Bedeutung von Ratingagenturen:AAA? Egal!

Standard and Poor's downgrades nine European countries

Große Aufregung oder gespannte Erwartung? Fehlanzeige: Sechs Jahre nach der Bankenkrise ist es mit der Macht der Ratingagenturen weitgehend passé - zumindest wenn es um Staaten geht.

(Foto: Justin Lane/dpa)

Ratingagenturen waren lange sehr mächtig. Und jetzt? Nimmt kaum jemand mehr wahr, wenn Standard & Poor's, Moody's oder Fitch die Bonität eines Landes herabstufen. Die Geschichte eines Bedeutungsverlusts.

Von Simone Boehringer

Bis vor einiger Zeit gab es an den Finanzmärkten mächtige Richter: Die Ratingagenturen. Wenn die Großen der Branche, also Standard & Poor's (S&P), Moody's oder Fitch den Daumen über ein Land senkten, war an den Märkten die Hölle los: Kurse brachen ein, Politiker polterten, manchmal wurden sogar Krisenstäbe gebildet, um die Wogen zu glätten, die eine Verschlechterung der Note für die Kreditwürdigkeit eines Staates auslöste.

Doch mit der Macht ist es nun, sechs Jahre nach der Banken- und vier Jahre nach Ausbruch der Staatsschuldenkrise weitgehend vorbei. Das Urteil von S&P, Moody's oder Fitch mag in den meisten Fällen nicht besser oder schlechter sein als vor ein paar Jahren. Aber es ist in Teilen irrelevant geworden. ,,Die Bedeutung von Länderratings hat sich deutlich reduziert, seit die Europäische Zentralbank aus allen Rohren feuert", erklärt Uwe Burkert, Leiter des Kreditresearch der Landesbank Baden-Württemberg und deren Chefvolkswirt. "Seit den Haftungszusagen der EZB ist die Sensibilität von Investoren gegenüber veränderten Länderratings nicht mehr sehr hoch", erklärt auch Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank.

Beide Experten beziehen sich auf dieselben Ereignisse, auf die ,,Whatever-it-takes-Rede" von Mario Draghi im Sommer 2012, bei der der EZB-Präsident spätere Maßnahmen der ultralockeren Geldpolitik wie Nullzins, Staatsanleihenkäufe und jüngst die Unterstützung von Verbriefungskrediten und Pfandbriefen ankündigte.

Immerhin eine Abstufung auf "Ramsch-Status" sorgt noch für Aufregung

Kein Wunder also, dass kaum jemand groß bemerkt hat, dass Finnland jüngst seine Bestnote bei AAA bei S&P verloren hat. Oder dass Frankreich womöglich von einer Herabstufung auf A-Niveau gefährdet ist. Ende dieser Woche wollen sich die großen Agenturen zur Bonität der EU sowie zur Kreditwürdigkeit Portugals und der Schweiz äußern. Große Aufregung oder gespannte Erwartung? Fehlanzeige.

Stattdessen habe das ausgedehnte Engagement der Zentralbanken "dazu geführt, dass Staatsanleihen bei einigen Investoren wieder neu auf die Empfehlungslisten gekommen sind", berichtet LBBW-Mann Burkert. Im Ergebnis der expansiven Geldpolitik haben sich viele Geldinstitute buchstäblich vollgesogen mit Anleihen, auch solchen von Krisenstaaten - versprachen diese doch trotz aller Eingriffe der EZB zur Nivellierung von Zinsunterschieden immer noch eine bessere Rendite als sichere Nullkomma-Prozenter wie Bundesanleihen. Eine bedenkliche Entwicklung, sollten doch die Geldspritzen der Notenbanken gerade helfen, die Abhängigkeit von Banken- und Staatssektor abzumildern.

Zudem schrumpft der Kreis jener Länder, denen von den Agenturen eine einwandfreie Bonität bescheinigt wird. Nur zwei EU-Staaten, Deutschland und Luxemburg, bekommen noch von allen drei großen Agenturen ein makelloses AAA. Auch die vorher genannten Frankreich, Portugal, Finnland gehören zu den Ländern, deren Bonität wesentlich ist für die Kreditwürdigkeit eines wichtigen Rädchens im Krisen-Auffangbetrieb der Eurozone: dem Rettungsschirm ESM, für den sie bürgen. Am Ruf der Euro-Länder hängt der Ruf des ESM. Auch dieses Phänomen wird zurzeit am Markt kaum beachtet.

Länderratings hätten noch am ehesten Relevanz, wenn Schwellenwerte fallen, etwa die Grenze zwischen BBB- und BB+ unterschritten werde, wo der spekulative Anlagebereich beginne, so die Experten. Der Grund: Wenn das Rating eines Landes in den Bereich dieses "Ramsch-Status" abfällt, dürfen Großanleger wie Versicherungen oder Pensionskassen in deren Anleihen per Statut nicht mehr investieren.

Schärfere Regeln für die Bönitäts-Richter

"Wir müssen uns unsere eigene Urteilsfähigkeit nicht wegnehmen lassen. Ratingagenturen sind nicht das Maß aller Dinge", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juli 2011 angekündigt, kurz nachdem die Nervosität an den Märkten wegen der schlechten Kreditverfassung einiger Staaten wieder mal einen Höhepunkt erreicht hatte. Assistiert wurde ihr von der Wissenschaft, unter anderem kam eine Studie der Universität St. Gallen zu dem Schluss, dass eine Notenänderung der großen Agenturen in der Hochphase der Finanzkrise oft selbstverstärkenden Charakter hatte.

Dass die Forscher einige Urteile zudem für schlicht überzogen hielten, bestärkte die Politiker, zum Selbstschutz gegen die Agenturen vorzugehen. Einzelne Regierungen versuchten sogar, gerichtlich gegen die Noten vorzugehen. Inzwischen müssen S&P, Moody's und andere ihre Urteile in der Regel nach einem festen Terminplan publizieren. Zudem müssen sie nach vier, fünf Jahren ihre Analysten bei einzelnen Mandaten austauschen. Damit soll die Abhängigkeit von der Meinung einzelner vermindert werden.

Unternehmensratings sind nach wie vor wichtig

Unabhängig von diesen Regulierungsmaßnahmen sind einige Großinvestoren dazu übergegangen, Länderratings mit Vorsicht zu genießen. "Die wechselseitige Abhängigkeit ist größer geworden in der Krise, sowohl zwischen den Ländern also auch zwischen den Agenturen und der Politik", erklärt Karl Happe, der bei Allianz Global Investors die Vermögensverwaltung für alle Versicherungskunden verantwortet. Es geht um rund 120 Milliarden Euro, die nach wie vor zum größten Teil in Anleihen angelegt sind, Staatstitel, Unternehmenspapiere und Pfandbriefe - also genau jene Papiere, mit denen sich Ratingagenturen hauptsächlich beschäftigen.

"Nicht zuletzt durch Haftungsmechanismen in Europa wie dem ESM sind die systemischen Risiken gewachsen. Die Auswirkungen einer einzelnen Rating-Entscheidung haben unter Umständen größere Rückwirkungen auf die Gesamtsituation", erklärt Happe. Nachdem den Agenturen bei der Eskalation der Schuldenkrise ab 2010 eine Mitverantwortung gegeben wurde, hielten sie "sich jetzt stärker zurück."

Verlassen könne man sich derzeit in erster Linie auf die Unternehmensratings der Agenturen, da sind sich die Experten einig. "Hier machen die Agenturen einen unpolitischen und zumeist guten Job", betont Hellmeyer von der Bremer Landesbank.

Und einen enorm wichtigen dazu. Denn je weniger es zu verdienen gibt mit Staatstiteln, desto mehr investieren die Kapitalsammelstellen in Schuldtitel von Firmen. Gut möglich, dass sich die Agenturen künftig noch stärker auf dieses Feld konzentrieren. Bei Länderratings jedenfalls werden sie vorerst nicht mehr punkten können. Zwar haben einige Notenbanken ihren Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik angekündigt, aber die Termine werden immer wieder verschoben. Seit 2007 hat sich die Bilanzsumme der großen Notenbanken von sechs auf 16 Billionen Dollar erhöht, berechnete jüngst die Investmentbank Natixis. "Die Investoren vertrauen der EZB", erklärt Chefvolkswirt Burkert.

Das wird sich so schnell wohl nicht ändern.

Hinweis: In der ersten Fassung des Artikels hieß es, dass nur Deutschland und Österreich noch bei den drei großen Ratingagenturen ein AAA-Rating hätten. Tatsächlich sind es aber Deutschland und Luxemburg.

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