Nahostkonflikt:Abbas droht Israel mit Klage in Den Haag

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Vielleicht bald ein Thema für die Haager Ermittler: ein zerbombtes Klassenzimmer in Gaza-Stadt. (Foto: Suhaib Salem/Reuters)

Der veränderte UN-Status der Palästinenser könnte Israel vor das Weltstrafgericht bringen: Palästinenserpräsident Abbas will die Regierung dort unter Umständen wegen Kriegsverbrechen anklagen. Die Hamas hätte in diesem Fall nicht viel zu befürchten.

Von Ronen Steinke, München

Drei Wochen liegt das Ende des Gaza-Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas zurück. Es war kurz vor der Verkündung der Waffenruhe, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas geheimnisvoll andeutete, demnächst warte eine "diplomatische Überraschung" auf Israels Regierung. Seit Kurzem ist klar, was er damit meinte.

Abbas' Regierung will sich an diesem Montag an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) wenden. Man wolle einen "Fahrplan" für den Abzug der israelischen Truppen aus dem Westjordanland verlangen, kündigten mehrere palästinensische Minister in den vergangenen Tagen an. Ihre Forderung an den Sicherheitsrat lautet: Israels Armee solle per Resolution dazu gezwungen werden, binnen drei Jahren das Westjordanland zu räumen, so wie die Armee zuletzt den Gazastreifen geräumt hat. Das hieße, dass sich Israel bis spätestens 2017 wieder in seine Grenzen von 1967 zurückziehen müsste; im fünfzigsten Jahr der Besatzung.

Eine Forderung fürs Schaufenster. Das weiß Abbas' Regierung, denn im UN-Sicherheitsrat gilt ein Veto der USA als sicher. Aber deswegen ist umso interessanter, was seine Regierung für den Fall ihres Misserfolgs im UN-Sicherheitsrat bereits angekündigt hat: Dann werde man Israel vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen, erklärte der Abbas-Vertraute und Kabinettsminister Nabil Shaath vor wenigen Tagen der palästinensischen Nachrichtenagentur Ma'an. Die palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi erläuterte denselben Plan im arabischen Nachrichtensender Al Jazeera.

Von der Beobachter-Organisation zum Beobachter-Staat

Es ist nicht der erste Versuch, israelische Politiker wegen Kriegsverbrechen anklagen zu lassen. Wie realistisch also ist er diesmal? Das Weltstrafgericht kann gegen Einzelpersonen wegen des Verdachts auf Kriegs- und Menschheitsverbrechen ermitteln - allerdings nur dann, wenn zumindest einer der betroffenen Staaten dem Gerichtsstatut beigetreten ist. Israel ist nicht beigetreten. Die Palästinensische Autonomiebehörde wollte zwar 2009 beitreten, doch bei den Juristen in Den Haag stieß sie auf Ablehnung. Die Ankläger am Weltstrafgericht ließen sich drei Jahre Zeit für eine Prüfung des palästinensischen Antrags, bis sie im April 2012 antworteten: Nur Staaten könnten dem Gerichtshof beitreten, und einen Palästinenserstaat gebe es bislang nicht. Damals hatte die Palästinenserregierung in der UN-Vollversammlung lediglich den Status einer Beobachter-Organisation inne ("observer entity"), genau wie das Rote Kreuz oder das Internationale Olympische Komitee.

Vielleicht bald ein Thema für die Haager Ermittler: ein zerbombtes Klassenzimmer in Gaza-Stadt. (Foto: Suhaib Salem/Reuters)

Wenn Abbas' Den-Haag-Plan diesmal ernster zu nehmen ist, dann liegt das daran, dass sich der Ton am Weltstrafgericht gegenüber den Palästinensern zuletzt verändert hat. Hintergrund ist, dass der Status der Palästinenser in der UN-Vollversammlung im November 2012 durch Resolution 67/19 aufgewertet worden ist: hin zu einem Beobachterstaat ("non-member observer state"), wie der Vatikan.

Vor Kurzem nun - unmittelbar nach dem Ende des Gaza-Kriegs - hat die Haager Chefanklägerin, die Gambierin Fatou Bensouda, überraschend erklärt, es liege somit an den Palästinensern selbst, wenn sie dem Rom-Statut und damit dem Gerichtshof beitreten wollten. Bensouda veröffentlichte eine Presseerklärung, die auch als Gastbeitrag im britischen Guardian erschien. Darin schreibt sie, dass der seit November 2012 aufgewertete Status der Palästinensergebiete "zwar nicht den Beitritts-Versuch von 2009 rückwirkend wirksam macht". Wohl aber stehe den Palästinensern von nun an die Tür in Den Haag offen. "Palästina könnte jetzt dem Rom-Statut beitreten."

Hamas stimmt Abbas' Plan zu

In ihrer Erklärung geht die Chefanklägerin noch auf einige technische Details ein und bekräftigt dann erneut ihre Einladung: "Dass Palästina bereits einigen zwischenstaatlichen Abkommen beigetreten ist, seitdem es seinen Status als Beobachterstaat erlangt hat, bestätigt die Richtigkeit dieser Auffassung."

Wenn die Regierung von Palästinenserpräsident Abbas den Schritt nach Den Haag nun tatsächlich unternimmt, dann könnte das Weltstrafgericht die Zuständigkeit für die Palästinensergebiete auch rückwirkend bekommen - für die vergangenen Monate oder Jahre. Dies könnte die Abbas-Regierung frei entscheiden. Allerdings darf sie den Juristen keine Vorgaben machen, wegen welcher Vorfälle und gegen welche Personen sie ermitteln sollen.

Die Hamas hat dem Den-Haag-Plan von Abbas bereits öffentlich zugestimmt - wohl wissend, dass sie sich damit gemeinsam mit der verhassten israelischen Regierung auch selbst in den Fokus der Kriegsverbrechensjustiz bringt. Die Haager Chefanklägerin hat gerade sehr deutlich betont, dass sie Vorwürfen gegen beide Seiten gleichermaßen nachgehen würde.

Pragmatisch betrachtet haben die Funktionäre der Hamas aber möglicherweise weniger zu verlieren als israelische Regierungsmitglieder. Viele westliche Staaten betrachten die Hamas ohnehin als terroristische Organisation. Mögliche Haftbefehle aus Den Haag würden ihren Pariah-Status im Westen kaum noch ändern, auch ihre Reisemöglichkeiten würden dadurch nicht stärker eingeschränkt als vorher. In der arabischen Welt ist kaum ein Land dem Gerichtshof beigetreten, von hier droht also keine Auslieferung. Israelische Politiker würden die internationale Isolation härter zu spüren bekommen.

© SZ vom 15.09.2014/fran - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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