Internet-Steuer in Ungarn:Orbáns Kurzschluss

Ungarn plant eine einzigartige Internet-Steuer. Doch das Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Technisch ist es kaum realisierbar - und in der EU organisieren sich die Gegner.

Von Thomas Kirchner

Es ist klar, warum Ungarns Premier Viktor Orbán das Internet besteuern will: Seine Regierung braucht Geld, die Verschuldung ist mit 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weiterhin bedrohlich hoch. Und Orbán mag unkonventionelle Finanzquellen. Er hat Sondersteuern für Telekom- und Energiekonzerne erlassen, Banken mit hohen Abgaben belastet, eine Steuer auf Finanztransaktionen eingeführt, die Mehrwertsteuer auf 27 Prozent erhöht. Und wenn man Kaffee, Sekt und Kinokarten besteuern kann, warum dann nicht die Transaktionen im Internet? Woher rührt der vehemente Protest nicht nur in Ungarn, wo zehntausend auf die Straße zogen, sondern in ganz Europa?

Grundsätzlich sei ein solcher Plan weder verwerflich noch verboten, sagt der Münsteraner Medienrechtsprofessor Thomas Hoeren - nur kaum umzusetzen. US-Präsident Bill Clinton habe in den Neunzigerjahren eine "Bitsteuer" erwogen, um kleineren Medienhäusern zu helfen; in der deutschen Politik wurde damals über Ähnliches diskutiert. Clinton kam davon ab, weil andere große Industriestaaten nicht mitzogen. Das hätte es Amerikanern leicht gemacht, der Steuer zu entkommen. "Und nun versucht es ausgerechnet das kleine Ungarn im Alleingang", sagt Hoeren, "das ist absurd." Das Internet lasse sich territorial nicht abriegeln, "diesen Stein der Weisen wird auch Ungarn nicht finden".

Konkret will Orbáns Regierung, weltweit zum ersten Mal, pauschal den Datenverkehr belasten, mit etwa 50 Cent pro Gigabyte. Maximal, so der Vorschlag, über den das Parlament Mitte November abstimmt, sollen private Nutzer 2,30 Euro im Monat zahlen, die ihnen der Provider in Rechnung stellt. Was aber, wenn Nutzer ihre IP-Adresse ändern oder der Internetanbieter im Ausland sitzt? Dann wird es schwerfallen, das Geld einzutreiben.

Viele befürchten, dass das letzte Reservoir der freien Meinung verschwinden soll

Internetpolitisch zielt die ungarische Idee nach Ansicht von Europas Sozialdemokraten genau in die falsche Richtung. "Wir versuchen gerade, das Netz als Teil der öffentlichen Daseinsversorgung zu etablieren", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil. "Wer es auf diese Weise beschränkt, würgt Innovationen ab." Diese Steuer werde Investitionen in ungarische Telekommunikations-Infrastruktur hemmen und vor allem Geringverdiener treffen, sagt die SPD-Europaabgeordnete Petra Kammerevert.

Die Schärfe der Kritik erklärt sich aber damit, dass der Plan von einer Regierung stammt, die einen antiliberalen, zunehmend autoritären Staat aufbaut, die oppositionelle Stimmen zu unterdrücken versucht, unter anderem mit einem repressiven Mediengesetz. Nun befürchten viele, dass auch das letzte Reservoir für freie Meinungsäußerung verschwinden soll.

Die scheidende EU-Kommissarin für digitale Kommunikation, Neelie Kroes, hat die Ungarn per Twitter aufgerufen, sich dem Protest anzuschließen. Eine unmittelbare rechtliche Handhabe gegen die Pläne habe sie aber nicht. Noch nicht, sagt Julia Reda, EU-Abgeordnete der Piratenpartei. Schließlich plane die EU einen digitalen Binnenmarkt, der Europas Volkswirtschaften jährlich 260 Milliarden Euro zusätzlich einbringen soll. Dabei könne man ja eine Richtlinie erlassen, die solche Vorhaben wie das ungarische untersage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: