Human Brain Project:Streit um das Milliardenhirn

Menschliches Gehirn

Das Human Brain Project soll das menschliche Gehirn besser verstehen - doch über den richtigen Kurs herrscht unter den Forschern keine Einigkeit.

(Foto: Sebastian Kaulitzki - Fotolia)

Das Gehirn im Labor untersuchen oder neue Technologien entwickeln, um es zu durchleuchten? Über diese Frage ist beim milliardenteuren Human Brain Project ein Richtungsstreit entbrannt. Nun könnte eine wichtige Kurskorrektur bevorstehen.

Von Robert Gast

Der Mann von der Europäischen Kommission hat klare Worte mit nach Heidelberg gebracht. Die Struktur des Human Brain Projects (HBP) müsse sich ändern, ruft Thierry van der Pyl den Zuhörern im vollbesetzten Hörsaal des Kirchhoff-Instituts für Physik entgegen. Außerdem müsse man transparenter werden und klarer kommunizieren, worum es geht in dem Forschungsprojekt - sowohl gegenüber anderen Wissenschaftlern als auch dem Steuerzahler. "Wir müssen Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit ablegen", erinnert van der Pyl die knapp 400 Zuhörer.

Schließlich zahlt die europäische Öffentlichkeit mehr als eine Milliarde Euro für das umstrittene Flaggschiffprojekt, das diese Woche seine Jahrestagung in Heidelberg abhielt. Vor knapp zwei Jahren ist das Human Brain Project als Sieger aus einer der größten Ausschreibungen der europäischen Forschungsgeschichte hervorgegangen. Das Team um den Südafrikaner Henry Markram von der École Polytechnique Fédérale in Lausanne hatte in Aussicht gestellt, innerhalb von zehn Jahren ein Menschenhirn im Computer zu simulieren. Darüber geriet in Vergessenheit, dass es bei dem Projekt auf breiter Front darum geht, Technologien zu entwickeln, die bei der Entschlüsselung des Gehirns helfen sollen: Neue Datenbanken für Forschungsergebnisse und Patientendaten, oder Mikrochips, die der Funktionsweise des Gehirns nachempfunden sind.

In Heidelberg wurde darum auch über die falschen Erwartungen gesprochen, die mancher mit dem Human Brain Project verknüpft hatte, auch Fachleute.Im Juli hatten Neurowissenschaftler einen offenen Brief ins Internet gestellt, der die Ausrichtung des HBP kritisiert und mit einem Boykott des Milliardenprojekts droht. Viele der Unterzeichner dürften sich damals enttäuscht gefühlt haben, weil sie angenommen hatten, dass sie an dem Milliardenprojekt teilnehmen könnten oder dass es zumindest keine Forschungsgelder aus den Fördertöpfen der einzelnen EU-Staaten bindet. Beides stellte das im Juni veröffentlichte "Framework Partnership Agreement" infrage. Das von der HBP-Führung verfasste Dokument beschrieb eine Neustrukturierung des Projekts: Von 2016 an sollten fast nur noch Technologieprojekte Geld von der EU erhalten. Die kognitiven Neurowissenschaften, die in Laborversuchen die Gehirne von Menschen und Tieren untersuchen, sollten hingegen Mittel aus den Fördertöpfen der Mitgliedsstaaten eintreiben. Das würde zusätzliches Forschungsgeld binden, das sonst für unabhängige Neuroforschung bereitstünde, und eine Monopolisierung der Hirnforschung begünstigen, fürchten Kritiker. Fast 900 von ihnen haben den Protestbrief unterzeichnet.

Ein renommierter "Mediator" soll bis Ende des Jahres konkrete Änderungen vorschlagen

In Heidelberg wurde deutlich, dass diese Rebellion wohl Folgen haben wird. Das zeigte die Rede van der Pyls, dessen Abteilung innerhalb der Europäischen Regierung für das HBP verantwortlich ist. Und das zeigt die Berufung eines "Mediators", der die Wogen glätten soll. Seit Kurzem hat der Deutsche Wolfgang Marquardt diese Funktion inne, lange Zeit Leiter des Wissenschaftsrats und seit Juli Chef des Forschungszentrums Jülich. Bis Ende des Jahres wolle er mit einem Team aus Kritikern und HBP-Forschern Änderungsvorschläge erarbeiten, sagte Marquardt am Rande der Konferenz. "Wir werden tun, was nötig ist, um das Projekt auf einen guten Weg zu bringen."

Es sei durchaus denkbar, dass sein Team die Empfehlung ausspreche, die Kognitionsforscher weiterhin stark in das Milliardenprojekt einzubinden. Umsetzen muss solche Vorschläge dann aber letztlich die Leitung des HBP. Dass das nicht unbedingt einfach werden könnte, zeigte eine Szene auf der Pressekonferenz in Heidelberg. Wieso man denn die Kognitionswissenschaften aus dem Kern des Projekts genommen habe, fragte eine französische Journalistin. Co-Direktor Richard Frackowiak wollte diese Frage offenbar nicht beantworten. Jedenfalls fuhr er die Journalistin an, aus welcher Zeitung sie denn diese Information habe. Der Plan für die kommenden Jahre sei noch gar nicht endgültig. Dem Mediator Marquardt schien diese Haarspalterei nicht zu gefallen. Er schüttelte während Frackowiaks Antwort ungläubig den Kopf. Vermutlich hat er erkannt, dass sein Job schwierig werden könnte

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