Inzest unter Geschwistern:Strafrecht ist kein Moralrecht

Geschwisterinzest soll nicht länger strafbar sein. Dieser Vorschlag des Ethikrats ist mutig - und richtig. Denn die Argumente sind fadenscheinig geworden.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Der Ethikrat hat soeben vorgeschlagen, eines der ältesten Tabus der Menschheit aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, das Verbot des Geschwisterinzests. Solche Verbote fanden sich schon im Kodex Hammurabi, im mosaischen, im islamischen, im römischen Recht. Im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 hieß das dann Blutschande. Und die Linie reicht bis in unsere Zeit: 2008 bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Beischlafs unter nahen Verwandten, 2012 folgte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Ein mutiger Schritt also - und ein richtiger. Denn auch 4000 Jahre Rechtsgeschichte entbinden den Staat nicht davon zu erklären, warum er Geschwisterliebe - die eben auch Liebe ist - mit Gefängnis ahnden will. Die Argumente sind fadenscheinig geworden. Richtig ist zwar, dass für Kinder aus solchen Verbindungen ein etwas erhöhtes Risiko von Erbschäden besteht - aber für Menschen mit Erbkrankheiten gibt es, zu Recht, kein Beischlafverbot, trotz einer noch größeren Gefahr. Der Schutz der Familie vor Zersetzung? Mit diesem Argument könnte man auch den Ehebruch wieder bestrafen.

Winfried Hassemer, der vor Kurzem gestorbene Ex-Verfassungsrichter, hatte 2008 in seinem Sondervotum zum Inzest-Beschluss herausgearbeitet, worum es beim Inzestverbot wirklich geht: um den Schutz einer gesellschaftlichen Moral. Dafür aber ist das Strafrecht nicht gemacht.

© SZ vom 25.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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