Ebola-Epidemie:Quittung für absurdes Sparen

Ebola in Liberia

Ein Mann wartet in Monrovia auf Hilfe für sein schwerkrankes Kind. Längst nicht für alle Infizierten gibt es ausreichende Behandlung.

(Foto: dpa)

Bei der Ebola-Krise hat die WHO versagt, weil ihre Geldgeber eigene Interessen verfolgen. Ihre Arbeit wird von vermarktbaren Aktionen bestimmt, mit denen sich die Spender schmücken können. Die Seuchenkontrolle gehörte nicht dazu - hier wurde massiv gekürzt.

Von Tine Hanrieder

Zu wenig, zu spät. So lautet das Verdikt zur Reaktion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Ebola-Krise. Während die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" schon im Frühjahr warnte, die Seuche sei außer Kontrolle, rief die WHO erst Anfang August den internationalen Gesundheitsnotstand aus. Die Mobilisierung internationaler Hilfe für die betroffenen westafrikanischen Länder verlief auch danach lange schleppend.

Mittlerweile hat sich die Krise zur Katastrophe ausgewachsen. Die Krankheit verbreitet sich rasend. Gesundheitssysteme und staatliche Institutionen brechen zusammen, die Hilferufe der liberianischen Regierung sind an Dramatik kaum zu überbieten. Staaten aus aller Welt senden nun medizinische und militärische Hilfe, die Vereinten Nationen bestellten einen eigenen Koordinator, und selbst der UN-Sicherheitsrat beriet über die Epidemie. Die Grenzen der WHO-Reaktion könnten kaum deutlicher aufgezeigt werden.

Nicht alle Katastrophen sind vermeidbar, und nicht nur die WHO hat das Ausmaß dieses Ausbruchs zu lange unterschätzt. Doch dass es so weit kommen konnte, liegt auch an den längst bekannten Schwächen der UN-Sonderorganisation für Gesundheit. Ein Hilferuf der WHO-Generaldirektorin Margaret Chan, dass die Organisation dringend grundlegende Reformen brauche, liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Doch der laufende Reformprozess der WHO ist eine Farce und verdient ebenso wie die Reaktion auf Ebola das Etikett "zu wenig, zu spät". Die WHO hängt heute mehr denn je am Gängelband der Geberländer und privater Spender wie der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Darunter leiden die Unabhängigkeit der Organisation und ihre Fähigkeit, Kernaufgaben verlässlich wahrzunehmen.

Wohlgemerkt: Zu den Kernaufgaben der WHO zählt nicht die operative Krisenintervention. Dies würde die Kapazitäten der Genfer Behörde mit ihrem jährlichen Budget von derzeit rund 1,5 Milliarden Euro sprengen. Die WHO ist eine normsetzende und beratende Agentur. Sie verfasst Empfehlungen - von Impfplänen über das Bruststillen bis hin zur Arbeitsplatzgesundheit. Diese Empfehlungen spiegeln den internationalen Konsens hochrangiger Expertinnen und Experten wider; sie werden von nationalen Behörden ebenso genutzt wie von internationalen Organisationen. Zugleich dient die WHO als Schaltstelle beim Umgang mit Gesundheitskrisen. Sie bündelt Informationen, vernetzt Forschungsaktivitäten und koordiniert Gegenmaßnahmen. Warum aber gelang dies im Ebola-Fall so schlecht?

Eigentlich wurde gerade das Krisenwarnsystem der WHO seit den 1990er-Jahren stark ausgebaut. Es ist ein globales Reaktionsnetzwerk entstanden, das zum Beispiel bei der raschen Eindämmung der Lungenkrankheit SARS im Jahr 2003 erstmals bei einer bedeutenden Krise zum Einsatz kam. Seit 2007 ist die WHO außerdem befugt, eigenmächtig den internationalen Gesundheitsnotstand zu erklären. Nationale Sorgen um Prestige oder Handel stehen der Aktivierung des WHO-Krisensystems seither nicht mehr im Wege.

