Präsidentenwahl in Nigeria:Taktloses Twittern

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan wirkt planlos angesichts des Gewalt im Norden seines Landes. Mit einer missglückten Wahlkampagne beleidigen seine Unterstützer nun auch noch die Opfer der radikalislamischen Boko-Haram-Miliz.

Von Isabel Pfaff, München

Schlagworte sind eine gute Sache. Sie verkürzen komplizierte Sachverhalte auf eine prägnante Phrase. Weil dieses Prinzip so geschickt ist, hat es auch der Kurznachrichtendienst Twitter und mit ihm andere soziale Medien übernommen. Dort werden Schlagworte mit einer Raute versehen und heißen Hashtags.

Manche dieser Phrasen entfalten ungeahnte politische Kräfte. #BringBackOurGirls zum Beispiel: Die Wortkette entstand Ende April im Norden Nigerias, wo die radikalislamische Miliz Boko Haram über Nacht fast 300 Schülerinnen aus ihren Schlafsälen entführt hatte. Die Familien dieser Mädchen und andere Unterstützer entwarfen daraufhin das Hashtag #BringBackOurGirls, das den Druck auf die Regierung und das Militär erhöhen sollte, die Mädchen schnell zu finden und zu befreien. Das Schlagwort wurde zur Kampagne und ging um die Welt. In nur drei Wochen tauchte es in mehr als drei Millionen Tweets auf, berichtet die britische BBC.

Der Erfolg des Hashtags ist natürlich auch den Unterstützern von Präsident Goodluck Jonathan nicht entgangen. Praktisch, dachten sie sich wohl - und kreierten eine ähnliche Wortkette: Mit #BringBackGoodluck2015 wollen sie den Präsidenten bei den Wahlen im kommenden Februar wieder ins Amt hieven. Wohlgemerkt: jenen Präsidenten, dem es in fünf Monaten nicht gelungen ist, die Mädchen zurückzubringen, geschweige denn die Gewalt an Zivilisten in Nordnigeria einzudämmen.

Die Regierung tut wenig, um die Miliz zu stoppen

Praktisch unbehindert töteten die Islamisten in den vergangenen Monaten mehrere Hundert Zivilisten, entführten weitere Frauen und Mädchen und nahmen einen Großteil des nordöstlichen Bundesstaates Borno ein. Seit kurzem belagern sie auch die Provinzhauptstadt Maiduguri.

Die Regierung tut wenig, um den Feldzug der Miliz aufzuhalten. Augenzeugen berichten von schlecht ausgerüsteten Soldaten, die vor den Islamisten fliehen und die Zivilisten sich selbst überlassen. Dabei fließen enorme Summen in den Verteidigungsapparat - allerdings interessiert es die Regierung nicht, ob das Geld tatsächlich der Ausrüstung der Truppen zugutekommt oder ob es der berüchtigten Korruption hoher Militärränge zum Opfer fällt. Der Norden Nigerias spielt im Machtgefüge des Landes eine untergeordnete Rolle. Der Präsident kann es sich leisten, nicht recht zu wissen, wie dramatisch die Sicherheitslage dort ist. Im machtpolitisch bedeutenderen Süden genießt er weiterhin großen Rückhalt; seine Aussichten auf Wiederwahl sind gut.

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan bei einem Gipfeltreffen afrikanischer Staaten in Kenia.

Will von nichts gewusst haben: Nigerias Präsident Goodluck Jonathan (hier bei einem Gipfletreffen in Kenia Anfang September).

(Foto: REUTERS)

In einer solch komfortablen Lage, so scheint es, kann es schon mal passieren, dass ein Wahlslogan durchgewinkt wird, der die Opfer der Gewalt im Norden regelrecht verhöhnt. In den Augen des nigerianischen Literaturnobelpreisträgers und Regierungskritikers Wole Soyinka zeigt sich an dem Fehltritt die "Kultur der Gefühllosigkeit", die "allgemeine Menschenverachtung" in den Reihen der politischen Elite.

Als dann die ersten Banner mit dem Schriftzug in der Hauptstadt Abuja auftauchten, schäumten auch andere Unterstützer der #BringBackOurGirls-Bewegung. Das Hashtag sei "auf beleidigende Weise dumm", schrieb ein Nutzer. Andere sprachen von einer "geschmacklosen Kombination". "Was haben die geraucht?", fragt ein Twitter-Nutzer aus Abuja. "Ich habe gar nicht mitbekommen, dass Boko Haram den Präsidenten entführt hat!?", twittert ein anderer.

Der Präsident will von nichts gewusst haben

Hinter dem Slogan steckt die "Goodluck Initiative for Transformation" (Goodluck-Initiative für Veränderung), eine der zahllosen Unterstützergruppen, die sich für Jonathans Wiederwahl einsetzen. Der Präsident selbst distanzierte sich so schnell wie möglich von der Kampagne. Die Banner und Plakate seien ohne sein Wissen aufgehängt worden, teilte sein Sprecher Reuben Abati mit. Jonathan empfinde den Slogan als ebenso abstoßend wie die Kritiker, er sei eine "höchst unsensible Parodie" von #BringBackOurGirls.

Doch das ist nur die offizielle Version. In nigerianischen Medien wird massiv bezweifelt, dass Jonathan nichts von der Kampagne gewusst habe. Sein Berater Doyin Okupe, schreibt die Zeitung Premium Times, sei schließlich einer der ersten gewesen, der das Hashtag benutzt habe. Auf Twitter kursieren Bildschirmfotos dieses Tweets vom 22. August, in dem Doyin Okupe den Slogan mehrmals wiederholt - inzwischen existiert der Tweet nicht mehr.

Welche Lesart nun stimmt, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Die taktlose Wahlkampagne passt aber ins Bild, das die nigerianische Regierung im Hinblick auf Boko Haram seit langem abgibt: Sie zeigt sich ahnungslos und desinteressiert an dem, was im Norden des Landes geschieht.

Offenbar ist diese Haltung so ungefährlich, dass Präsident Jonathan sie kaum verbergen muss. Glaubt man der Anekdote eines Beobachters, soll er auf die Frage eines Journalisten nach dem Verbleib der entführten Mädchen geantwortet haben: "Ich weiß es nicht - sagen Sie es mir, Sie sind doch Journalist."

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