sieben Vizepräsidenten ab, die für die EU-Kernprojekte zuständig sind. Die wiederum organisieren die Arbeit in ihrem Projektteam, dem Kommissare angehören, die für jeweils ein Fachgebiet zuständig sind. Die Kommissare können auf Generaldirektoren zurückgreifen, die ihnen inhaltlich zuarbeiten.

Wie das praktisch aussehen kann, wird am Beispiel der geplanten EU-Energieunion deutlich. Sie soll die Versorgung der Europäer mit Elektrizität und Gas, aber auch die umwelt- und klimafreundliche Erzeugung von Energie sichern. Es müssen also die Kommissare für Binnenmarkt, Klimaschutz, Steuern, Justiz, Regionalförderung und Haushalt zusammenarbeiten. Auch die Außenpolitik wird bei der Energieunion eine Rolle spielen.

Das Europaparlament will Frauen in der Kommission

Zu den schwierigsten Aufgaben bei der Zusammenstellung der neuen Kommission gehört die Verteilung der Posten. Besonders begehrt sind die der Vizepräsidenten; 26 Hauptstädte hätten bereits ihren Anspruch auf einen der Posten angemeldet, heißt es in Brüssel.

Da es aber höchstens sieben dieser Posten geben wird, werden die meisten Länder mit einem Kommissar zufrieden sein müssen, der wie bisher für ein normales Portfolio zuständig ist. Beste Chancen auf einen Vize-Posten, so heißt es weiter, haben ehemalige Premierminister wie der Finne Jyrki Katainen, der für die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion zuständig werden könnte.

Besonders begehrte Portfolios will Juncker, der eigenständig über die Vergabe der Posten entscheiden darf, allerdings für Länder reservieren, die weibliche Kommissare nach Brüssel schicken. Juncker ist unter Zugzwang. Bisher haben die EU-Regierungen nur sechs Frauen nominiert - ein Rückschritt: In der amtierenden Kommission sitzen immerhin neun Frauen im Kollegium.

Das Europaparlament droht damit, die neue Kommission durchfallen zu lassen, wenn ihr nicht mehr Frauen als dem bisherigen Kollegium angehören. Ohne Zustimmung des Parlaments darf die neue Kommission ihre Arbeit nicht aufnehmen.

Seit Dienstag und noch bis Donnerstag empfängt Juncker in Brüssel seine Kommissarsanwärter zu jeweils 30-minütigen Vorstellungsgesprächen. Er wird dabei auch klarmachen, welche Posten er ihnen zugedacht hat. Sollte es keinen unerwarteten Widerstand geben, soll das neue Kollegium Mitte nächster Woche vorgestellt werden. Danach beginnen die Anhörungen im Europäischen Parlament, abgestimmt werden soll Ende Oktober; planmäßiger Arbeitsbeginn ist der 1. November.

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