Chinas Premier in Berlin:Blumige Worte über Hongkongs Demonstranten

Der Besuch des chinesischen Premiers bringt Kanzlerin Merkel in eine schwierige Lage. Sie könnte mit ihm nicht nur über Geschäftliches reden, sondern auch die Menschenrechte und die Massendemos in Hongkong ansprechen. Doch die unangenehmen Fragen stellt ein anderer.

Von Nico Fried, Berlin

Man könnte fast meinen, die deutsch-chinesischen Beziehungen seien so gut, dass der Bundeskanzlerin dafür die Worte fehlen. Die dritten Regierungskonsultationen seien "ein Zeichen intensiver Zusammenarbeit, die sich im Laufe der Jahre intensiviert hat", sagt Angela Merkel am Freitag zu Beginn der Pressekonferenz mit Li Keqiang, dem chinesischen Ministerpräsidenten. Später bringt sie dann doch noch ein paar Adjektive mehr hervor: Offen und konstruktiv seien die Gespräche gewesen, am Ende ihres Statements nennt sie die Begegnung sogar "fruchtbringend".

Li Keqiang ist in seiner Sprache bedeutend reicher an Superlativen. Die deutsch-chinesische Partnerschaft sei die Lokomotive für die Beziehungen Chinas mit der EU. Die beiden Länder seien Großmächte am jeweiligen Ende ihrer Kontinente und sollten ein Bewusstsein entwickeln für die "Schicksalsgemeinschaft Asiens und Europas". Er versteht darunter zumindest in dieser Pressekonferenz freilich nur Fragen von Entwicklung und Wohlstand.

Merkel weiß, was die deutsche Öffentlichkeit erwartet

Merkel weiß, was die deutsche Öffentlichkeit erwartet, weshalb sie sich um den Eindruck bemüht, es gehe eben nicht nur um Projekte in Wirtschaft und Industrie. Es gebe mit der chinesischen Seite Dialoge zu verschiedenen Themen, darunter auch die Arbeit von Journalisten und das Thema Menschenrechte. Konkreter wird die Kanzlerin da nicht. Vielleicht nicht zufällig streut sie aber den Hinweis ein, dass ihr Vier-Augen-Gespräch mit Li erst für den Abend geplant sei. Traditionell sehen deutsche Kanzler den kleinen Kreis als idealen Ort für Delikates. Jedenfalls behaupten sie das stets.

Mehrere Minister haben zuvor in einer Zeremonie Abkommen unterzeichnet: Kooperiert werden soll nun bei Gesundheit, Bildung, Entwicklungshilfe und Landwirtschaft. Aber bezeichnend war dann doch, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gleich dreimal seine Unterschrift zu Papier bringen durfte und außerdem noch hohe Vertreter führender deutscher Unternehmen, von Daimler über Volkswagen bis zur Telekom, Verträge abschlossen. Auch Airbus wird wieder einige Flugzeuge nach China verkaufen. Den A320 und den A330.

Gauck hat so seine Erfahrungen mit dem Marxismus

Freilich gibt es auch in den Wirtschaftsbeziehungen nicht nur Positives. Gabriel spricht Probleme an, als er am Vormittag ein deutsch-chinesisches Forum eröffnet. Er appelliert an die Chinesen, Benachteiligungen für ausländische Firmen abzuschaffen. Diese sähen sich in China "immer noch umfangreichen Beschränkungen ausgesetzt". Gleichwohl werden während des Forums rund 30 Vereinbarungen unterzeichnet. Volumen: mehr als zwei Milliarden Euro.

Insgesamt 140 Milliarden Euro betrug 2013 der Umfang der Handelsbeziehungen. Aber da geht noch mehr, findet auch Gabriel. Dem Wirtschaftsminister wäre es am liebsten, es gäbe alsbald auch ein Freihandelsabkommen. Dem freilich widerspricht auf derselben Veranstaltung EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Angesichts solcher Meinungsverschiedenheiten mag mancher chinesische Gast über seine europäischen Gastgeber gedacht haben: Das habt ihr von eurem Pluralismus.

Für Li Keqiang ist Deutschland der erste Staat, den er nach seinem Amtsantritt bereits zum zweiten Mal besucht. Schon beim ersten Mal lernte der Ministerpräsident auch Joachim Gauck kennen. Man hat offenbar Interesse aneinander, denn der Bundespräsident empfing ihn auch diesmal, obgleich das protokollarisch nicht zwingend gewesen wäre. Eine Stunde dauerte die Begegnung, doppelt so lange wie vorgesehen, und sie verlief offenbar recht unverkrampft. Man war sich einig über den Wert der engen Beziehungen, doch solle man, so wurde Gauck später in Teilnehmerkreisen wiedergegeben, auch über die Probleme reden. Das sah der Chinese ganz genau so.

Gauck erkundigt sich nach dem Schicksal eines Uiguren

Gauck hatte eingangs noch gescherzt, er habe so seine Erfahrungen mit dem Marxismus gemacht, was der Gast höflich-humorvoll nicht als Problem, sondern als Gewinn für das gemeinsame Gespräch verstand. Dann aber machte Gauck deutlich, dass er ein gewisses Problem in der Vereinbarkeit einer Herrschaft des Rechts mit der Herrschaft der kommunistischen Partei sehe. Li schilderte China daraufhin als Land, das einen Entwicklungsprozess erlebe und auch den Rechtsstaat vervollkommne. Dem einst von Gerhard Schröder ins Leben gerufenen Rechtsstaatsdialog mit Deutschland maß der Ministerpräsident dabei besondere Bedeutung bei.

Gleichwohl ließ Gauck dieses Thema nicht im Ungefähren, sondern fragte auch nach dem konkreten Schicksal eines verhafteten uigurischen Professors und Menschenrechtsaktivisten: Ilham Tohti war wegen des Vorwurfs des "Separatismus" verurteilt worden. Lebenslang. Da jedoch mochte der Gast im Schloss Bellevue nicht mehr ganz so offen reden, vermied den Einzelfall und zog einige allgemeine Sätze vor, wonach die Gesetze gelten und gerechte Verfahren gewährleistet werden müssten.

In der Pressekonferenz mit Merkel äußerte sich Li auch zu den Demonstrationen in Hongkong - eher blumig, wie nicht anders zu erwarten. Er vertraue auf "die Weisheit der Regierung und der Menschen, die gesellschaftliche Stabilität zu wahren", so der Ministerpräsident. Im Übrigen aber - und an dieser Stelle wurde Li dann doch ein wenig schärfer - sei Hongkong eine Frage der Innenpolitik Chinas, weshalb sich ausländische Regierungen zurückhalten sollten. Das ging ganz unverhohlen gegen die Kanzlerin, die sich jüngst zu den Protesten geäußert hatte. Dann ging Merkel auf die Geschehnisse ein: Die Demonstrationen seien bisher friedlich verlaufen. "Und ich hoffe, dass das auch weiter so bleiben kann und dass man in freiem Meinungsaustausch auch Lösungen findet, die die Bevölkerung in Hongkong zufriedenstellen."

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