Thomas Mann und der Erste Weltkrieg:Brillant und bösartig

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Preußen 1756 ist Deutschland 1914: Im Ersten Weltkrieg spekulierte Thomas Mann über die Wiederkehr historischer Konstellationen - und sah ein Vorbild bei Friedrich dem Großen.

Rezension von Gustav Seibt

Deutschland sei eine junge Großmacht, die sich "gegen Europa zu verteidigen, zu beweisen" habe - das war im Sommer 1914 die Überzeugung vieler deutscher Patrioten, und die Gebildeten hatten dafür ein Vorbild im Kopf: den Kampf, den Friedrich der Große im Siebenjährigen Krieg gegen die Koalition der alten Mächte führte, und zwar mit einem Präventivschlag.

Der Vergleich wurde sogar von Fachleuten gezogen - so von den Bonner Historikern in einem Aufruf vom 1. September. Und ihn arbeitete Thomas Mann im Winter 1914/15 aus. Seine Schrift "Friedrich und die große Koalition" ist brillant und bösartig.

Preußen 1756 ist Deutschland 1914, und das von Friedrich "mit sechzigtausend Schnurrbärten" überfallene Sachsen ist jenes Belgien, das für den Schlieffen-Plan überrannt werden musste.

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"Von dem Lärm, der sich über diesen unerhörten Friedens- und Völkerrechtsbruch erhob", schrieb der erregte Autor, "macht man sich keine Vorstellung. Oder doch, es ist wahr, ja, neuerdings macht man sich wieder eine Vorstellung davon."

Thomas Mann artikulierte die Gekränktheit der deutschen Öffentlichkeit über die Verurteilung durch die Weltöffentlichkeit: "Er (Friedrich) hatte in der Welt keine moralische Stütze." Und doch hielt Friedrich stand, er "bewies" sich und Preußens neue Großmachtstellung.

Einkreisung, Präventivschlag, moralische Einsamkeit

Das ist die Botschaft dieses "Abrisses für den Tag und die Stunde": Es ist für den Neuling und Störenfried im Mächtesystem möglich, sich gegen das Kartell der alten Mächte zu behaupten.

Friedrich hat durchgehalten, und durchhalten sollte nun auch Deutschland - ein Vergleich mit Folgen bis in den Führerbunker von 1945, als Hitler auf ein Wunder hoffte, wie es Friedrich mit dem Tod der Zarin Elisabeth 1762 zuteil wurde.

Einkreisung, Präventivschlag, moralische Einsamkeit, Durchhalten gegen eine Welt von Feinden - das ist der vergiftete Sinn dieser verkehrten Analogie zwischen einem alteuropäischen Kabinettskrieg und dem industriellen Krieg der Moderne.

© SZ vom 24.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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