Elendsquartier:"Gefahr für Leib und Leben"

Elendshaus in Kirchtrudering

In der Einfahrt des Gebäudes gammelt Müll, das Haus selbst ist marode, es gibt kein warmes Wasser. Dutzende Bewohner mussten sich zwei Toiletten teilen. Nun wurde das Gebäude geräumt.

(Foto: Robert Haas)

Münchens OB Reiter lässt Teile des Hauses räumen, in dem bis zu 70 Menschen unter erbärmlichen Zuständen hausten. Gegen den Vermieter ermittelt die Staatsanwaltschaft. Auch die Behörden müssen mit Konsequenzen rechnen.

Von Thomas Anlauf und Stephan Handel

Die Stadt München hat am Montag Teile eines Zweifamilienhauses in Kirchtrudering geräumt, in dem bis zu 70 Menschen, darunter offenbar auch zahlreiche Kinder, unter erbärmlichen Zuständen gehaust haben. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ordnete persönlich an, "die menschenunwürdigen, rechtswidrigen Umstände" zu beenden. "So ein Vorgehen darf nicht ohne Sanktionen bleiben - ich werde alles daran setzen, dass der Vermieter mit einem hohen Bußgeld belegt wird", so Reiter.

Er forderte die Lokalbaukommission und das Sozialreferat auf, gegen die Missstände einzuschreiten und den Betroffenen Hilfe anzubieten. Allerdings drohte er auch seinen Referaten unverhohlen: "Sollte es Versäumnisse seitens der Verwaltung gegeben haben, werde ich entsprechende Konsequenzen ziehen."

"Keine Gefährdung des Kindeswohls"

Das Sozialreferat hat von den Zuständen in dem Haus Am Mitterfeld bereits länger gewusst. Eine Mitarbeiterin der Bezirkssozialarbeit war nach Angaben des Sprechers Frank Boos "mehrmals dort" und habe sich nach dem Zustand der Kinder und der Erwachsenen erkundigt. Sie habe "keine Gefährdung des Kindeswohls" festgestellt, so Boos. Körperliche oder seelische Misshandlungen habe es auch nicht gegeben.

Die hygienischen und baulichen Zustände in dem Haus waren allerdings derart schlimm, dass die Lokalbaukommission das Gebäude zum Teil schließen lassen musste. Speicher und Keller, in denen ungefähr 30 Menschen untergebracht waren, mussten "wegen erheblicher Gefahr für Leib und Leben" sofort gesperrt werden, um sicherzustellen, dass "im Brandfall niemand zu Schaden kommt", teilte das Rathaus mit.

Bis dahin hatte das Sozialreferat die Haltung vertreten, dass es sich in dem Haus lediglich um einen Fall von "prekärem Wohnen" handle, was kein ausreichender Grund für ein Eingreifen sei. Doch jetzt mussten binnen Stunden Unterkünfte für die Bulgaren gefunden werden. "Wir haben etwas auf die Schnelle für die 30 betroffenen Menschen gefunden, wo sie sicher untergebracht sind", so Boos am Abend.

Die Toiletten im Haus funktionierten nicht

Die Polizei wurde seit Ende Juli sieben Mal in Zusammenhang mit dem Haus alarmiert: Nachbarn beschwerten sich über Ruhestörung, aber auch darüber, dass die Hausbewohner im Garten ihre Notdurft verrichteten - der Grund dafür war, wie sich jetzt herausstellte, dass die Toiletten im Haus nicht funktionierten. Im Zuge dieser Einsätze erfuhren die Polizisten auch, dass diese ihre Miete immer in bar an den Vermieter bezahlten.

Das machte die Beamten hellhörig, und sie schrieben Berichte: Zum einen an das Finanzamt, zum anderen an das Gewerbeamt der Stadt, wegen des Verdachts der illegalen Gewerbetätigkeit. Die reine Vermietung von Wohnungseigentum kann in den Bereich der privaten Vermögensverwaltung fallen und unterläge dann nicht den Gewerbevorschriften. Bei größeren Einnahmen und einer Vielzahl von Mietern liegt aber eine professionelle Tätigkeit nahe, dann wären steuerliche und andere Belange zu berücksichtigen.

Mit dem Bericht an das Gewerbeamt war der Vorgang bei der richtigen städtischen Stelle gelandet - das Amt ist im KVR angesiedelt, dort sitzt auch die Ausländerbehörde, und von da aus ist es nicht mehr weit zum Sozialreferat, zum Amt für Wohnen und Migration, zum Jugendamt. Eine Polizeisprecherin sagt: "Mit der Meldung an die Stadt hat die Polizei ihr Soll erfüllt."

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mietwucher

Strafrechtlich relevant wurde die Geschichte allerdings, als der Vermieter eines - sehr späten - Abends mit seinen Mietern in Streit geriet, weil diese sich angesichts der katastrophalen Verhältnisse weigerten, Miete zu zahlen. Der Vermieter rief die Polizei. Die erklärte ihm jedoch, dass sie für zahlungsunwillige Mieter nicht zuständig sei. Wegen des Missbrauchs von Notrufen droht ihm nun noch eine Strafe.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt zudem wegen Mietwuchers gegen den Vermieter. Der hatte das Anwesen selbst nur angemietet und war laut Stadt bereits in der Vergangenheit durch Überbelegung und Zweckentfremdung aufgefallen. Das Amt für Wohnen und Migration hat bereits in der vergangenen Woche gegen Eigentümer und Zwischenmieter ein Verfahren wegen Zweckentfremdung eingeleitet.

Grundsätzlich handelt es sich bei einer gewerblichen Schlafstellenvermietung um Zweckentfremdung von Wohnraum. Nach einer Ortsbesichtigung am Montag, an der Polizei sowie Mitarbeiter der Lokalbaukommission, des Sozialreferats und der Branddirektion beteiligt waren, wird nun untersucht, ob das Haus generell nicht mehr bewohnt werden darf.

"Üble Abzocke"

Das völlig überbelegte Haus in Kirchtrudering ist kein Einzelfall. Im vergangenen Sommer berichtete die SZ über ein Abbruchhaus in Berg am Laim, in dem bis zu 40 Menschen aus Bulgarien hausten und 7000 Euro Monatsmiete zahlen mussten. Im Dezember wurde in Untergiesing ein Fall bekannt, in dem auf engstem Raum Menschen vergleichsweise horrende Mieten zahlten. Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins, nannte die Zustände in der Pilgersheimer Straße "üble Abzocke". In diesem Ausmaß wie in Kirchtrudering seien die anderen bekannten Fälle in München aber "nicht gang und gäbe", sagt Zureks Kollegin Anja Franz.

Allerdings erfahre der Mieterverein auch häufig nichts von solch eklatanten Fällen, in denen die Menschen nebeneinander gepfercht liegen und auf Matratzen schlafen müssen. Pro Matratze bezahlten die Bulgaren nach eigenen Angaben 200 Euro monatlich. Dabei ist der Waschraum eine Kloake, die 60 bis 70 Menschen teilten sich zwei Toiletten und eine kleine Kochnische. Warmes Wasser gibt es keines, im Erdgeschoss nicht mal Strom, in der Hauseinfahrt stand ein Container voller Müll. Der ist am Montag von der Stadt entsorgt worden.

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