UN-Risikobericht:Hier ist die Umwelt am feindlichsten

Netherlands storm

Herbststurm bei IJmuiden an der Nordsee: Die Niederländer trotzen im europäischen Vergleich neben Albanien den größten Naturrisiken

(Foto: dpa)

Den Ruhestand auf einer Insel in der Südsee verbringen? Keine gute Idee. Zumindest laut dem UN-Risikobericht. Auch viele europäische Städte sind demnach Naturgefahren ausgesetzt. Vor allem aufgrund einer Gemeinsamkeit.

Von Christopher Schrader

Wenn der Blanke Hans über die Nordsee stürmt, müssen es die Niederländer oft als Erste ausbaden. Ein Herbstorkan aus Nord, gepaart mit einer Springflut, die wegen Voll- oder Neumond höher ausfällt als gewöhnlich, treibt das Wasser die Deiche zwischen Vlissingen und Delfzijl hoch - und vielleicht drüber. Ihre Lage am Wasser und teilweise unter dem Meeresspiegel beschert den Niederländern seit langem einen eher schlechten Platz im Weltrisikobericht der Naturgefahren, den die Universität der Vereinten Nationen in Bonn (UNU) jährlich erstellt.

Ausgabe 2014 präsentierten die Forscher nun in Berlin: Die Niederlande stehen in der Rangfolge der 171 Staaten auf Platz 51 und haben sich damit gegenüber der Ausgabe 2013 leicht verbessert. In fünfzig Ländern lebt die Bevölkerung also gefährlicher, aber unsere Nachbarn sind mit Abstand der risikoreichste EU-Staat. Nur Albanien liegt in Europa noch vor den Niederlanden auf Platz 37.

Ganz vorne in der Liste stehen sozusagen die üblichen Verdächtigen: Im Südsee-Inselreich Vanuatu, auf den Philippinen, in Tonga, Guatemala und Bangladesch lebt es sich am gefährlichsten. Es folgen etliche weitere Inselstaaten, zum Beispiel Fidschi, Indonesien, Mauritius, Jamaika, dann Japan als erstes Industrieland auf Platz 17 und viele afrikanische Länder. Liberia übrigens, wo gerade die Ebola-Epidemie die Gesundheit der Menschen und die öffentliche Ordnung bedroht, liegt hinter den Niederlanden, ist also laut dem Bericht weniger gefährlich.

Industrieländer sind zwar ebenfalls gefährdet, aber besser gewappnet

Das erklärt sich zum einen aus der langen Vorlaufzeit, mit der die Forscher ihre Daten aus öffentlichen Datenbanken zusammensuchen; vermutlich wird Liberia im Bericht des kommenden Jahres absacken. Zum anderen resultiert es aus der Methodik: Der Risikobegriff, dem das Team um Jörn Birkmann von der UNU folgt, hat zwei Komponenten. Einerseits die Wahrscheinlichkeit, dass Bürger eines Landes durch Naturgefahren getroffen werden (Exposition). Andererseits ihre Möglichkeit, sich davor zu schützen, sich anzupassen oder im Fall eines Sturms oder Vulkanausbruchs schnell und kompetent Hilfe zu erhalten (Vulnerabilität). Dazu zählen Deiche genau wie Feuerwehren und Krankenhäuser sowie Regierungen, die Noteinsätze koordinieren können, ohne dass Beamte Hilfslieferungen behindern oder etwas für sich abzweigen.

Viele Länder, die ganz vorn in der Liste stehen, liegen entweder in der Zugbahn tropischer Stürme oder in Erdbebenregionen. In Vanuatu zum Beispiel sind fast 64 Prozent der Menschen von Naturgefahren bedroht, in den Niederlanden immerhin noch 31 Prozent - sie liegen praktisch gleichauf mit Bangladesch. In Deutschland, das auf Platz 147 steht, sind elf Prozent der Menschen exponiert. Hier gehen die Forscher im Fall eines Unglücks aber von einer schnellen Reaktion der Behörden aus, daher gehört Deutschland wie die Niederlande zu den Ländern mit der geringsten Vulnerabilität, im Gegensatz etwa zu Bangladesch.

Amsterdam vor Dhaka

Beschränkt sich die Auswertung allein auf die Städte, ein Schwerpunktthema des Berichts, landen die Niederlande auf einem deutlich schlechteren Rang, nämlich dem zehnten. Sie stehen dann vor Bangladesch, die Bürger von Amsterdam sind damit eine Spur mehr gefährdet als die von Dhaka.

Eine ähnliche Diskrepanz trifft Australien und die USA. In beiden Fällen bekommen die Städte eine deutlich schlechtere Bewertung als das Land selbst, einfach weil so viele von ihnen an der Küste liegen und damit direkt Stürmen und Hurrikanen ausgesetzt sind. Beispielsweise Sydney, Perth, New York oder Miami. Oder weil sie erdbebengefährdet sind wie San Francisco. Auch Deutschland trifft dieser Effekt im Kleinen: Die Deutschen leben zwar in einem der ungefährlichsten Länder, aber viele Städter nur in der zweitsichersten Kategorie.

"Städte an sich sind natürlich kein Risiko", sagt Jörn Birkmann, "eher im Gegenteil. Sie können ihren Bürgern meist mehr Schutz bieten als das Land, weil mehr Kapital da ist." Ausnahmen sind aber neben einigen Metropolen der Industrienationen vor allem die aufstrebenden, teilweise chaotisch wachsenden Großstädte in Entwicklungs- und Schwellenländern.

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