Diese neue Entscheidungsfreiheit ist durchaus missbrauchsanfällig, das zeigte sich im undurchsichtigen und von Interessenkonflikten geprägten Umgang mit der Schweinegrippe 2009, bei der es Vorwürfe gab, Pharmaunternehmen würden die Krise nutzen, um ihre Impfstoffe zu vermarkten. Dieser Fehler zumindest wiederholt sich beim Ebola-Notstand nicht. Die Namen und Verbindungen aller Berater können nunmehr öffentlich eingesehen werden.

Nur noch ein Viertel des Etats darf die Organisation frei verwenden

Ebola-Epidemie: Tine Hanrieder, 33, forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) über internationale Gesundheitspolitik - gemeinsam mit Christian Kreuder-Sonnen speziell zur Krisenpolitik der WHO.

Tine Hanrieder, 33, forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) über internationale Gesundheitspolitik - gemeinsam mit Christian Kreuder-Sonnen speziell zur Krisenpolitik der WHO.

(Foto: oh)

Doch mangelt es in der jetzigen Krise an der zentralen Währung der WHO, nämlich an unabhängiger Expertise. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Notfallabteilung der Organisation besonders drastisch von Mittelkürzungen seit der globalen Finanzkrise von 2008 betroffen war. Sie verlor seit 2009 rund ein Drittel ihrer Krisenfachleute - auch Ebola-Experten, die eventuell in der Lage gewesen wären, das Ausmaß des jetzigen Ausbruchs früher abzusehen. Flexible Fonds für Notfälle wurden ebenfalls um die Hälfte gekürzt, sodass die Reaktion auf Ebola extrem langsam anlief. Erst als die Katastrophe da war, floss Geld, mit dem die WHO zusätzliche Expertise einkaufen konnte.

Die Ebola-Krise verweist damit auf ein weit umfassenderes Problem der WHO. Denn in der Organisation wird geradezu absurd gespart. Die Bedingungen werden vor allem von den Geberländern diktiert. Mittlerweile kann die WHO-Leitung nur noch über ungefähr ein Viertel des Gesamthaushalts frei verfügen - dies ist der Anteil der regulären staatlichen Abgaben, der seit den 1980er-Jahren sinkt. Drei Viertel der zur Verfügung stehenden Mittel sind freiwillige Beiträge, die häufig kurzfristig vergeben und mit eng definierten Verwendungszwecken versehen werden.

Nicht Kontinuität oder Vorsorge bestimmen die WHO-Arbeit, sondern gut vermarktbare Interventionen, mit denen sich die Spender zu Hause schmücken können. Für wenig marktgängige Bereiche - zum Beispiel gesunde Ernährung und Medikamentensicherheit - fehlt ebenfalls das Geld, und das, obwohl sie Teil des Arbeitsprogramms sind, das die Mitgliedstaaten nach langen Beratungen verbindlich festgelegt haben. Es ist, als müssten nach der Verabschiedung des deutschen Regierungshaushalts die Kabinettsmitglieder zunächst Fundraising betreiben, um ihre Arbeit zu finanzieren. Dies ist in der WHO Arbeitsalltag.

Der Reformbedarf ist offensichtlich - erst kürzlich wurde ein "Finanzierungsdialog" ins Leben gerufen. Das Ergebnis aber war lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung aller Parteien. Eine Unternehmensberatung, die den Dialogprozess evaluierte, lobte als Haupterfolg die positive Einstellung aller Beteiligten und deren Bereitschaft, den Dialog fortzusetzen. Angesichts der Tatsache, dass hier eine Organisation kaum noch bewegungsfähig ist, weil sie, wegen der zu eng definierten Verwendungszwecke, teils nicht einmal die erhaltenen Spenden ausgeben kann, ist dies grotesk.

Statt zahlloser unkoordinierter Spenden braucht die WHO endlich eine solide Grundfinanzierung; sie braucht höhere Regelbeiträge aller Staaten. Das gewährleistet Kontinuität, es bedeutet aber auch, dass die Generaldirektion einen Teil der Mittel bei Bedarf flexibel verwenden darf. Kontrolle und Rechenschaft für etwaige Fehler sind wichtig. Sie können aber nicht durch undurchsichtige Deals mit separaten Spendern gewährt werden, sie sind Sache der jährlichen Weltgesundheitsversammlung aller Mitgliedstaaten. Transparenz garantiert eine unabhängige und arbeitsfähige WHO - nicht Geld, das nur den Zwecken des Gebers dient.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: