Abwesende Minister im Bundestag:Lammert droht Regierung

Bundestagspräsident Norbert Lammert

Bundestagspräsident Norbert Lammert ärgert sich über die Minister.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Kein einziger Minister hat sich bei der "Befragung der Bundesregierung" den Abgeordneten gestellt. Bundestagspräsident Lammert ist empört - und will das nicht mehr hinnehmen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist über das Verhalten der Bundesregierung verärgert. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung rüffelte Lammert in der Sitzung des Ältestenrats am Donnerstag das Kabinett ungewöhnlich scharf. Anlass war die "Befragung der Bundesregierung" am Vortag.

Mit diesem Tagesordnungspunkt beginnen die Sitzungswochen des Bundestags. An der Befragung hatte am Mittwoch kein einziger Minister teilgenommen. Zu dem von der Regierung selbst vorgeschlagenen Thema der Befragung, dem Stand der deutschen Einheit, sprach nur die parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke. Laut Geschäftsordnung des Bundestags ist dies aber Aufgabe der Minister.

Fragestunde ohne Anwesenheitspflicht

Im Ältestenrat sagte Lammert Teilnehmerangaben zufolge, er werde so etwas nicht mehr hinnehmen. Wenn in der nächsten Befragung der Regierung wieder kein Minister erscheine, werde er diese sofort abbrechen. Lammert beklagte außerdem, dass an der Befragung zeitweise nur zwei der mehr als 300 Unionsabgeordneten teilgenommen haben.

Dass ein Bundestagspräsident der Regierung mit dem Abbruch von Debatten droht, ist ein ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang. Die Befragung am Mittwoch hatte Lammert nicht selbst geleitet, zu diesem Zeitpunkt führte Vizepräsident Peter Hintze (CDU) durch die Sitzung. Lammert hatte deshalb nicht eingreifen können.

Die "Befragung der Bundesregierung" und die "Fragestunden" stehen bereits seit Längerem in der Kritik. Beide Formate sind stark formalisiert. Bei der "Befragung der Bundesregierung" gibt die Regierung das Thema in der Regel selbst vor - sie vermeidet damit, zu strittigen Projekten Stellung nehmen zu müssen. Auch die "Fragestunden" sind nicht mit den britischen "Prime Minister's Questions " oder ähnlichen Formaten in Frankreich oder Spanien vergleichbar.

Zum einen gibt es in Deutschland bei den Fragestunden keine Anwesenheitspflicht der Minister oder gar der Kanzlerin. Die Regierungsmitglieder schwänzen die Veranstaltung deshalb seit vielen Jahren fast immer. Stattdessen verlesen Staatssekretäre schriftlich vorbereitete Antworten auf Fragen, die die Abgeordneten mindestens fünf Tage vorher einreichen mussten. Lammert hat die Fragestunden deshalb bereits im Frühjahr zum "schwächsten Teil des deutschen Parlamentarismus" erklärt, der in der jetzigen Form "politisch sinnlos" sei.

Bedenken vor der "Politikshow"

Am Donnerstag trafen sich die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen zum ersten Mal, um über Änderungen der "Befragung der Bundesregierung" und der "Fragestunden" zu beraten. Die Geschäftsführer waren sich einig, dass beide Formate dringend reformiert werden müssen. Unter anderem sollen die Informationsrechte der Abgeordneten verbessert und die Formen belebt werden.

Über die Details gab es aber noch keinen Konsens. Die Unionsfraktion lehnt beispielsweise eine Befragung der Kanzlerin durch die Abgeordneten vehement ab. Die Geschäftsführer wollen jetzt bei einem weiteren Treffen Mitte Oktober versuchen, einen Kompromiss zu erzielen.

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, sagte, es sei "schön", dass sich endlich alle einig seien, dass etwas geändert werden müsse. Die Grünen würden aber trotz des Widerstands der Union darauf bestehen, dass künftig auch die Kanzlerin im Plenum Rede und Antwort stehe.

Bedenken der Union, das liefe auf eine "Politikshow" hinaus, bezeichnete Haßelmann als "abwegig". Merkel müsse "nicht vor dem Parlament abgeschirmt werden". Es gehe hierbei nicht um eine Show, sondern "um die Informationspflicht der Bundesregierung und die Kontrollrechte der Abgeordneten", also um "eine lebendige Demokratie".

Petra Sitte, parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, sagte, ihre Fraktion wolle nicht nur die Bundestags-, sondern auch die Ausschuss-Sitzungen reformieren. Diese sollten künftig in der Regel öffentlich sein und zusätzlich per Livestream übertragen werden. Außerdem müsse sichergestellt werden, dass bei der "Befragung der Bundesregierung" anders als bisher nicht mehr nur Themen behandelt würden, die die Regierung auf die Agenda gesetzt habe.

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