Plattenkabinett:Randale im Rechtsstaat

Kraftklub

Die Pointe könnte bei Kraftklub hinter jeder Zeile lauern.

(Foto: Universal)

Wie gehen Kraftklub mit Erfolg um? Auf "In Schwarz" sezieren die Chemnitzer die Orientierungslosigkeit ihrer Generation. Sie beschimpfen ihre Fans - und machen damit alles richtig. Neue Alben im Plattenkabinett.

Von Thierry Backes

Geheimkonzerte sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Kleiner Klub, ein Auftritt unter falschem Bandnamen? Das war einmal. Kraftklub präsentieren ihr neues Album "In Schwarz" am späten Sonntagnachmittag auf dem Dach eines alten Busses. Das "Geheimkonzert" findet auf einem Parkplatz im Münchner Norden statt, vor Hunderten Fans, gesponsert von einem Brausehersteller aus Österreich. Die Tour ist offiziell "streng geheim": Wo die Chemnitzer Band auftritt, steht kurz vorher auf ihrer Homepage, aber nur dann, wenn die Fans auf Facebook und Twitter genug Werbung für ihre Stadt machen. Und ins Konzert kommt nur, wer sich Stunden vorher ein Einlassbändchen am anderen Ende der Stadt abholt.

Das ist geschicktes Marketing, zeigt aber auch, wie gefragt Kraftklub längst sind. Angefangen hatte es mit einem Auftritt bei Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest" im September 2011. Es folgten eine Nummer-eins-Platte ("Mit K", 2012) sowie gefeierte Auftritte bei Rock am Ring und Rock im Park. Nun also Album Nummer zwei, und das wirft natürlich die Frage auf, wie Kraftklub mit dem Erfolg umgehen. Die Jungs, die sich gerne als Provinzband stilisier(t)en (in "Karl-Marx-Stadt" heißt es: "Ich komm aus Karl-Marx-Stadt / Bin ein Verlierer, Baby / Original Ostler"), geben ihre ganz eigene Antwort, und es ist vielleicht die klügste, die sie geben konnten.

"Ich habe unsere Fans schon gekannt, da kannte die noch keiner", singt Felix Kummer gleich zum Auftakt in "Unsere Fans". Er unterstellt ihnen Arroganz, lässt sie nach Berlin (!) ziehen und folgert: "Unsere Fans haben sich verändert, unsere Fans haben sich verkauft. Unsere Fans sind jetzt Mainstream."

Kraftklub können Ironie, doch sie haben auch immer eine Haltung. Und Felix Kummer hat schon auf "Mit K" bewiesen, dass er beides in Worte zu packen versteht. Jetzt wird er mehr zum Erzähler. In "Meine Stadt ist zu laut" zum Beispiel lamentiert er aus der Perspektive eines Yuppies, der mitten im großstädtischen Getümmel leben will, aber eben zu seinen Konditionen.

"Ich zieh vor Gericht und ihr zieht aus / Ich bin nicht böse und gemein, ich bin nicht der Feind / Ich hab Verstöße angezeigt, nicht persönlich gemeint / Aber wir brauchen gar nicht streiten / Wir leben in einem Rechtsstaat / Könnt ihr euch nicht leisten? / Ja, dann habt ihr Pech gehabt."

Und doch: Den jungen Erwachsenen geht es in der Welt von Kraftklub heute nicht schlecht genug, diagnostiziert er im lauten Stück "Schöner Tag", in dem der befreundete Rapper Casper einen Gastauftritt hat. Darin führen die Eltern eine Spitzenehe, die Sonne scheint, die Blumen blühen, die Vögel singen. "Wir lachen", singt Kummer, "und irgendwann lache ich mich tot." Am Ende sperrt sich der Protagonist in der Garage ein, setzt sich ins Cabrio, lässt den Motor laufen. Nur warum, das bleibt unklar.

In "Hand in Hand" beschreibt Kummer ein diffuses Gefühl von Orientierungslosigkeit. Gut, das haben andere Künstler seiner Generation vor ihm getan, das aber ändert nichts an der Präzision der folgenden Zeilen:

"Polizisten stehen im Pflastersteinregen / Ich weiß nicht, worum es geht / Doch wir sind anscheinend dagegen / Gegen das System / Nehm' ich jetzt mal an / Keinen Plan/ Ich bin nur dem Mädchen hinterher gerannt."

Es gäbe nun mindestens ein Dutzend weiterer Passagen, die zu erwähnen sich lohnen würde. Selbst ein Füller-Song wie "Mein Rad" hat seinen starken Moment, wenn Kummer die Hommage auf seinen gestohlenen Drahtesel beendet und dem Dieb ins Gewissen redet: "Und so ein Rad, das sich einmal klauen lässt, tut es vielleicht nochmal."

Kraftklub schreiben einfach gute eingängige Texte. Punkt. Im Hintergrund krächzen die Gitarren, das Schlagzeug treibt kräftig an, die ganzen "The"-Bands der Nullerjahre dürfen sich zitiert fühlen. Dass sich die poppige Punkmusik der Chemnitzer, oder besser: ihre punkige Popmusik, kaum verändert hat seit "Mit K" - interessiert das irgendwen? Nö. Es ist mit "In Schwarz" ein wenig so wie mit einem neuen Ärzte-Album. Erwarten tut man nichts, doch dann freut man sich über jede noch so kleine Pointe, ob die nun gegen RTL-Zuschauer geht oder gegen Frida Gold. Und die Pointe, die könnte hinter jeder einzelnen Zeile lauern.

Wem sollte man dieses Album schenken? Immobilienbesitzern im belgischen Viertel in Köln, rund um den Gärtnerplatz in München oder in Berlin-Kreuzberg.

Wenn dieses Album ein Fahrzeug wäre, wäre es: ein Lada Niva 4x4.

Dieser Song muss auf mein nächstes Mixtape: "Zwei Dosen Sprite".

Falls Sie das Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Jhené Aiko - "Souled Out"

Es passiert nun auch nicht jeden Tag, dass eine PR-Agentur so überzeugt von einem Debütalbum ist, dass sie es nicht wie üblich nur als "R'n'B-Sensation" bewirbt, sondern per Post gleich an zwei Adressen schickt, um sicherzugehen, dass der Journalist es nicht übersieht. Doch Jhené Aiko ist keine Unbekannte, sie ist seit vielen Jahren im Geschäft, hat mit wohlklingenden Namen wie Lauryn Hill, NAS, Drake und Kanye West zusammengearbeitet.

Wer nun aber eine Beyoncé-Kopie erwartet, liegt falsch. Musikalisch liegt Aiko viel näher beim "New R'n'B". Ihr Stil erinnert stark an Frank Ocean, über dessen Konzert ein Kollege voller Begeisterung schrieb, er beschwöre den Nichtvollzug und verweigere sich der Extase. Eine Feststellung, die sich eins zu eins auf Aiko übertragen lässt.

"Souled Out", das ist R'n'B in Zeitlupe, eine verträumte Reise ins Nichts. Das Album wird wohl keine Airplay im Radio bekommen, dazu hat es zu wenig Beat, lange Instrumentalpassagen, und in "Promises" lässt Jhené Aiko ihre Tochter den Refrain singen. Das führt zu einer Mischung, die einem zwar nicht im Ohr bleibt, dafür aber sanft einschlummern lässt. Das ist in dem Fall ein Kompliment.

Wem sollte man dieses Album schenken? Der Freundin, für gewisse Stunden. Oder dem Tantra-Masseur.

Wenn dieses Album ein Fahrzeug wäre, wäre es: ein BMW i3.

Dieser Song muss auf mein nächstes Mixtape: "To Love & Die".

Falls Sie das Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

The Kooks - "Listen"

Als The Kooks 2006 ihr Debüt "Inside/Out" veröffentlichten, waren sie zu spät dran. In den Indie-Discos liefen The Strokes schon seit Jahren, Franz Ferdinand oder Mando Diao immerhin schon eine Weile, und selbst die Editors und die Kaiser Chiefs hatten geliefert. Die Kooks segelten den anderen hinterher, auch wenn man den Jungs aus Brighton zugestehen muss, mit "Naive" oder "She Moves In Her Own Way" Eingängiges geschaffen zu haben. Allerdings nur in ihrer Frühphase; später kopierten sie nicht zuletzt sich selbst.

Warum das hier noch einmal steht? Weil die Kooks es nicht lassen können: Diesmal haben es ihnen die Arctic Monkeys vorgemacht, als sie vor einem Jahr mit neuen Sounds herumexperimentierten und mit "AM" ein ebenso abwechslungsreiches wie reifes Werk schufen. Neues wagen? Das, dachten sich die The Kooks, können wir auch: Für "Listen", ihre erste LP seit drei Jahren, haben sie sich den Hiphop-Produzenten Inflo ins Studio geholt.

Der sollte den in die Jahre gekommenen Indie-Pop der Kooks aufpeppen. Das Ergebnis: unentschlossen. Bei "See Me Now" setzen die Kooks auf einen Gospel-Chor, "Down" ist der Versuch, mit minimaler Instrumentierung funky zu klingen, "Are We Electric" wirft die Frage auf, ob ohne Achtzigerjahre-Synthies heute wirklich gar nichts mehr geht. Und "Sunrise", eine Nummer, wie sie auch Dieter Bohlen hätte produzieren können, ist gemacht für den Tanztee auf der Karibik-Kreuzfahrt.

Was den ambivalenten Eindruck bestätigt: Mit "It Was London" und "Bad Habit" finden sich auf "Listen" zwei Songs, die das sind, was die Band sich selbst verordnen wollte: eine Weiterentwicklung. Sie hören sich an wie reduzierte Kooks-Songs mit einer Nuance Sixties-Rock. Guter Stoff, das - und endlich etwas anderes als das, was die anderen machen.

Wem sollte man dieses Album schenken? Der Praktikantin, die The Kooks entdeckt hat, als die noch halbwegs cool waren.

Wenn dieses Album ein Fahrzeug wäre, wäre es: ein chinesischer Nachbau des VW Passat.

Dieser Song muss auf mein nächstes Mixtape: "It Was London".

Falls Sie das Album nicht abspielen können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

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