Leichtbau-Elektroauto:Warten auf ein Wunder

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Der Visio.M der Technischen Universität München könnte der effizienteste Pkw weltweit werden. Und er soll nur 16 000 Euro kosten. Zu schön, um wahr zu sein? Wir haben nachgerechnet.

Von Joachim Becker

Geht nicht, gibt's nicht, zumindest nicht für Markus Lienkamp. "Vor fünf Jahren haben wir mit einem weißen Blatt Papier angefangen: Wir wollten das Elektroauto preiswerter, effizienter und sicherer machen", sagt der Lehrstuhlinhaber für Fahrzeugtechnik an der TU München.

Tatsächlich wirken die technischen Daten des Visio.M wie ein Steckbrief der weltweit meistgesuchten Eigenschaften für Citystromer: Platz für zwei Personen mit Gepäck, 160 Kilometer Reichweite, 120 km/h Höchsttempo und ein Leergewicht von 450 Kilogramm plus 85 kg Batterie. Der kompakte E-Motor hat zwar nur eine Dauerleistung von 15 Kilowatt, bringt aber kurzzeitig die dreifache Kraft an die Räder. Dank seiner unerhörten Leichtigkeit schafft der Cityfloh den Ampelspurt von 0-60 km/h in 5,2 Sekunden und kommt auch sonst auf einige Fahrleistungen eines 75-PS-Benziners.

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Doppelt so effizient, aber nur halb so teuer wie viele Elektrofahrzeuge - ist das realistisch?

Was zahllose Studenten aus 20 TU-Lehrstühlen in nur 30 Monaten auf die Räder gestellt haben, klingt wie die Neuerfindung des Automobils aus dem beschwingten Geist eines Uni-Start-ups. "Es ist unsere Aufgabe als Universität zu provozieren und neue Wege einzuschlagen", sagt der sichtlich stolze Professor: "Mag sein, dass wir momentan noch etwas zu früh dran sind. Aber selbst wenn unser Prototyp so nicht in Serie geht, haben wir für die deutsche Industrie einen Vorsprung von vier Jahren herausgearbeitet."

Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich: Lässt sich die gesamte Autobranche von einem Garchinger Tüftler mit nur elf Millionen Euro Gesamtetat den Schneid abkaufen? "In der Industrie sind 20 bis 30 Millionen für ein Forschungsauto üblich", weiß Lienkamp aus Erfahrung. 2009 hat er seinen Job als VW-Vorentwickler an den Nagel gehängt, um seinen Traum von der preiswerten Elektromobilität zu realisieren.

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Billiger als ein vergleichbarer Benziner

"Mit dem Visio.M haben wir gezeigt, dass es möglich ist, ein sehr leichtes und gleichzeitig sicheres Elektrofahrzeug zu bauen, dessen Gesamtkosten bei einer Serienproduktion unter denen eines vergleichbaren Benziners liegen sollte", so Lienkamp.

Zur Premiere nennt er konkrete Zahlen: Mit einem anvisierten Preis von 16 000 Euro wäre der 3,60-Meter-Zwerg zwar nicht billiger als konventionelle Artgenossen, aber nur halb so teuer wie viele Elektrofahrzeuge und zudem noch doppelt so effizient. "Mit einem Energieverbrauch von umgerechnet 0,6 Liter Superkraftstoff auf 100 km ist der Visio.M auch noch das effizienteste Personenauto weltweit", betont Lienkamp. Selbst beim Insassenschutz kommt der Kleine ganz groß raus: Die schmale Flunder soll doppelt so sicher sein wie gewöhnliche Kleinwagen - also dem Niveau moderner Kompaktautos mit 60 cm mehr Länge entsprechen.

"Es gibt bis heute kein K.-o.-Kriterium, warum das technische Konzept nicht funktionieren sollte", unterstreicht der Professor bei der Vorstellung seines kleinen Stromers. Die Experten von Daimler und der Entwicklungsdienstleister IAV haben wesentliche Grundlagen für die guten Crashtestergebnisse des 1,30 Meter flachen Wägelchens gelegt, während BMW mit Stefan Riederer den Projektleiter gestellt und seine Versuchseinrichtungen für den Visio.M geöffnet hat. Schon titulierten einige Zeitungen den Visio.M als künftigen BMW i1, weil die weißblaue Marke an erster Stelle einer langen Liste von Industriepartnern steht. Von einem Durchbruch bei der Elektromobilität mag bei den Weißblauen aber niemand sprechen. Vor allem die Preisvorstellungen seien allzu optimistisch.

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Der Professor gibt zu, dass der angepeilte Verkaufspreis erst ab einem Produktionsvolumen von 100 000 Fahrzeugen pro Jahr realistisch sei. Doch solche Elektro-Stückzahlen traut sich in den nächsten Jahren nicht einmal BMW zu. Mit der Studie Rocketman hatte die hauseigene Kleinwagenmarke Mini bereits auf der IAA 2011 gezeigt, wie man sich einen Dreimeter-Winzling mit Carbon-Leichtbau à la Visio.M vorstellt.

Schmerzhafte Erfahrungen

Trotz der begeisterten Resonanz beim Messepublikum und den Medien fiel der Autozwerg beim Controlling durch: Der Aufwand sei mit einem alternativen Antrieb und den nötigen Sicherheitsvorkehrungen höher als bei einem konventionellen Kompaktauto, obwohl die Kunden weniger für einen solchen Zwei- oder Dreisitzer ausgeben wollen. Toyota hat diese schmerzhafte Erfahrung gerade mit dem IQ gemacht: Weil der teure und eigenwillige Zweitürer floppte, wurde er in Europa wieder vom Markt genommen. Auch der Smart lief lange Jahre eher schlecht als recht und kommt bei der Batterieversion nicht auf relevante Stückzahlen.

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Forschungsfahrzeuge wie der Visio.M brauchen mindestens drei Jahre Entwicklungszeit und Investitionen im hohen dreistelligen Millionenbereich bis zur Serienreife. Sowohl die Fahrgastzelle aus Carbon als auch zahlreiche andere Sicherheitsinnovationen sind zu dem genannten Verkaufspreis (noch) nicht realisierbar. Mit herkömmlichen Materialien würde das Coupé aber viel von seinem schlanken Charme verlieren.

Markus Lienkamp will trotzdem nicht aufgeben: Anfang nächsten Jahres beginnt die Roadshow, dann soll das kleine Wunder von der Isar den Entwicklungschefs der Automobilindustrie vorgestellt werden. "Die Entscheider lassen sich nur überzeugen, wenn sie so einen Prototypen selbst fahren können", weiß Lienkamp. Doch es scheint, als könne nur ein weiteres Wunder den Visio.M serienmäßig auf die Straße bringen.

© SZ vom 25.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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