Herkunftsstaaten und Residenzpflicht:So sieht der Asylkompromiss aus

Der Bundesrat hat mithilfe des grün-rot regierten Baden-Württemberg das Asylrecht geändert. Was bedeutet das für Flüchtlinge, Kommunen und Arbeitgeber? Die wichtigsten Themen im Überblick.

Von Roland Preuß

Es ist eine Entscheidung, die das deutsche Asylrecht umkrempelt: Am Freitag hat der Bundesrat mit Zustimmung des grün-rot regierten Baden-Württemberg Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu "sicheren Herkunftsstaaten" erklärt. Dafür sagt die Bundesregierung Erleichterungen für andere Asylbewerber und geduldete Zuwanderer zu.

Es sei ein schwieriger Abwägungsprozess gewesen, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Bundesrat, ehe er für das Gesetz die Hand hob. Das Verhandlungsergebnis bedeute in der Praxis einen "substanziellen Gewinn". Viele seiner Parteifreunde sehen dies ganz anders. "Heute wurde das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt", meinte etwa der Grünen-Innenexperte Volker Beck. Flüchtlingsorganisationen sehen sogar einen "Tabubruch". Hier die wichtigsten Antworten zu dem Asylkompromiss.

Was ändert sich, wenn Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden?

Asylbewerber vom Balkan

Warten, warten, warten: Viele Asylbewerber empfinden es als zermürbend, dass sie in Deutschland nicht arbeiten und sich nützlich machen dürfen.

(Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Was ändert sich, wenn Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina nun zu sicheren Drittstaaten erklärt werden?

Asylbewerber aus diesen Staaten werden nun schneller abgelehnt und zurückgeschickt. Grundsätzlich haben die Asylprüfer jetzt zu vermuten, dass Menschen aus diesen Ländern nicht systematisch verfolgt sind. Die Fristen, in denen abgelehnte Bewerber Klage erheben müssen und in der das Gericht entscheiden muss, sind kürzer.

Allerdings wurden Anträge aus den Balkan-Staaten schon bisher beschleunigt bearbeitet und mehr als 90 Prozent als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt, was bereits Einschränkungen beim Rechtsschutz mit sich bringt. Die Bundesregierung erhofft sich mit der Neuregelung ein Signal an Migranten aus dem Balkan und eine Entlastung bei den Asylverfahren, die allerdings übersichtlich ist: Jede Anhörung dürfte nun zehn Minuten kürzer ausfallen.

Haben Asylbewerber aus diesen Staaten überhaupt noch eine Chance auf Asyl?

Haben Asylbewerber aus diesen Staaten überhaupt noch eine Chance auf Asyl?

Ja. Allerdings dürfte es noch schwieriger für sie werden, auf diesem Weg ein Bleiberecht zu erreichen. Jeder Asylbewerber wird weiter von Prüfern angehört, dort gilt jedoch eine Beweislastumkehr: Er muss belegen, dass er entgegen der allgemeinen Vermutung tatsächlich verfolgt wird. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisiert deshalb, die Flüchtlinge vom Balkan stünden nun weitestgehend schutzlos da, dies sei ein "Tabubruch", weil die individuelle Asylprüfung faktisch abgeschafft werde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerspricht dem entschieden: Man werde die wenigen Menschen, die wirklich Schutz brauchten, weiterhin erkennen.

Warum kommen so viele Menschen aus den drei Staaten?

Warum kommen so viele Menschen aus den drei Staaten?

Die große Mehrheit der Asylbewerber aus den Balkan-Staaten sind Roma, die seit Langem im Elend leben. Sie zählen in den drei Ländern oft zu den Ärmsten. Mehrere Untersuchungen, unter anderem von Amnesty International, berichten von rassistisch motivierter Gewalt gegen Roma, sie werden benachteiligt beim Zugang zu Schulen, Ärzten und Arbeitsplätzen. Dies räumt auch die Bundesregierung ein. Dies sei jedoch nicht mit systematischer Verfolgung wie etwa in Syrien gleichzusetzen.

Zu Zehntausenden nach Deutschland kommen Roma jedoch erst seit Aufhebung der Visumpflicht für die drei Staaten in den Jahren 2009 und 2010. Damit können deren Bürger viel leichter in die EU einreisen, Busunternehmen warben zeitweise sogar für eine Fahrt nach Deutschland zum Auswandern. Gut 32 000 Menschen aus den drei Staaten stellten vergangenes Jahr Asylanträge, weniger als ein Prozent von ihnen wurde ein Aufenthalt zugestanden.

Was bringt die Lockerung der Residenzpflicht?

Was bringt die Lockerung der Residenzpflicht? Laut Gesetz müssen Asylbewerber und Geduldete im zuständigen Bezirk ihrer Ausländerbehörde bleiben. Wer also zu Freunden oder einem Arzt außerhalb fahren will, muss sich das eigens genehmigen lassen. In den vergangenen Jahren haben die meisten Bundesländer die Regelung bereits gelockert, laut Koalitionsvertrag soll sie ohnehin auf das ganze Gebiet des jeweiligen Bundeslandes ausgedehnt werden. Der Kompromiss sieht vor, dass die Residenzpflicht nach dem vierten Monat fällt. Allerdings wird den Flüchtlingen weiter ein fester Wohnsitz zugewiesen, und nur dort erhalten sie Sozialleistungen.

Inwiefern können Flüchtlinge nun einfacher eine Arbeit aufnehmen?

Inwiefern können Flüchtlinge nun einfacher eine Arbeit aufnehmen?

Asylbewerber und Geduldete dürfen sich künftig nach 15 Monaten gleichberechtigt um Arbeitsstellen bewerben, bisher mussten sie vier Jahre warten. Solange haben deutsche und EU-Bürger Vorrang, wenn eine Stelle besetzt werden sollte. Asylbewerber, die als Fachkräfte gelten, sind von Anfang an gleichberechtigt. Allerdings gibt es hier eine starke Einschränkung: Dies gilt nicht für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten sowie Migranten, die im Asylverfahren gelogen haben oder nicht bei ihrer Abschiebung mitwirken.

Was bedeutet der Kompromiss beim Sachleistungsprinzip?

Was bedeutet der Kompromiss beim Sachleistungsprinzip?

Mit der Abschaffung dieser Regel erfüllt die Bundesregierung eine langjährige Forderung der Grünen. Sachleistungen, also Essenspakete oder Hosen aus der Kleiderkammer soll es nur noch am Anfang in den Erstaufnahmeeinrichtungen geben. Die Flüchtlinge können dann selbst einkaufen.

Welche Folgen hat die Einigung für Länder und Kommunen?

Welche Folgen hat die Einigung für Länder und Kommunen?

Sie sollen finanziell entlastet werden. Man werde verhandeln über die Kostenübernahme für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen und für minderjährige Asylbewerber, die ohne Eltern eingereist sind, hieß es aus dem Innenministerium. Der Bundesrat billigte zudem einen Gesetzentwurf von Hamburg, der einen schnelleren Bau von Asylbewerberheimen ermöglichen soll. Damit könnten Kommunen rascher auf den Zustrom von Flüchtlingen reagieren.

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