Wowereit bei "Maischberger":Sechs Lektionen für Berlin

Menschen bei Maischberger, Folge 427

Eine Berliner Konstante tritt ab: Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit bei Sandra Maischberger

(Foto: WDR/Max Kohr)

Klaus Wowereit tritt ab - und unsere Autorin zieht nach Berlin. Gut, dass sie sich vorher von ihm noch ein paar Tipps zum Überleben in der Hauptstadt holen kann. Ein lehrreicher Fernsehabend mit Wowereit und seinen Freunden.

Von Hannah Beitzer

Wer sich in Berlin bewegt, kann eine Menge falsch machen, das weiß jeder, der hin und wieder ins Internet guckt: Rollkoffer laut scheppernd übers Pflaster ziehen. Mit Kinderwagen den Gehsteig oder Cafés versperren. Das Wochenende auf der Couch anstatt in einem angesagten Club verbringen. Die angesagten Clubs nicht kennen und stattdessen in welche gehen, die neulich mal angesagt waren, in denen aber inzwischen nur noch spanische Touristen rumhängen. Zu viel Geld für eine Wohnung bezahlen und damit die Gentrifizierung beschleunigen. In ein Viertel ziehen, in dem Menschen laut scheppernd Rollkoffer über die Straße ziehen, mit Kinderwagen den Gehsteig und Cafés versperren und die Gentrifizierung beschleunigen.

Deswegen bin ich, sozialisiert in der beschaulichen Bräsigkeit der bayerischen Provinz, ein bisschen nervös, bald aus München ins wilde Berlin zu ziehen. Erst recht, da die für mich einzig wahrnehmbare Berlin-Konstante pünktlich zu meinem Umzug abtritt: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der immerhin schon in einer Zeit ins Amt gelangte, als ich noch im mittelfränkischen Dinkelsbühl zur Schule ging. Aber immerhin, Wowereit hat sich 13 Jahre in Berlin gehalten und wirkt heute noch ganz vergnügt. Zu besichtigen war das in der Sendung "Menschen bei Maischberger", die für eine Fast-Neuberlinerin einige wertvolle Erkenntnisse für das Überleben in der Hauptstadt bereithielt.

1. Immer locker bleiben

Ein legendärer Satz - "Ich bin schwul und das ist auch gut so" - ist ein guter Anfang. Dann müssen noch ein paar Knaller - zum Beispiel so was wie "arm, aber sexy" - hinterher und fertig ist die Legende. Gut ist natürlich, wenn man auch nach dem Abtritt in einer Talksendung über sein Coming-out noch neue lockere Dinge sagen kann wie: "Das war eher so ein Slow Outing." Weil das ein bisschen nach Slow Food klingt und das wiederum sehr nach Berlin.

Da kann man dann auch recht locker bleiben, wenn einem eine Moderatorin eine Papptafel vor die Nase knallt, auf der zu sehen ist, dass man in den Beliebtheitswerten die hinterletzte Mini-Treppenstufe einnimmt, also fast gleichauf mit Nicht-Prominenten, die gewöhnlich auf gar keiner Treppe stehen. Pfff. "Ich kann verstehen, dass viele Leute unzufrieden sind mit dem Flughafen", brummt Wowereit da.

Das ist allerdings nur ein Bruchteil der Wurstigkeit, die er sonst so kann. In der Maischberger-Sendung wird ein Film aus dem Jahr 2012 eingespielt, zu sehen ist ein lachender Wowereit, der sagt: "Die Leute sagen immer wieder: Ich bin so froh, dass wir noch von Tegel fliegen können." Oder: "Da mach ich mir überhaupt keine Sorgen, denn es ist beschlossen, dass er fertig wird."

2. Geld spielt keine Rolle

Ein neuer Flughafen? Her damit! Olympia? Will ich haben! Wie, das ist alles viel teurer als gedacht? Ach, das war mir so nicht bewusst! Oder auch: So schlimm ist es nicht. Wird schon irgendwie werden. Irgendwann. Eine entspannte Einstellung zum Geldausgeben und -verplanen scheint in Berlin essentiell.

"Vor Jahrzehnten war München Olympiahauptstadt, warum soll sich da Dekaden später Berlin nicht bewerben", sagt die ebenfalls bei Sandra Maischberger anwesende Entertainerin Désirée Nick, die in der Sendung Wowereits Sidekick ist. Berlin ist also das neue München? Egal. Hauptsache, der Auftritt stimmt. Jemandem wie mir, der zwei Dutzend verschiedenfarbige Pumps, davon vier Paar in Schwarz, im Schrank stehen hat, ist lockeres Geldausgeben ohne vernünftige Kosten-Nutzen-Kalkulation nicht fremd.

