Nach Referendum in Schottland:Westminster trickst

The Final Day Of Campaigning For The Scottish Referendum Ahead Of Tomorrow's Historic Vote

Das Unterhaus in London debattiert darüber, inwiefern Schottland mehr Rechte bekommen soll.

(Foto: Getty Images)

Vor dem Unabhängigkeits-Referendum hatten die großen Parteien in London den Schotten Sonderrechte versprochen. Doch nun streiten sie darüber, wie, wann und unter welchen Bedingungen sie umgesetzt werden sollen. Schottische Nationalisten sprechen von Täuschung.

Von Christian Zaschke, London

Unter den drei großen britischen Parteien im Londoner Unterhaus ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie, wann und unter welchen Bedingungen dem schottischen Regionalparlament die versprochenen neuen Rechte zugestanden werden sollen. Die Labour-Partei und die Liberaldemokraten sind der Ansicht, die Ankündigung müsse vorbehaltlos und schnell umgesetzt werden.

Die Konservative Partei von Premier David Cameron vertritt hingegen den Standpunkt, dass mit dem Transfer von Kompetenzen nach Schottland unmittelbar auch die anderen Regionen des Vereinigten Königreichs - Wales, Nordirland und England - mehr Selbstverwaltungsrechte erhalten sollen.

Die drei Parteien hatten den Schotten erst vor knapp zwei Wochen eine erhebliche Stärkung des Regionalparlaments versprochen, falls sie sich gegen die Unabhängigkeit aussprechen. Auf der Titelseite des Daily Record veröffentlichten die drei Parteichefs am vergangenen Dienstag ein gemeinsames Gelöbnis. Am Donnerstag hat sich schließlich eine Mehrheit der Einwohner Schottlands für den Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen.

Dass Cameron den Machttransfer nach Schottland an die Stärkung der anderen Regionen knüpfen will, wirft eine alte Frage auf: Warum dürfen schottische (und auch nordirische und walisische) Abgeordnete in Westminster über Belange abstimmen, die nur England betreffen, wenn umgekehrt englische Abgeordnete nichts in Angelegenheiten zu sagen haben, die von den Regionalparlamenten entschieden werden?

Cameron will erreichen, dass nur englische Parlamentarier über England betreffende Fragen abstimmen. Die Labour-Partei hat daran aus mehreren Gründen kein Interesse. Einer davon ist, dass sie 41 der 59 schottischen Abgeordneten in Westminster stellt. Sollte Labour nach den Parlamentswahlen im Jahr 2015 die Regierung übernehmen, könnte es sein, dass die Partei zwar insgesamt die Mehrheit im Unterhaus hat, in allein England betreffenden Fragen ohne die schottischen Abgeordneten jedoch nicht. Damit wäre die Regierung weitgehend handlungsunfähig.

Labour-Chef Ed Miliband sagte am Sonntag, er sehe ein, dass es Änderungen im Parlament geben müsse. "Aber wir können das nicht auf einem Bierdeckel zusammenschreiben", sagte er. Er regte an, im Herbst einen Verfassungskonvent einzuberufen. Zudem dürfe das Thema nicht mit der Frage verknüpft werden, wie es nun in Schottland weitergeht.

Furcht vor der "Wut" der englischen Wähler

Cameron will an diesem Montag auf seinem Landsitz Chequers mit führenden Politikern seiner Partei über das Thema beraten. Besonders der rechte Flügel der Tories setzt den Premier unter Druck, englischen Abgeordneten mehr Rechte zu verschaffen, wenn andernorts die Regionalparlamente gestärkt werden. Justizminister Chris Grayling sagte, englische Wähler würden sonst "mit Wut" reagieren.

Die Tories warnen Miliband, er müsse ihr Vorhaben unterstützen, weil er "sonst den Menschen im Rest des Königreichs" erklären müsse, "warum sie nicht die gleichen Rechte wie die Menschen in Schottland erhalten". Labour wiederum wirft den Tories vor, die Versprechen an Schottland aus taktischen Gründen an andere Fragen zu binden und damit zu brechen.

Der schottische Ministerpräsident Alex Salmond sagte am Sonntag, die Wähler in Schottland seien "getäuscht, reingelegt und ausgetrickst" worden: "Ich bin nicht davon überrascht, dass sie (die Parteien in Westminster, d. Red.) jetzt spitzfindig werden und ihre Versprechen brechen. Ich bin überrascht davon, wie schnell sie es tun." Salmond ist Chef der Scottish National Party, die sich für die Unabhängigkeit einsetzt. Nach der Abstimmungsniederlage hatte er seinen Rücktritt als Parteichef und Ministerpräsident für November angekündigt.

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