Potenzieller Wowereit-Nachfolger Müller:Offensiv durchschnittlich

Michael Müller

Michael Müller will nach Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister von Berlin werden.

(Foto: dpa)

Der Berliner Stadtentwicklungssenator Michael Müller will Regierender Bürgermeister der Hauptstadt werden. Seine Kampagne erinnert an Angela Merkel. Der SPD-Mann gibt sich betont normal und deklariert seine Makel als Stärken.

Von Jens Schneider, Berlin

Es gibt diese eine Geschichte, mit der Michael Müller einige seiner Genossen doch noch zum Lachen bringt. Es ist die im Grunde einzige Geschichte, die er in seinen ernsten, sachlichen Vortrag einbindet. Sie kommt kurz vor dem Ende und fängt mit einem Bekenntnis zu einer Unzulänglichkeit an. "Ich gebe zu", sagt Müller da über sich, "der Glamour-Faktor hat noch Luft nach oben."

Das sei ihm gerade wieder bewusst geworden, als er "mit dem Klaus" unterwegs war. Innerhalb von zehn Minuten habe der Klaus, gemeint ist Berlins noch Regierender Bürgermeister Wowereit, wieder alle Models geküsst. "Würde ich doch auch gern machen", sagt Müller. Aber als dieser Klaus den Models dann immer gesagt habe: Das ist vielleicht der nächste, den ihr küssen müsst, da seien die doch "einigermaßen verzweifelt" gewesen.

Wenn einer bieder ist, aber selbst darüber lachen kann, ist er dann nicht mehr bieder? Oder ist es einfach nur nicht schlimm? Sogar niedlich?

Müller spielt mit seinen Schwächen

Der Sozialdemokrat Michael Müller macht in diesen Tagen eine kleine Kunst daraus, mit seinen Schwächen und Makeln zu spielen, indem er sie ironisiert oder sogar als Stärke deklariert. Er ist unter den drei Kandidaten, die sich um die Nachfolge von Klaus Wowereit bewerben, der unspektakulärste.

Er ist ein ewiger Wegbegleiter Wowereits, der schon immer da war, und eigentlich sogar schon mal erledigt war als Nachfolge-Kandidat. Seine Kritiker erinnern gern daran, wie lange er schon dabei ist, und wie viele Fehler er mitgetragen habe. Sie sehen seine lange Zeit in der zweiten Reihe als seine Hypothek. Auch die beiden Konkurrenten Raed Saleh und Jan Stöß suchen bei gemeinsamen Auftritten vor der Parteibasis nach Gelegenheiten, Versäumnisse anzusprechen, die man Müller anlasten könnte. Nur andeutungsweise allerdings, im Rahmen der verordneten Fairness.

Ist er nicht einer von gestern? Der Berliner Stadtentwicklungssenator könnte darüber lachen, gerade einmal 49 Jahre ist er alt. Und immer schon dabei? Ja, zumindest viel länger als die beiden anderen.

Stöß hatte noch kein Amt in der Regierung oder im Abgeordnetenhaus, Saleh ist seit wenigen Jahren Fraktionschef. Also wirbt Müller vor allem mit seiner Erfahrung. Er setzt auf einen Satz, der im letzten Bundestagswahl das Kernstück von Angela Merkels Wahlkampf war: "Sie kennen mich", sagte sie den Deutschen, es klang wie ein Versprechen. Müller wandelt es sozialdemokratisch ab: "Genossinnen und Genossen, ihr kennt mich", ruft er ihnen zu. Er sei ja nun seit 49 Jahren Berliner - denn er hat die Stadt nie für längere Zeit verlassen: "Ich weiß, wie diese Stadt tickt."

Stöß nahm ihm den Landesvorsitz ab

Müller führte zehn Jahre die Fraktion der SPD im Abgeordnetenhaus, acht Jahre lang war er auch Parteichef, bis 2012. Dann nahm Jan Stöß, einer der beiden heutigen Konkurrenten, ihm den Posten in einer Kampfkandidatur ab. Die Partei habe unter Müller gegenüber dem Senat zu wenig Profil gezeigt, hieß es damals. Auch daran erinnern Kritiker heute gern - wie an den Moment, als Müller auf jenem Parteitag geschlagen die Bühne verließ und nicht verbergen konnte, wie sehr ihn die Niederlage schmerzte.

Er sei eben einer, dem man ansehe, wenn ihm etwas zusetzt, sagt er. Bis dahin war er Wowereits Kronprinz, nun schienen seine Ambitionen erledigt zu sein. Aber Brüche gehörten doch zum Leben, sagt er, in der Politik gehe es nicht immer nur nach oben. Er arbeitete weiter, nur noch als Senator.

Drei Tage hat Michael Müller gewartet, bis er seine Kandidatur um die Wowereit-Nachfolge Ende August erklärte. Drei Tage dachte er nach der Rücktrittsankündigung von Klaus Wowereit nach, beriet sich mit Freunden und der Familie. Das könnte man zögerlich, zaudernd finden. Ihm ist schon oft vorgeworfen worden, ein Zauderer zu sein, zu wenig zupackend. "Doch glaubt mir Genossen, ich weiß schon, was ich will", wirbt er auf den Mitgliederforen der SPD für sich.

Er kandidiere nicht, um Regierender Moderator zu werden. Und dass er sich nach der Rücktrittsankündigung von Wowereit Zeit nahm, soll ihn nun auszeichnen. Der Abschied von Wowereit sei doch ein Einschnitt für die Stadt: "Das kann man auch mal zwei, drei Tage stehen lassen." Müller weiß, dass einige Parteifreunde es unschicklich fanden, wie schnell Jan Stöß und Raed Saleh noch am gleichen Tag ihre Kandidatur erklärten. Sie fanden es zu ungeduldig, ja respektlos.

Das Warten hat ihm genützt

Müller hat das Zuwarten genützt. Bis er sich erklärt hatte, waren die beiden anderen Kandidaten schon vielfach betrachtet und von Kritikern als wenig geeignet befunden worden. Eine Umfrage ergab damals, dass viele Berliner keinen von beiden wollten. Nun könnte es aussehen, als ob er eine Lücke füllte, als der leise lachende Dritte. Tatsächlich geht der Mann, der das Amt 2012 mit dem Verlust des Parteivorsitzes eigentlich schon verloren hatte, als Favorit in die Stichwahl.

Eine Mehrheit der Berliner möchte laut Umfragen Michael Müller als neuen Regierenden Bürgermeister. Zwar entscheiden nicht die Berliner, sondern die sozialdemokratische Basis, und niemand weiß, wie die stillen Mitglieder wirklich ticken. Aber Müller versucht die Stimmung in der Stadt für sich zu nutzen, wenn er seine Genossen umwirbt. "Es geht nicht darum, dass wir uns als Berliner SPD wohlfühlen mit der Entscheidung", erklärt er ihnen: "Ihr müsst euch fragen, wie und mit wem erreichen wir so breite Wählerschichten, dass wir 2016 die führende Kraft in dieser Stadt bleiben?" Dann wird gewählt in Berlin, und der neue Regierende Bürgermeister muss die SPD bis dahin aus ihrem Umfragetief herausführen.

Auch seine parteiinterne Niederlage von 2012, sein Karriere-Loch danach, passt in die Geschichte, die Müller den Genossen und der Stadt Berlin von sich erzählt. Er sei seither freier geworden, sagt er, mit sich selbst im Reinen, "ganz bei mir". Vielleicht ließ der Druck nach, als er nicht mehr der selbstverständliche Nachfolger von Wowereit war.

