S-Bahn in München:Wie alte Züge aufgemöbelt werden

S-Bahn in München: Runderneuert präsentiert sich der Innenraum der alten S-Bahnen, die bislang in Stuttgart fuhren.

Runderneuert präsentiert sich der Innenraum der alten S-Bahnen, die bislang in Stuttgart fuhren.

(Foto: DB Regio)

München braucht dringend zusätzliche S-Bahnen. Weil neue zu teuer wären, hat die Bahn alte Modelle von Stuttgart gekauft. Bevor sie zum Einsatz kommen, werden die Züge saniert - Bahn-Nostalgiker dürfen sich trotzdem auf den "heiligen ET" freuen.

Von Marco Völklein

Viele werden sich gleich beim Einsteigen zurückversetzt fühlen in die Zeit vor etwas mehr als eineinhalb Jahrzehnten. Die schweren Schwenkschiebetüren lassen sich nur mit zwei Hebeln öffnen und nicht mit Drucktasten wie bei den modernen S-Bahnen. Und wer einen Sitzplatz ergattert, wird merken, dass sich unter dem Stoff noch eine richtige Federung befindet. Von Mitte November an werden die alten S-Bahnen vom Typ "ET 420" zurückkehren ins Münchner Netz. 15 Stück hat die Deutsche Bahn dafür aus Stuttgart herangekarrt; in einem Instandsetzungswerk in Nürnberg werden sie derzeit aufgemöbelt.

S-Bahn-Sanierung ist Handarbeit. Jedes einzelne Bauteil schrauben die Arbeiter in Nürnberg aus den alten Waggons heraus. Haltegriffe, Gepäckablagen, Sitzgestelle, Mülleimer - alles wird in einem frischen, neuen Grau lackiert. Neue Fußböden kommen rein, eine neue Dämmung im Dach soll die Fahrgeräusche dämpfen. Hinzu kommen neue LED-Lampen und zwölf Überwachungskameras pro Zug, die das Wageninnere ausleuchten und das Geschehen darin aufzeichnen werden.

Sechs Millionen Euro lässt sich die Bahn die Sanierung der 15 Züge kosten, die in Stuttgart durch die neue Baureihe "ET 430" ersetzt werden. Für den Kauf von 15 neuen Zügen für das Münchner Netz hätte der Konzern das Zehnfache aufwenden müssen. Da aber unklar ist, ob die Bahn in ein paar Jahren überhaupt erneut vom Freistaat den Auftrag für den Betrieb der Münchner S-Bahn erhält, entschied sich S-Bahn-Chef Bernhard Weisser für die Anschaffung der gebrauchten Züge aus Stuttgart.

Warten allerdings konnte Weisser auch nicht. Denn die Züge sind nötig, weil derzeit die Strecke von Dachau nach Altomünster, die Linie A, elektrifiziert wird. Von Dezember an sollen dort deutlich mehr Züge fahren. Das Problem ist aber: Die derzeit in München eingesetzten Fahrzeuge vom Typ "ET 423", die rund um das Jahr 2000 sukzessive die alten 420er ersetzt hatten, werden nicht mehr gebaut. Schon jetzt ist der Fahrzeugpark mehr als knapp kalkuliert. Immer wieder kommt es zu Zugausfällen, weil nicht genügend Reserve vorhanden ist. Zusätzliche Züge für die Strecke nach Altomünster konnte Weisser also nicht aus dem Bestand nehmen.

Er schaute sich nach einer anderen Lösung um und wurde bei den Kollegen in Stuttgart fündig. Die alten 420er sollen zum einen zwischen Dachau und Altomünster im Stundentakt pendeln. Zum anderen werden weitere ET 420-Züge auf den Linien S 4-West und S 20 im Einsatz sein. Aus technischen Gründen allerdings wird die Bahn die alten S-Bahnen nicht in den Stammstreckentunnel unter der Innenstadt einfahren lassen; vielmehr werden die 420er als Verstärkerzüge auf der S 4 aus Westen kommend in die Haupthalle des Hauptbahnhofs rollen, dort wenden und nach einem kurzen Zwischenstopp wieder zurück Richtung Fürstenfeldbruck und Geltendorf fahren. So verschafft sich Weisser Luft in seinem Fuhrpark - und hat damit genügend moderne 423er frei, um sie auf der Linie S 2 von Altomünster kommend durch den Innenstadttunnel zum Ostbahnhof und weiter nach Markt Schwaben und Erding zu führen.

Wo sich S-Bahn-Nostalgiker auf die Lauer legen müssen

S-Bahn-Nostalgiker sollten sich also entweder auf der S 2 zwischen Dachau und Altomünster auf die Lauer legen, um einen alten 420er zu erwischen - oder auf der S 4 nach einem der alten Waggons Ausschau halten. Bei der Bahn jedenfalls sind die Ingenieure von der alten Technik nach wie vor begeistert. "Die Fahrzeuge sind sehr robust", sagt Michael Schulte, der als Projektleiter die Sanierung der 15 alten Stuttgarter S-Bahnen verantwortet.

Kaum Reserven

Auf dem Papier umfasst der Fuhrpark der Münchner S-Bahn 238 Züge vom Typ "ET 423". Tatsächlich allerdings sind es derzeit nur 237 - denn eine S-Bahn wurde bei einem Baustellenunfall Anfang Mai in Olching schwer beschädigt. Und zwar so schwer, dass die Bahn den alten Zug eigentlich verschrotten müsste. Der Restwert liegt offenbar deutlich unter dem Betrag, den man für die Reparatur auftreiben muss, ist aus Bahnkreisen zu hören. Dennoch wird der Konzern den arg ramponierten Triebwagen wohl nicht in die Schrottpresse schicken, sondern mit viel Aufwand wieder herrichten lassen. Denn ansonsten wird die ohnehin schon sehr knappe Fuhrparksituation nur noch brenzliger - und dann müsste der Konzern noch öfter als bisher einzelne Fahrten ausfallen lassen, und zwar aus "betriebsbedingten Gründen", wie das bei der Deutschen Bahn immer so schön heißt.

Die Technik funktioniere weitgehend elektromechanisch, anfällige Software kommt so gut wie gar nicht zum Einsatz. Kleinere Störungen könnten die Lokführer auch mal selbst beheben, sagt Schulte. Bahn-intern werde die Baureihe auch "der heilige ET" genannt - eben weil er so unkaputtbar sei. Weisser sagt, dass sich bereits genügend Lokführer freiwillig gemeldet hätten, um ihren Dienst auf den alten Stuttgarter S-Bahnen zu verrichten. Auch wenn ein Blick in die alten Führerstände nicht gerade von allzu viel Komfort zeugt: Dort dominieren noch schwere Hebel, alte Druckknöpfe und Rundarmaturen. Die Fahrersitze wirken verschlissen; manche Sonnenblende ist aus der Führung gesprungen.

Das alles werde bei der Sanierung noch aufgearbeitet, versichert der S-Bahn-Chef. Schließlich sollen die alten Triebzüge - der älteste weist das Baujahr 1993 auf - in München noch eine Weile ihren Dienst verrichten. "Mindestens bis zum Jahr 2020", sagt Weisser, vielleicht auch noch einige Jahre darüber hinaus sollen die 420er nun noch Fahrgäste durch München und sein Umland kutschieren - was aber auch davon abhängt, ob die Bahn erneut den Zuschlag für das Münchner Netz bekommt. In einigen Tagen, so ist zu hören, will der Freistaat sagen, wie es in dieser Frage weitergeht.

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