Extremisten in der Ukraine:Kämpfer von rechts

Extremisten in der Ukraine: Nationalisten marschieren am 14. Oktober in Kiew, um an die Ukrainische Aufständische Armee zu erinnern, die auch mit Nazi-Deutschland kollaborierte.

Nationalisten marschieren am 14. Oktober in Kiew, um an die Ukrainische Aufständische Armee zu erinnern, die auch mit Nazi-Deutschland kollaborierte.

(Foto: Genya Savilov/AFP)

In der Ukraine kämpfen russische Faschisten an der Seite ultranationalistischer Milizen. Kurz vor den Parlamentswahlen werden die Stimmen der Rechtsradikalen lauter.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Die Ankündigung, die man getrost als Drohung verstehen kann, kommt erst am Ende eines langen Gesprächs, quasi als Schlusswort. Artjom Skoropadskij formuliert sie zwischen zwei Tequilas, die er schon am frühen Nachmittag in einer Kiewer Kellerkneipe kippt: "Im kommenden April werden wir an der Macht sein. Die Leute werden aufstehen und uns auffordern, die Macht zu übernehmen."

Bedeutet das: Putsch? Der Sprecher des Pravij Sektor, des Rechten Sektors, winkt ab: nicht nötig. Das Volk werde sehen, dass Präsident Petro Poroschenko keinen Frieden und keine echten Änderungen herbeiführen könne. "Alles Kosmetik. Die alten Gesichter. Noch glaubt das Volk den Politikern. Aber das wird sich schnell ändern."

Bisher allerdings zeigt sich "das Volk", auf das Skoropadskij setzt, eher zufrieden mit der Linie des Präsidenten; sein Block Poroschenko, dem auch die Udar-Partei von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko angehört, liegt vor den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag bei 30 bis 35 Prozent.

Die rechtskonservative Swoboda-Partei etwa, die bei der letzten Wahl zu Zeiten des früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch einen Achtungserfolg erzielen konnte, weil sie gegen das Establishment antrat, dürfte jetzt kaum mehr die Fünf-Prozent-Marke überspringen - trotz eines bemühten Imagewechsels weg vom Vorwurf des Antisemitismus.

Stimmen der Nationalisten und Rechtsradikalen werden lauter

In Umfragen sagen die Ukrainer, sie wollten vor allem ein Ende des Krieges und einen Beginn der lange ersehnten Reformen; das Erste hat der Präsident versprochen, das Zweite mit einer Reihe von Gesetzen, die noch schnell durch das Parlament gejagt wurden, nachdrücklich begonnen.

Aber mit Blick auf die Wahl, die im Ergebnis wenig politische Stabilität bringen dürfte, und auf die Waffenruhe, die nach wie vor keine ist, werden die Stimmen der Nationalisten und Rechtsradikalen lauter. Und ihre Forderungen werden unüberhörbar.

Im Osten stehen an vorderster Front eine Reihe von Freiwilligen-Bataillonen, die von Rechtsradikalen durchsetzt sind; sie gelten in der Armee als versiertere und bessere Kämpfer gegen den gemeinsamen Feind: Wladimir Putin. Die Generalität überlässt ihnen nicht ungern strategisch wichtige Punkte wie die Hafenstadt Mariupol im Südosten oder den schwer umkämpften Flughafen von Donezk.

Doch die Freiwilligen-Verbände wollen mehr: Sie wollen anerkannt werden als reguläre Kämpfer, wollen mehr Ausrüstung, mehr Waffen, mehr Unterstützung. Und keine Demutsgesten gegenüber Russland. Das Wort "Verräter" kursiert über den neuen Präsidenten - und die Drohung eines Guerillakriegs steht im Raum, sollte Kiew den Donbass aufgeben.

Abgeordnete fürchten Prügel

In Kiew wiederum fürchten sich mittlerweile Parlamentsabgeordnete der alten Janukowitsch-Partei, der Partei der Regionen, wenn sie nicht für demokratische Reformen stimmen: Der eine oder andere wurde schon vor der Werchowna Rada von aufgebrachten Ultras verprügelt, landete in einem Müllcontainer oder wurde mit faulem Gemüse beworfen.

Der Pravij Sektor, eine ultranationalistische Bewegung, die seit dem Frühjahr auch als Partei organisiert ist, kommt derzeit in Umfragen gerade mal auf ein Prozent. Doch den Russen Skoropadskij, der schon vor langer Zeit beschloss, dass "Russland keine Zukunft hat" und als Journalist für eine ukrainische Zeitung arbeitete, ficht das nicht an.

Die Zeit komme, in der sich "das Volk" der Bewegung für eine einige, starke, reiche, unabhängige Ukraine mit nur einer Sprache und nur einer Kirche anschließen werde. Dann, wenn der Frust nach einem kalten Winter und einer gegenüber Russland ohnmächtigen Kiewer Führung übermächtig geworden sei.

Aber keine Angst, sagt Skoropadskij zutraulich: Der Pravij Sektor sei für Europa, wenn auch nicht für eine EU-Mitgliedschaft. Für Toleranz, wenngleich gegen die Homo-Ehe und Frauen als Priester, vor allem aber: Der Pravij Sektor stehe für einen "kompletten Wandel in der Ukraine. Neue Gesichter, neue, saubere Eliten, ein komplett neues System."

Viel konkreter wird der kleinwüchsige Mann im himmelblauen Sweatshirt nicht, nur so viel: Seine Ultranationalisten unter ihrem Anführer Dmitri Jarosch seien radikale Nationalisten. "Aber wir sind keine Antisemiten und keine Faschisten."

Skoropadskij ist bei weitem nicht der einzige Russe, der sich auf die Seite der Ukraine geschlagen hat und bei dem die Grenzen zwischen Nationalismus und Rechtsradikalismus fließend sind.

Jaroslaw Babitsch ist Chef des Mobilisierungszentrums für das Asow-Bataillon, dessen Männer derzeit im Südosten des Donbass, am Schwarzen Meer, die prorussischen Kräfte aufzuhalten suchen. Er selbst ist Ukrainer und seit 2008 Mitglied der paramilitärischen Formation "Patrioten der Ukraine", die der "Sozial-Nationalen Versammlung" angehört . Der Name ist mit Bedacht an die Nationalsozialisten angelehnt.

Babitsch berichtet begeistert von zehn Männern "aus ganz Russland, von St. Petersburg bis Wladiwostok", die über die Grenze gekommen seien und derzeit ohne Sold aufseiten der Asow-Truppe kämpften.

Die Begründung für den Seitenwechsel ist wirr und steht dem verbalen Radikal-Nationalismus von Wladimir Putin seltsam entgegen: Die Russen seien da, weil das "russische Volk in Russland am Rande der Auslöschung" stehe, Muslime und Kaukasier würden bevorzugt und gehätschelt. Putin betreibe, referiert Babitsch die Überzeugung seiner russischen Milizionäre, einen "Schein-Nationalismus", bei dem es nicht um die Menschen und die Nation, sondern um geostrategische Ambitionen und ein neues Reich gehe.

Warum Putin dann nicht besser in Russland selbst bekämpfen? Babitsch wird nun klarer: Die Männer würden in Russland als Extremisten und Faschisten verfolgt. Was für eine Ironie der Geschichte: Während die neue Kiewer Führung vom Kreml als "illegitim", als "Junta" und "Faschisten" bezeichnet wurde, haben sich russische Nazis längst zum Kampf gegen den Kreml in die Ukraine abgesetzt.

Und nicht nur die: Laut Babitsch hat das Asow-Bataillon, das in seinem Wappen seitenverkehrt die Wolfsangel der SS zeigt, eine lange Liste ausländischer Kämpfer vorzuweisen. Der schwedische Scharfschütze Michael Skillt kämpft vor Mariupol, aber nach Angaben des Mobilisierungskommandos tun das auch Norweger, Österreicher, Slowaken, Griechen, Kroaten, Franzosen, Briten und Weißrussen. Denn, so Babitsch: Putin sei eine Bedrohung für die ganze Welt, nicht nur für die Ukraine.

Angst vor den Freiwilligen-Bataillonen wächst

Wahrscheinlicher dürfte sein, dass hier, wie in anderen Krisenherden der Welt auch, in die es Söldner zieht, Ideologie, Kampflust und Machismo aufeinandertreffen. Aber ob diese seltsamen Kombattanten auf Dauer kontrollierbar sind?

In Kiew schweigt man im Wesentlichen zu den ideologischen Auswüchsen der Milizen, die dem Innen- oder Verteidigungsministerium unterstellt sind; das Bataillon des Pravij Sektor kämpft für sich allein und ohne offizielle Anbindung an die Befehlsstrukturen der Armee.

Weil die Armee unfähig gewesen wäre, den Krieg im Osten gegen prorussische Separatisten allein zu bestehen, weil die Sondereinheiten der aufgelösten Berkut ebenso wie versprengte Maidan-Aktivisten aufgefangen und eingebunden werden mussten, nahm man die Bildung von Milizen anfangs hin oder beförderte sie sogar.

Bedrohung durch den Rechtspopulisten Ljaschko

Mittlerweile allerdings wächst die Angst, dass die von Rechtsradikalen durchsetzten Freiwilligen-Bataillone, die zum Teil von Oligarchen aus dem Osten finanziert werden, ihre Aktivitäten gegen die demokratisch gewählte Führung des Landes richten könnten.

Und in der EU wächst, parallel dazu, die Empörung über den zunehmend schmutzigen Krieg im Osten - zumal nach den jüngsten Vorwürfen von Human Rights Watch und Amnesty International über Kriegsverbrechen im Osten, die von ukrainischen Soldaten oder von Milizen begangen worden sein sollen.

Eine echte Gefahr, so sieht man das in Kiewer Regierungskreisen, droht aber aus einer ganz anderen Richtung: von der radikalen Partei des Populisten Oleh Ljaschko. Den kleinen Mann mit der tiefen Stimme und dem Hang zur exzessiven Selbstinszenierung hatte lange niemand auf der Rechnung. Videos kursieren, auf denen er einräumt, einem Abgeordneten sexuell zu Diensten gewesen zu sein, er prügelt sich auch gern.

Profilierte er sich anfangs als Oligarchenfresser und Mann des Volks, so macht Ljaschko jetzt auf Einzelkämpfer und entführt schon mal im Osten Separatisten, um sie vor laufender Kamera zu demütigen. Er gibt sich als "echter Patriot", der im Osten endlich aufräumen wolle. Der aggressive Rechtspopulist liegt derzeit in Umfragen zwischen zehn und zwanzig Prozent. Und damit an zweiter Stelle nach der Partei des Präsidenten. Der habe längst vor Putin kapituliert, sagt Oleh Ljaschko.

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