Und so erzählt er den Leuten seine So-bin-ich-eben-Geschichte von der eigenen Normalität. Wie er nach der Mittleren Reife die Gesamtschule verließ, weil er einfach nicht mehr zur Schule gehen wollte. Wie er die Betriebe in der Gegend abklapperte, eine Lehrstelle fand, und nach der kaufmännischen Ausbildung eine kleine Druckerei gründete, die er in Tempelhof jahrelang führte, bis er Senator wurde. Auch sein Vater, seit ewigen Zeiten in der SPD, ist Drucker. Bilder aus der Druckerei zeigen ihn und die Eltern Arm in Arm, im Hintergrund hängt ein großes Foto von Willy Brandt.

"Veränderungen lösen auch Sorgen und Ängste aus"

Er setzt auf kleine Auftritte, die nicht überraschen. Der große Weltstadt-Auftritt ist nichts für ihn, auch wenn Müller auf seiner Website schwärmt, dass Berlin "eine wilde, schöne Stadt" sei. Sehr viel wilder wird es mit ihm nicht werden, das ist Teil seines Versprechens.

Stets erinnert er daran, dass die Menschen in der Stadt in den vergangenen 25 Jahren viele Veränderungen erlebt haben. "Diese Veränderungen lösen auch Sorgen und Ängste aus." Die Bürger wollten nun mal durchatmen, einfach gut regiert werden. Er kennt das alte Berlin gut, ist in Tempelhof aufgewachsen, hat dort seine Frau kennengelernt, lebt immer noch dort. Seine Wohnung ist nicht weit vom Elternhaus entfernt. Müller will für die solide Fortsetzung der bisherigen Politik stehen. Er wolle "nicht blumige Versprechungen machen, sondern das Leben der Berliner Tag für Tag ein Stück besser machen", sagt er.

Er spricht über die Schaffung von Arbeitsplätzen, will - wie die Konkurrenten - bezahlbaren Wohnraum in der Stadt schaffen, in der es immer schwerer wird, eine Wohnung zu finden. Wenn Müller das ankündigt, schütteln die parteiinternen Gegner wieder den Kopf: Er hätte das alles doch schon machen können. Ihm hängt der Ruf an, dass er zwar ausdauernd sei, aber nicht besonders stark, wenn es darum gehe, seine Pläne durchzusetzen. Im Berliner Senat soll er oft vom einflussreichen parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum ausgebremst worden sein.

In sein Ressort fiel die letzte große Niederlage des Berliner Senats. Im Mai bremste eine Mehrheit der Berliner in einem Volksentscheid die Baupläne für das Tempelhofer Feld rund um den früheren Berliner Flughafen. Rund 4700 Wohnungen sollten dort entstehen, und in der Stadt sind Wohnungen arg knapp geworden. Aber eine Mehrheit wollte, dass das Feld - ein weites Areal für Radler, Spaziergänger und viele Freizeitsportler - unbebaut bleibt. Die Stadt hatte die Pläne so groß angelegt, dass sie viele verschreckte.

Müller fand die Pläne vor, als er ins Amt kam. Er bemühte sich um mehr Bürgernähe. In den Wochen vor der Abstimmung warb er in vielen Versammlungen für das Projekt, sein Einsatz imponierte Beobachter der Berliner Politik. Erstmals wurde er wieder als möglicher Nachfolgekandidat für Wowereit gehandelt, dann aber ging der Volksentscheid schief. Eine Berliner Boulevardzeitung nannte ihn "das Gesicht der Niederlage".

"Ich muss zugeben, ich würde die Wohnungen immer noch gern bauen", sagt Müller. Aber er respektiert den Volksentscheid und hat komplett umgeschaltet. Nun setzt er demonstrativ auf Bürgerbeteiligung, gebaut wird nicht, über die weitere Gestaltung der Parklandschaft soll in einem offenen Prozess beraten werden. Er will zeigen, dass er die Botschaft verstanden hat. "Ich habe die Bitte, dass wir nicht wieder die alten Schlachten schlagen", bat Müller jetzt bei einem Treffen mit Bürgern am stillgelegten Flughafen. So klingt das, wenn einer, der schon immer dabei war, neu anfangen soll, aber für Kontinuität stehen will.

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