"Die Philosophie des Kletterns":Friede den Verrückten

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Besteigung des Tasmangletschers 1911 in Neuseeland. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Aufsatzsammlung "Die Philosophie des Kletterns" widmet sich der Frage, warum Menschen eigentlich auf Berge steigen. Und geht dieses Rätsel genau richtig an.

Von Dominik Prantl

Because it's there. Weil er da ist. George Mallory hat mit diesen Worten einst erklärt, warum er den Mount Everest besteigen wollte. Aber selbst Mallory wusste natürlich, dass es nur eine sehr verkürzte Antwort auf die Frage ist: Warum steigen Menschen auf Berge?

Mit "Die Philosophie des Kletterns" behandelt eine Aufsatzsammlung diese facettenreiche Frage, wobei sie in der englischen Urversion den wunderbaren Titel "Climbing - Philosophy for Everyone: Because it's there" trägt. Allein die Philosophie für jedermann an sich ist ja schon ein ambitioniertes Unterfangen, weil die meisten Jedermänner mit der Philosophie kaum etwas anfangen können. Noch heikler wird die Philosophie, wenn es wie beim Klettern um einen Menschenschlag geht, der vom Jedermann gerne als Hasardeur oder Vollverrückter abgekanzelt wird.

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Das Stirnrunzeln beginnt schon bei der widersinnigen Behauptung vieler Bergsteiger, dass ihr Tun - das selbstverständlich viel mehr ein Lebensgefühl verkörpere als nur profanen Sport - sie ein sonst kaum mehr mögliches Gefühl von Freiheit erfahren ließe. Unterwirft sich doch gerade der Alpinist einer ganzen Reihe von Zwängen, und das auch noch freiwillig: dem Seil, der Abhängigkeit vom Partner, dem Wetter, einer limitierten Zahl von Wegen oder Griffen.

Ist es besser, sich in Lebensgefahr zu begeben oder Rosa zu tragen?

Bei der Erklärung solcher Phänomene leisten sich die Autoren den Luxus, auf den gerade sehr angesagten Ratgebersprech zu verzichten. Die große Stärke der einzelnen Beiträge liegt vielmehr darin, dass sich die Leser mal mit Hilfe ihres Verstands, mal mit Beistand von Aristoteles oder Nietzsche selbst auf die Suche nach Antworten machen sollen - indem einfach die richtigen, grundsätzlichen Fragen gestellt werden. Warum lohnt sich Umweltschutz und Verzicht auch für mich? Was soll das Geschwafel von ethischen Grundsätzen beim Bergsteigen eigentlich? Ist es moralisch verwerflich, sich in Lebensgefahr zu begeben, oder auch nicht schlimmer, als Rosa zu tragen?

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Dabei ist es kein Nachteil, dass neben Speedkletterer Hans Florine als Vorwortschreiber oder dem kletternden Philosophen William Ramsey, der nur mit Bierunterstützung philosophische Diskussionen unter Kletterfreunden erträgt, auch mal eine Flachland-Autorin wie die Ethik- und Sportdozentin Pam Sailors zu Wort kommt. Deren Kletteranstrengung beschränkt sich darauf, morgens aus dem Bett zu steigen.

Wenn dann auch für solche Leute aufgearbeitet wurde, warum das Sportklettern als Fast Food des Bergsteigens bezeichnet werden kann und was an dem Verzicht auf Sicherheit so viel Spaß machen soll, lässt sich die Warum-Berge-besteigen-Frage auch anders beantworten: Vielleicht einfach deshalb, weil die Suche nach der Antwort so viel Spaß bereiten kann.

Stephen E. Schmid, Peter Reichenbach (Hrsg.): Die Philosophie des Kletterns. Mairisch Verlag, Hamburg 2014. 224 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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