3. Feiern ist wichtiger als Flughafen

Aber genug von dem lästigen Flughafen! Schließlich gab es auch schöne Zeiten. Eingeblendet werden Désirée Nick und Klaus Wowereit, "die Ikonen der Partyhauptstadt Berlin", sie teilen öffentlich einen innigen Kuss. Dann kommt das berühmte Bild von Wowereit mit einem - äh, na ja, etwas Ähnlichem wie einem Damenschuh, nur riesengroß. Angeblich mit Champagner gefüllt, soso. Da beeilt sich Wowereit zwar in der Maischberger-Sendung zu sagen: "Es ist schon hundertmal nachgewiesen worden, dass da nie was geflossen ist."

Aber eigentlich weiß der Zuschauer, dass Désirée Nick recht hat, wenn sie fast zeitgleich ruft: "Man stürzt sich darauf, was abgefeiert wird als Glanz, Glamour und Gloria." Es sei dabei normal, dass "jemand, der gesegnet ist mit Sachen, die man sich nicht kaufen kann", nämlich "Charme, Intelligenz, Esprit", Widerstand bei den Stinknormalos hervorrufe. So wie halt Berlin bei - sagen wir - den Bayern. Womit wir beim nächsten Thema wären.

4. Die Bayern liegen falsch

Denn: "In Bayern gibt es Menschen, die sich darüber sehr ärgern", stellt Maischberger fest. Das ist korrekt. Auf die Partyeskapaden der Hauptstadt ist man in München nicht so gut zu sprechen. Und schwups werden schon ein paar miesepetrige, äußerlich und/oder innerlich alte Herren eingeblendet. Darunter zum Beispiel der bayerische Finanzminister Markus Söder: "Wir sind solidarisch, aber blöd sind wir nicht." Oder - ach herrje! - der unglückselige Uli Hoeneß. "Dem seine wichtigste Aufgabe ist auszusuchen, wer beim Christopher Street Day auf dem ersten Wagen sitzt", ätzt dieser in Richtung Wowereit. Auch Ministerpräsident Horst Seehofer hat, glaube ich, einen Einspieler-Auftritt, den ich jedoch verpasse, weil ich mir aus Scham für mein uncooles Heimatbundesland ein Schöfferhofer Grapefruit Weizen aus dem Kühlschrank holen muss.

Uncool sind die Herren aus Bayern nicht nur deswegen, weil sie auf Bildern statt Champagner-Schuhen maximal Bierkrüge in der Hand haben. Sondern auch weil sie mit einer - darin sind sich alle in der Runde einig - völlig aussichtslosen Klage den lustigen Berlinern den Geldhahn zudrehen wollen. "Die Bayern liegen da falsch", sagt Wowereit und: "Die Berlinerinnen und Berliner zahlen für die Solaranlagen, die sich die Bayern aufs Dach gebaut haben." Auf meinem Dach ist keine Solaranlage. Vielleicht bin ich ja deswegen auf Wowereits Seite.

5. Ohne gute Freunde geht nichts

Berlin überleben, das wird in der Sendung klar, geht nicht ohne richtig gute Freunde: väterliche Freunde, wie Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU), der dem Nachfolger rät, doch mal ein Jahr ins Ausland zu gehen, als wäre er ein Student in der Orientierungsphase. Freunde, die einen bedingungslos bewundern. Wie Désirée Nick: "Dieses Flair, dieses Image, diese Kultur einer ganzen Metropole, die sich erst neu formieren musste, das ist alles das Verdienst von Klaus Wowereit."

Freunde, die ihre Komplimente als kleine Giftpfeile verschicken. Wie der FDP-Politiker und Dauer-Talkshowgast Wolfgang Kubicki: "Traurig ist, dass die roten Teppiche des Boulevards jetzt mit anderen Menschen bestückt werden müssen als Klaus Wowereit." Und Freunde, die einem auch mal sagen: Jetzt ist Schluss. Wie der Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros Nikolaus Blome ausdrückt: "Ich glaube, dass nach einer gewissen Zeit eine Ära auch mal rum ist."

6. Schluss machen

Überhaupt, Schluss machen! Das muss man als erfolgreicher Berliner zunächst einmal mit anderen, ausrangierten Koalitionspartnern zum Beispiel. Schließlich ist Berlin eine Metropole der Zukunft, nicht der Vergangenheit. So passiert ist es Wowereits Vorgänger Diepgen, den dieser ziemlich rabiat aus dem Amt gekegelt hat - oder wie es gleich mehrere Teilnehmer der Talkrunde ausdrücken "die SPD aus der babylonischen Gefangenschaft befreit" hat.

Ja, und dann ist man irgendwann selber dran, mit sich Schluss zu machen. Aber was kommt denn nun, Herr Wowereit? Gazprom, Bundespräsident oder Golfen? "Alles nur mal Gemach, wir werden sehen, was kommt. Ich bin da auch sehr wählerisch", sagt Wowereit. Vielleicht will er ja die Berliner Olympia-Bewerbung managen, fragt Maischberger. "Ne, da braucht man jemand ganz anderen", sagt er. Und wen? Jemanden mit "internationalem Background", so eine Olympia-Bewerbung sei immerhin eine "Herkulesaufgabe". Na, wenn das so ist - dann ist das nichts. Nee.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: