Bundesarbeitsgericht Erfurt:Kirchliche Arbeitgeber dürfen Kopftuch verbieten

Hat ein evangelisches Krankenhaus das Recht, einer muslimischen Krankenschwester das Tragen eines Kopftuchs zu untersagen? Mit dieser Frage beschäftigte sich jetzt das höchste deutsche Arbeitsgericht. Das Urteil stärkt die Sonderrechte von Kirchen.

  • Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat entschieden: Kirchliche Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern grundsätzlich das Tragen anderer konfessioneller Symbole verbieten.
  • Eine muslimische Krankenschwester hatte gegen ihren Arbeitgeber, ein evangelisches Krankenhaus, wegen eines Kopftuchverbots geklagt. Sie argumentierte mit ihrem verfassungsmäßigen Recht auf freie Religionsausübung.
  • Die Klinik hatte dagegen gehalten und sich auf die Sonderrechte für kirchliche Arbeitgeber berufen.
  • Das Bundesarbeitsgericht verwies den konkreten Fall allerdings zurück an das Landesarbeitsgericht Hamm. Dort könnte die Klägerin unter Umständen doch noch Recht bekommen.

Der Fall

Krankenschwester T. aus Bochum war seit Februar 2000 bei einer Klinik in konfessioneller Trägerschaft der evangelischen Kirche angestellt. T. ist Muslimin, ein Umstand, der lange Jahre keine Rolle spielte - bis sich die heute 36-Jährige nach der Babypause und einer Krankschreibung im April 2010 entschloss, ihren Glauben künftig im Job sichtbar zu machen. Schriftlich teilte sie ihrem Arbeitgeber mit, dass sie wieder einsatzfähig sei, allerdings aus religiösen Gründen von nun an mit Kopftuch arbeiten wolle. Was dann passierte, formuliert das Bundesarbeitsgericht in Erfurt wie folgt: "Die Beklagte (gemeint ist die Klinik, Anm. d. Red.) nahm die Arbeitsleistung der Klägerin nicht an und zahlte keine Arbeitsvergütung." Daraufhin zog T. vor Gericht.

Das Urteil

Das Urteil der Erfurter Richter stärkt nun die Sonderrechte der Kirchen: Demnach dürfen kirchliche Einrichtungen ihren Mitarbeiterinnen in der Regel das Tragen eines muslimischen Kopftuchs verbieten (Az.: 5 AZR 611/12). Angestellte in kirchlichen Einrichtungen seien zumindest zu neutralem Verhalten verpflichtet, erklärte eine Gerichtssprecherin. Das Kopftuch als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben sei damit nicht vereinbar. Mit ihrem Urteil stellen die Richter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht über das Recht der Beschäftigten auf Religionsfreiheit im Dienst.

Mit seiner Entscheidung schließt sich der fünfte Senat der Argumentation der Vorinstanz an. Während das Arbeitsgericht Bochum der Frau Recht gegeben hatte und ihre Religionsfreiheit in den Vordergrund stellte, kassierte das Landesarbeitsgericht Hamm die Entscheidung 2012. "Die Anordnung, während der Arbeit kein Kopftuch zu tragen, ist vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt", stellte das Landesarbeitsgericht damals fest. Und weiter: "Die Klägerin steht als Krankenschwester während ihrer Arbeit in Kontakt mit Patienten, Besuchern und anderen Mitarbeitern, die die Glaubensäußerung der Klägerin wahrnehmen werden. Dadurch könnte die Glaubwürdigkeit der Kirche (...) Schaden nehmen."

Die Kirchen haben immer noch einen Sonderstatus im Arbeitsrecht. Sie dürfen Arbeitsverhältnisse nach ihrem Selbstverständnis regeln. Auf dieses verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht gehen auch gewisse Loyalitätspflichten für Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen zurück.

Recht auf Religionsausübung: So argumentierte die Krankenschwester

Die Krankenschwester forderte in dritter Instanz Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug, wie es juristisch korrekt heißt. Sprich: Sie verlangte für die Zeit, in der sie arbeiten wollte, aber nicht durfte - konkret: fünf Monate - nachträglich Lohn.

Ihre Argumentation stützte sich dabei auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie das verfassungsmäßige Recht zur freien Religionsausübung, das in Artikel 4 des Grundgesetzes jedem Bürger der Bundesrepublik garantiert wird. Das evangelische Krankenhaus könne ihr nicht Kraft Weisungsrechts verbieten, bei der Arbeitsleistung als Krankenschwester ein Kopftuch zu tragen. Durch eine solche Weisung werde sie aufgrund ihrer Religion benachteiligt. Das Verbot verletze sie zudem in ihrem Recht auf freie Religionsausübung.

Recht auf Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber: So argumentierte die Klinik

Das Krankenhaus hielt dem entgegen, es könne als konfessioneller Arbeitgeber Loyalität von seinen Angestellten erwarten. "Sie dürfen sich nicht offen zu einem anderen Glauben bekennen", sagte der Anwalt des evangelischen Krankenhauses, Sascha Leese. Die Klinik erklärte, die Klägerin habe alles zu unterlassen, was als gegen die evangelische Kirche gerichtete Meinungsbekundung angesehen werden könne - wie eben das Tragen eines Kopftuches.

Einschätzung des Arbeitsrechtexperten

Zwar gab es schon höchstrichterliche Entscheidungen zum Umgang mit dem Kopftuch im Job, allerdings nur in Bezug auf private und staatliche Einrichtungen. Einer Verkäuferin darf das Kopftuch demnach nicht verboten werden, einer Lehrerin an einer staatlichen Schule bei entsprechender Landesgesetzgebung hingegen schon. Dem Bundesarbeitsgericht lag nun erstmals ein Fall vor, in dem es um die Frage ging, inwieweit Beschäftigte eines konfessionellen Arbeitgebers Symbole anderer Religionen zur Schau stellen dürfen. Das heutige Urteil hat Signalwirkung für andere Arbeitgeber in kirchlicher Trägerschaft wie beispielsweise Kindergärten: Sie können sich künftig auf die Erfurter Entscheidung berufen, wenn es um religiöse Streitfragen wie das Tragen eines Kopftuches geht.

Allerdings spielt im Einzelfall die konkrete Jobbeschreibung eine Rolle, wie auch das Bundesarbeitsgericht betonte. "Wäre die Klägerin beispielsweise als Hausmeisterin im Krankenhaus angestellt gewesen und hätte ihren Job vor allem im Hintergrund ausgeübt, hätte das Gericht womöglich anders entschieden", erklärt Christof Kleinmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Frankfurt am Main.

Der SZ.de-Arbeitsrechtexperte
Christof Kleinmann

Christof Kleinmann ist Rechtsanwalt und Managing Partner bei der Kanzlei GvW Graf von Westphalen am Standort Frankfurt am Main. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht berät er Unternehmen, Verbände und Körperschaften des öffentlichen Rechts in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Der Arbeitsrechtexperte sieht trotz des Urteils keine grundsätzliche Bevorteilung der Arbeitgeberseite in Fragen religiöser oder persönlicher Freiheit von Arbeitnehmern. Grundsätzlich gingen Arbeitsgerichte bei sogenannten "Tendenzbetrieben" mit einer bestimmten weltanschaulichen Einstellung aber davon aus, dass sich Arbeitnehmer vor Jobantritt informierten und der Besonderheiten und möglichen Einschränkungen bewusst seien. "Wenn Sie vor einigen Jahren in der Friedrich-Ebert-Stiftung mit einer Strauß-Plakette am Revers rumgelaufen wären, hätten sie vermutlich auch Probleme bekommen."

Wie geht es weiter?

Mit dem Urteil wiesen die Erfurter Richter die Klage zurück an das Landesarbeitsgericht Hamm. Sie bezweifeln, ob die Frau zum Zeitpunkt des anvisierten Wiedereintritts in ihren Job überhaupt arbeitsfähig war. Ihr Arzt hatte eine Wiedereingliederung vorgeschlagen. Zudem sei nicht geklärt, ob es sich bei dem Krankenhaus um eine kirchliche Einrichtung handele.

"Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob bei dem Krankenhaus wirklich die Weltanschauung oder eine kommerzielle Gewinnabsicht im Vordergrund steht", so Jurist Kleinmann. Je nachdem, wie diese Bewertung ausfalle, bestehe für die Klägerin doch noch die Möglichkeit, ihre Forderung durchzusetzen. Bereits vor der Urteilsverkündung hatte der Anwalt der Krankenschwester angekündigt, den Fall unter Umständen bis vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: